Der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ist nicht befugt, den gegen die Kapitalgesellschaft ergangenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos anzufechten.
Eine AG dänischen Rechts (Klägerin) war Gesellschafterin einer inländischen GmbH. Die GmbH gab 2008 eine Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2007 ab, in der der Bestand des Einlagekontos mit 0 € angegeben wurde. Dabei wurde eine im Streitjahr 2007 in die Kapitalrücklage geleistete Zahlung i.H.v. ca. 800.000 € versehentlich nicht berücksichtigt. Das Finanzamt stellte den Bestand des steuerlichen Einlagekontos erklärungsgemäß mit 0 € fest.
Die Gesellschafterin (hier: die AG) legte Einspruch gegen den Feststellungsbescheid ein und beantragte, den richtigen Bestand des steuerlichen Einlagekontos zu erfassen.
Finanzamt und FG waren der Auffassung, die Gesellschafterin sei aufgrund eines fehlenden Drittanfechtungsrechts nicht gem. § 40 Abs. 2 FGO befugt, den gegenüber der GmbH ergangenen Feststellungsbescheid anzufechten.
Der BFH kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass der Gesellschafterin kein Drittanfechtungsrecht zusteht und sie daher nicht befugt ist, den gegenüber der GmbH ergangenen Feststellungsbescheid anzufechten.
Adressatin des Feststellungsbescheids ist klagebefugt
Nach Auffassung des BFH ist die Kapitalgesellschaft (hier: die GmbH) als Adressatin des Feststellungsbescheids - ungeachtet der vorrangig anteilseignerbezogenen Wirkungen des Bescheids - klagebefugt.
Der Feststellungsbescheid des § 27 Abs. 2 KStG richtet sich nach der BFH-Rechtsprechung ausschließlich gegen die dort genannte Kapitalgesellschaft (hier: die GmbH). Obgleich dem steuerlichen Einlagekonto für die eigene Ertragsbesteuerung der Kapitalgesellschaft keine unmittelbare Bedeutung zukommt, hat der BFH dieser die Befugnis anerkannt, gegen den Feststellungsbescheid außergerichtlich und gerichtlich vorzugehen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30.01.2013, I R 35/11).
Materiell-rechtliche Bindungswirkung des Feststellungsbescheids für den Gesellschafter
Der Feststellungsbescheid entfalte über § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG materiell-rechtliche Bindungswirkung auch für die Anteilseigner. Nach dieser Vorschrift gehören Bezüge aus Anteilen an einer Körperschaft nicht zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen, soweit für diese Eigenkapital i.S. des § 27 KStG als verwendet gilt. Materielles Tatbestandsmerkmal des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ist nach Ansicht des BFH damit der im Bescheid nach § 27 Abs. 2 KStG ausgewiesene Bestand. Gilt danach das steuerliche Einlagekonto für die Leistung der Körperschaft als verwendet, ist diese Verwendungsfiktion auch auf der Ebene der Gesellschafter zu beachten. Ein Gesellschafter kann sich deshalb in einem die eigene Besteuerung betreffenden Verfahren nicht mit Erfolg darauf berufen, das steuerliche Einlagekonto sei im Bescheid über die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos unzutreffend ausgewiesen (vgl. BFH-Urteil vom 19.05.2010, I R 51/09).
Keine Begründung eines Drittanfechtungsrechts für den Gesellschafter
Trotz der materiell-rechtlichen Tatbestandswirkung des Feststellungsbescheids für den Gesellschafter (hier: die AG) der Kapitalgesellschaft wird laut dem BFH kein Drittanfechtungsrecht begründet.
Der BFH grenzt den Streitfall von anderen Fallkonstellationen, welche ein Drittanfechtungsrecht begründen ab. So könne zwar der Einbringende den Körperschaftsteuerbescheid des aufnehmenden Unternehmens mit der Begründung anfechten, der dort zugrunde gelegte Wertansatz für das eingebrachte Vermögen sei zu hoch bemessen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 08.06.2011, I R 79/10). Im letztgenannten Fall sei allerdings die aufnehmende Körperschaft rechtlich auch gar nicht in der Lage den Körperschafsteuerbescheid erfolgreich anzufechten, weil sie selbst durch einen zu hohen Wertansatz nicht beschwert ist. Im Streitfall bestehe aber keine vergleichbare Situation, so der BFH. Denn die Körperschaft (hier: die GmbH) könne den Feststellungsbescheid vollumfänglich außergerichtlich und gerichtlich überprüfen lassen.
(Andernfalls) Verstoß gegen Gebot der Rechtssicherheit
Mit der Zuerkennung eines Drittanfechtungsrechts des Gesellschafters würde jederzeit auch für weit zurückreichende Besteuerungszeiträume die jeweils maßgebliche Höhe des Einlagekontos in Zweifel gezogen werden können. Denn die Gesellschafter wären bei Zuerkennung eines eigenen Anfechtungsrechts wegen fehlender Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an sie jederzeit befugt, die Feststellung mit dem Einspruch anzugreifen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 06.07.2011, II R 44/10). Auch die Verjährungsvorschriften würden ein etwaiges Anfechtungsrecht des Gesellschafters nicht eingrenzen, da § 181 Abs. 5 S. 1 AO eine „faktische“ Unverjährbarkeit bewirke. Dieses Ergebnis wäre aus Sicht des BFH mit dem das steuerliche Verfahrensrecht prägenden Gebot der Rechtssicherheit nicht vereinbar.
Vereinbarkeit mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
Die Versagung eines eigenen Drittanfechtungsrechts für den Gesellschafter ist nach Ansicht des BFH auch mit der Rechtsschutzgarantie gem. Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar, da der Kapitalgesellschaft (hier: der GmbH) umfassende Anfechtungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Zu berücksichtigen sei auch, dass Gesellschaft und Gesellschafter gesellschaftsvertraglich miteinander verbunden und die Gesellschafter ihre hieraus resultierenden Befugnisse (z.B. Informationsrechte) einsetzen können, um die Kapitalgesellschaft zur Einlegung von Einsprüchen gegen vermeintlich rechtswidrige Feststellungsbescheide zu veranlassen.
§ 27 KStG; § 40 Abs. 2 FGO
Streitjahr 2007
BFH-Beschluss vom 10.12.2019, I B 35/19
Mit Beschluss vom 10.12.2019 (I B 35/19, siehe Deloitte Tax-News) hatte der BFH bereits entschieden, dass ein Gesellschafter einer GmbH die Rechtswidrigkeit eines bereits unanfechtbar gewordenen Feststellungsbescheids, der eine unzutreffende Höhe des Bestands des steuerlichen Einlagekontos aufweist, nicht im Wege eines Drittanfechtungsrechts geltend machen kann. Dies hat der BFH in seiner hier dargestellten Entscheidung vom 21.12.2021 (I R 53/19) bekräftigt.
Praxishinweise
Das Urteil des BFH vom 21.12.2022 (I R 53/19) bestätigt erneut, dass die Feststellungserklärungen über den Bestand des steuerlichen Einlagekontos gemäß § 27 Abs. 2 S. 4 KStG und die Bescheinigungen über Leistungen des steuerlichen Einlagekontos gemäß § 27 Abs. 3 KStG äußerst sorgfältig zu erstellen bzw. die entsprechenden Feststellungsbescheide sorgfältig zu prüfen sind, da ansonsten ggfs. „nichts mehr zu retten“ ist.
Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 19.09.2019, 1 K 73/18
BFH, Urteil vom 21.12.2022, I R 53/19, lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen, BVerfG-anhängig: 1 BvR 1060/23
Pressemitteilung Nr. 17/23 vom 09.03.2023
BFH, Beschluss vom 10.12.2019, I B 35/19, BStBl. II 2020, S. 517, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 30.01.2013, I R 35/11, BStBl. II 2013, S. 560, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 19.05.2010, I R 51/09, BStBl. II 2014, S. 937, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 08.06.2011, I R 79/10, BStBl. II 2012, S. 421, siehe Deloitte Tax News
BFH, Urteil vom 06.07.2011, II R 44/10, BStBl. II 2012, S. 5, siehe Deloitte Tax News
www.deloitte-tax-news.de | Diese Mandanteninformation enthält ausschließlich allgemeine Informationen, die nicht geeignet sind, den besonderen Umständen eines Einzelfalles gerecht zu werden. Sie hat nicht den Sinn, Grundlage für wirtschaftliche oder sonstige Entscheidungen jedweder Art zu sein. Sie stellt keine Beratung, Auskunft oder ein rechtsverbindliches Angebot dar und ist auch nicht geeignet, eine persönliche Beratung zu ersetzen. Sollte jemand Entscheidungen jedweder Art auf Inhalte dieser Mandanteninformation oder Teile davon stützen, handelt dieser ausschließlich auf eigenes Risiko. Deloitte GmbH übernimmt keinerlei Garantie oder Gewährleistung noch haftet sie in irgendeiner anderen Weise für den Inhalt dieser Mandanteninformation. Aus diesem Grunde empfehlen wir stets, eine persönliche Beratung einzuholen.
This client information exclusively contains general information not suitable for addressing the particular circumstances of any individual case. Its purpose is not to be used as a basis for commercial decisions or decisions of any other kind. This client information does neither constitute any advice nor any legally binding information or offer and shall not be deemed suitable for substituting personal advice under any circumstances. Should you base decisions of any kind on the contents of this client information or extracts therefrom, you act solely at your own risk. Deloitte GmbH will not assume any guarantee nor warranty and will not be liable in any other form for the content of this client information. Therefore, we always recommend to obtain personal advice. |