Im Fall der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils sind neben dem Festkaufpreis nach Maßgabe der Geschäftsentwicklung in den Folgejahren zu leistende gewinn- oder umsatzabhängige Kaufpreisbestandteile erst im Zeitpunkt des Zuflusses als nachträgliche Betriebseinnahmen (nicht tarifbegünstigt) zu besteuern. Sie erhöhen den im Jahr der Veräußerung entstandenen Veräußerungsgewinn nicht, d.h. die Stichtagsbesteuerung (Punktbetrachtung) des § 16 EStG findet insoweit nicht statt (Bestätigung der Rechtsprechung). Diese Rechtsprechung hat der BFH nun insoweit erweitert, als er feststellt, dass das auch für sog. Earn-Out-Klauseln gilt, bei denen das Entstehen der sich hieraus ergebenden variablen Kaufpreisbestandteile sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewiss ist.
Streitig ist die steuerliche Behandlung variabler Kaufpreisbestandteile (sogenannte Earn-Out-Zahlungen) im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Persönlich haftende Gesellschafterin einer GmbH & Co. KG ist die an deren Vermögen nicht beteiligte M GmbH. Die alleinige Kommanditistin hielt zugleich 100 % der Anteile an der M GmbH (Sonderbetriebsvermögen).
Im Oktober 2010 veräußerte die Kommanditistin ihren Kommanditanteil an der GmbH & Co. KG sowie sämtliche Geschäftsanteile an der M GmbH an die R GmbH. Die Kaufpreisvereinbarung für die Veräußerung des Mitunternehmeranteils umfasste neben dem Festentgelt einen Betrag, der von der „Rohmarge“ (Nettoumsatz abzüglich Materialeinstandskosten) in den auf den Veräußerungszeitpunkt folgenden Geschäftsjahren abhing. In der Folge (2011 bis 2013) kam es daher zu zusätzlichen Kaufpreiszahlungen, die von der Kommanditistin als laufende Einkünfte erfasst wurden.
Das Finanzamt wollte die Earn-Out-Entgelte hingegen rückwirkend dem Veräußerungsjahr zuordnen.
Wie schon zuvor das FG kommt auch der BFH zu dem Ergebnis, dass die variablen Kaufpreisbestandteile den aus der Veräußerung des gesamten Mitunternehmeranteils zu ermittelnden Veräußerungsgewinn (§ 16 EStG) im Veräußerungsjahr nicht erhöhen.
Gesetzliche Grundlagen: Veräußerungsgewinn i.S.d. § 16 Abs. 1 EStG
Gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb Gewinne, die bei der Veräußerung des gesamten Anteils eines Gesellschafters, der als (Mit-)Unternehmer des Betriebs anzusehen ist (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG), erzielt werden.
Veräußerungspreis ist der tatsächlich erzielte Erlös (BFH-Beschluss vom 19.07.1993, GrS 2/92 und Urteil vom 31.08.2006, IV R 53/04). Dazu gehören alle Leistungen, die der Veräußerer vom Erwerber für die Übertragung erhält, sowie Leistungen, die der Veräußerer in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Veräußerung vom Erwerber oder von einem Dritten erlangt (BFH-Urteile vom 17.09.2014, IV R 33/11 und vom 27.10.2015, VIII R 47/12). Das ist regelmäßig der vereinbarte Kaufpreis mit seinem Nennwert (BFH, Urteil vom 19.12.2018).
Entstehung des Veräußerungsgewinns
Der Veräußerungsgewinn entsteht grundsätzlich im Veräußerungszeitpunkt, also mit der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an den wesentlichen Betriebsgrundlagen; unabhängig davon, ob der vereinbarte Kaufpreis sofort fällig, in Raten zahlbar oder langfristig gestundet ist und wann der Verkaufserlös dem Veräußerer tatsächlich zufließt. Der Veräußerungsgewinn ist damit regelmäßig stichtagsbezogen auf den Veräußerungszeitpunkt zu ermitteln. Später eintretende Veränderungen beim ursprünglich vereinbarten Veräußerungspreis sind solange und soweit materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückzubeziehen, als der Erwerber seine Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises noch nicht erfüllt hat.
Ist die Gegenleistung bereits erbracht und die Anteilsveräußerung vollzogen, liegt eine materiell-rechtliche und deshalb nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO auch verfahrensrechtliche Rückwirkung auf das abgeschlossene Rechtsgeschäft nur vor, wenn der Rechtsgrund für die später geleistete Zahlung im ursprünglichen Rechtsgeschäft ‑der Anteilsveräußerung‑ angelegt ist (BFH-Urteile vom 04.10.2016, IX R 8/15 und vom 04.02.2020, IX R 7/18).
Ausnahme bei gewinn- oder umsatzabhängigen Kaufpreisforderungen
Eine Ausnahme gilt bei gewinn- oder umsatzabhängigen Kaufpreisforderungen. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung ist hier auf die Realisation des Veräußerungsentgelts abzustellen, da der Veräußerer die Gewinne erst im Zuflusszeitpunkt erzielt. Eine stichtagsbezogene Betrachtung (Rückwirkung auf den Veräußerungszeitpunkt) wird nicht angestellt, da es sich bei gewinn- oder umsatzabhängigen Kaufpreisforderungen um aufschiebend bedingte Kaufpreisansprüche handelt, bei denen im Zeitpunkt der Veräußerung weder feststeht, ob rechtlich in einem der Folgejahre eine Kaufpreisforderung entsteht, noch, wie hoch sie sein wird (BFH-Urteile vom 06.05.2010, IV R 52/08, vom 17.09.2014, IV R 33/11, vom 27.10.2015, VIII R 47/12 und vom 19.12.2018, I R 71/16) .
Anwendung auf den Streitfall
Danach haben die von der Kommanditistin in den Jahren 2011 bis 2013 ("Earn-Out-Periode") vereinnahmten variablen Entgelte den im Jahr 2010 erzielten Anteilsveräußerungsgewinn nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG nicht erhöht, sondern sind im Zeitpunkt des Zuflusses als nachträgliche gewerbliche Betriebseinnahmen (§ 24 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG) zu versteuern.
Bei den variablen Kaufpreisbestandteilen handelt es sich um Entgelte auf gewinnabhängige Kaufpreisforderungen, da sie von den in den drei Jahren nach der Anteilsveräußerung von der GmbH & Co. KG erzielten Rohmargen, d.h. vom Rohgewinn, abhängig waren. Das Entstehen der Kaufpreisforderungen war also sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewiss. Damit wirken sie nicht auf den Veräußerungszeitpunkt zurück und sind genauso zu behandeln wie (andere) gewinn- oder umsatzabhängige Kaufpreisforderungen.
§ 16 Abs. 1 und 2 EStG
Streitjahr: 2010
Einordnung in die bisherige Rechtsprechung
BFH-Urteil vom 19.12.2018 (I R 71/16)
Der BFH folgt hier seinem zu gewinn- oder umsatzabhängigen Kaufpreisforderungen ergangenem Urteil vom 19.12.2018, I R 71/16 (siehe Deloitte Tax News). Gründe für eine unterschiedliche Behandlung von gewinn- oder umsatzabhängigen Kaufpreisforderungen im Allgemeinen und sog. Earn-Out-Zahlungen im Besonderen seien nicht ersichtlich. Denn auch bei "Earn-Out-Zahlungen" handele es sich um aufschiebend bedingte Kaufpreisbestandteile, deren Entstehen im Veräußerungszeitpunkt sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewiss ist. Eine Schätzung ihres Kapitalwerts ist im Veräußerungszeitpunkt nicht möglich (BFH-Urteil vom 17.07.2013, X R 40/10). Diese Unsicherheit rechtfertige es, "Earn-Out-Zahlungen" unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und in Anlehnung an das Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB) von der stichtagsbezogenen Ermittlung des Veräußerungsgewinns nach § 16 EStG auszunehmen.
Weitere Rechtsprechung
Die variablen Kaufpreisbestandteile sind im Streitfall (wie in den BFH-Urteilen vom 27.10.2015, IV R 4/13, vom 14.05.2002, VIII R 8/01, und vom 19.12.2018, I R 71/16) auch der Höhe nach ungewiss. Daher kann nicht von der Reduzierung eines fest vereinbarten Kaufpreises ausgegangen werden.
In den, den BFH-Urteilen vom 04.10.2016, IX R 8/15, und vom 04.02.2020, IX R 7/18, zugrunde liegenden Sachverhalten, hat der BFH für maßgebend erachtet, dass die nach Erfüllung des Erwerbsgeschäfts geleistete Zahlung Gegenstand eines selbständigen Rechtsgeschäfts war, das nicht in sachlichem Zusammenhang mit der Anteilsveräußerung stand. Dies schließt jedoch nach Ansicht des BFH nicht aus, in den (Ausnahme-)Fällen gewinn- oder umsatzabhängiger Kaufpreisforderungen (ebenfalls) auf die Realisation des Veräußerungsentgelts abzustellen.
Nach dem BFH-Urteil vom 14.05.2002, VIII R 8/01, steht dem Steuerpflichtigen bei umsatz- oder gewinnabhängigen Veräußerungsentgelten kein Wahlrecht zwischen der sofortigen Versteuerung eines Veräußerungsgewinns nach §§ 16, 34 EStG und einer nicht tarifbegünstigten Besteuerung der nachträglichen Betriebseinnahmen im Jahr des Zuflusses zu. Dies betrifft jedoch die Besteuerung in den Jahren des Zuflusses der "Earn-Out-Zahlungen" (2011, 2012 und 2013). In diesen Jahren sind diese Zahlungen in voller Höhe zu versteuern. Hingegen gilt für den Veräußerungszeitpunkt (2010), dass bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns die (geminderte) Einmalzahlung dem Kapitalkonto und den Veräußerungskosten gegenüberzustellen ist.
Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.03.2021, 5 K 2442/17
BFH, Urteil vom 09.11.2023, IV R 9/21 (NV), lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen
BFH, Urteil vom 04.02.2020, IX R 7/18
BFH, Urteil vom 19.12.2018, I R 71/16, BStBl. II 2019, S. 493, siehe Deloitte Tax News
BFH, Urteil vom 04.10.2016, IX R 8/15, BStBl. II 2017, S. 316
BFH, Urteil vom 03.12.2015, IV R 4/13, BStBl. II 2016, S. 544, siehe Deloitte Tax News
BFH, Urteil vom 27.10.2015, VIII R 47/12, BStBl. II 2016, S. 600
BFH, Urteil vom 17.09.2014, IV R 33/11, BStBl. II 2015, S. 717, siehe Deloitte Tax News
BFH, Urteil vom 17.07.2013, X R 40/10, BStBl. II 2013, S. 883
BFH, Urteil vom 06.05.2010, IV R 52/08, BStBl. II 2011, S. 261
BFH, Urteil vom 31.08.2006, IV R 53/04, BStBl. II 2006, S. 906
BFH, Urteil vom 14.05.2002, VIII R 8/01, BStBl. II 2002, S. 532
BFH, Beschluss vom 19.07.1993, GrS 2/92, BStBl. II 1993, S. 897
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Daniela Gemmel
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