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22.07.2011
Verfahrensrecht

BFH: Mehrfache Festsetzung von Verzögerungsgeld

Sachverhalt

Im Rahmen einer Außenprüfung forderte das Finanzamt die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) mit mehreren Schreiben auf, Buchführungsunterlagen und Datenträger vorzulegen. Bis zum Fristablauf überreichte die Antragstellerin lediglich einen Datenträger. Mit Bescheid vom 01.06.2010 setzte das Finanzamt ein Verzögerungsgeld in Höhe von 2.500 Euro fest. Das Finanzamt forderte erneut zur Vorlage der Buchführungsunterlagen auf und setzte wegen derselben Unterlagen mit Bescheid vom 29.06.2010 ein weiteres Verzögerungsgeld in Höhe von 3.000 Euro fest. Anträge auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das Finanzamt ab. Das Finanzamt änderte mit Bescheiden vom 01.10.2010 die Bescheide vom 01.06.2010 und 29.06.2010, jeweils verbunden mit der ausdrücklichen Feststellung, dass die Festsetzung des Verzögerungsgelds nach erneuter Überprüfung bestehen bleibe. Das FG hat beide Vollziehungen ausgesetzt. Es sei ernstlich zweifelhaft, dass die mehrfache Festsetzung eines Verzögerungsgelds wegen fortdauernder Nichtvorlage derselben angeforderten Unterlagen möglich sei.

Entscheidung

Bei summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 01.06.2010 in der geänderten Fassung vom 01.10.2010. Das Finanzamt hat die Festsetzung des Verzögerungsgelds wegen Nichtvorlage der Buchführungsunterlagen zu Recht auf § 146 Abs. 2b AO gestützt. Danach kann ein Verzögerungsgeld festgesetzt werden, wenn ein Steuerpflichtiger der Aufforderung zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nach Bekanntgabe durch die zuständige Finanzbehörde nicht nachkommt. Das Finanzamt durfte deshalb die mehrfache Aufforderung zur Vorlage der Buchführungsunterlagen erlassen. Die relativ kurze Frist war angesichts der besonderen Umstände des Streitfalls noch angemessen. Der Senat hat auch keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Finanzamt sein Entschließungsermessen im Hinblick auf das Ob einer Festsetzung des Verzögerungsgelds und sein Auswahlermessen im Hinblick auf die Höhe des Verzögerungsgelds zutreffend ausgeübt hat. Beim Erlass des Bescheids vom 01.10.2010, mit dem der Bescheid vom 01.06.2010 geändert bzw. ersetzt worden ist, musste das Finanzamt im Rahmen seiner Ermessensausübung nicht berücksichtigen, dass zwischenzeitlich ein höheres Verzögerungsgeld festgesetzt worden ist. Anders als das FG meint, ist die Festsetzung eines weiteren Verzögerungsgelds jedenfalls im Streitfall kein relevantes Ereignis, welches in die Ermessenserwägungen des ersten Bescheids miteinzubeziehen gewesen wäre.

Bei summarischer Prüfung bestehen indes ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 29.06.2010 in der Fassung vom 01.10.2010. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die mehrfache Festsetzung eines Verzögerungsgelds wegen fortdauernder Nichtvorlage derselben angeforderten Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO von § 146 Abs. 2b AO gedeckt ist. Die Zulässigkeit einer mehrfachen Festsetzung wegen derselben Verpflichtung lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der Regelung des § 146 Abs. 2b AO entnehmen. Das Verzögerungsgeld soll nach der Gesetzesbegründung den Steuerpflichtigen zur zeitnahen Mitwirkung anhalten. Es steht damit in einem Konkurrenzverhältnis zu dem Zwangsgeld gemäß § 328 Abs. 1, § 329 AO. Für das Zwangsgeld enthält § 332 Abs. 3 AO die ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung, es erneut wegen derselben Verpflichtung anzudrohen, wenn das zunächst angedrohte Zwangsgeld erfolglos geblieben ist. Das Schweigen des Gesetzgebers zu der Möglichkeit einer erneuten Festsetzung eines Verzögerungsgelds deutet daher darauf hin, dass ein Verzögerungsgeld wegen derselben Verpflichtung nur einmal festgesetzt werden kann. Eine analoge Anwendung des § 332 Abs. 3 AO kommt nach Auffassung des Senats nicht in Betracht, weil nicht zu erkennen ist, dass das Fehlen einer Regelung zur wiederholten Festsetzung eines Verzögerungsgelds auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht. Es fehlt damit an der für eine analoge Gesetzesanwendung erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.

Da das Finanzamt noch nicht über den Einspruch gegen den Bescheid vom 29.06.2010 in der Fassung vom 01.10.2010 entschieden hat, beschränkt der Senat die AdV dieses Bescheids bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens.

Betroffene Norm

§ 146 Abs. 2b AO, § 200 Abs. 1 AO, § 332 Abs. 3 AO
Streitjahr 2010

Anmerkungen

Die gegen den Bescheid vom 01.06.2010 erhobene Klage ist beim Finanzgericht Sachsen-Anhalt unter dem Aktenzeichen 3 K 1235/10 anhängig.

Vorinstanz

Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15.10.2010, 3 V 1296/10, EFG 2011, S. 298

Fundstelle

BFH, Beschluss vom 16.06.2011, IV B 120/10, BStBl II 2011, S. 855

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