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05.07.2011
Verfahrensrecht

BFH: Öffentliche Zustellung eines Bescheids bei Wohnsitz in der Schweiz

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein in der Schweiz ansässiger Rechtsanwalt ohne inländischen Wohnsitz, war Vorstand und gesetzlicher Vertreter der X S.A. (S.A.). Die Geschäftsanschrift der S.A. und die Kanzleianschrift des Klägers sind identisch. Das Finanzamt erließ in 2003 Steuerbescheide gegen die S.A. unter Hinweis auf eine beschränkte Steuerpflicht. Die Einsprüche dagegen wurden als unzulässig und unbegründet zurückgewiesen.

Das Finanzamt nahm den Kläger mit Haftungsbescheid vom 02.04.2004 - der öffentlich zugestellt wurde - für die Abgabenschulden der S.A. in Haftung. Zuvor hatte das Finanzamt mit Schreiben (einfacher Brief) vom 29.01.2004 (dessen Zugang der Kläger bestreitet) einen Haftungsbescheid angekündigt und den Kläger aufgefordert, einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu benennen. Nach einer Zahlungsaufforderung durch das Finanzamt vom 19.03.2009 legte der Kläger mit Schreiben vom 31.03.2009 Einspruch gegen den Haftungsbescheid ein, der als unzulässig, weil verspätet, verworfen wurde. Die Klage blieb erfolglos.

Entscheidung

Das FG und das Finanzamt haben den Einspruch des Klägers zu Unrecht als verspätet angesehen. Die Existenz eines Haftungsbescheids ist dem Kläger am 19.03.2009 durch Bekanntgabe der Zahlungsaufforderung zur Kenntnis gelangt und er hat innerhalb eines Monats Einspruch eingelegt. Durch öffentliche Bekanntmachung kann zugestellt werden, wenn die Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes erfolgen müsste, aber unausführbar ist oder keinen Erfolg verspricht (§ 15 Abs. 1 Buchst. c VwZG a.F.). Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen ist unter den Beteiligten nur streitig, ob ein Haftungsbescheid einer deutschen Finanzbehörde über Steuerschulden in der Schweiz von dem dortigen Ausschluss einer Amtshilfe bei der Zustellung in Fiskalsachen erfasst ist, so dass eine Zustellung in der Schweiz keinen Erfolg versprach. Das FG hat dies bejaht, dem ist beizupflichten.

Das Finanzamt hat darüber hinaus auch beachtet, dass die öffentliche Zustellung als "letztes Mittel" der Bekanntgabe anzusehen ist und deshalb erst dann in Betracht kommt, wenn alle anderen Möglichkeiten, dem Empfänger das Schriftstück zuzustellen, erschöpft sind (BVerfG-Beschluss vom 26.10.1987). Denn das Finanzamt hat den Kläger durch Schreiben vom 29.01.2004 dazu aufgefordert, einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu bestellen (§ 123 S. 1 AO). Dabei konnte, worin dem FG zuzustimmen ist, die Aufforderung mit einfachem Brief übermittelt werden, da eine (Auslands-)Zustellung auch insoweit ausgeschlossen war. Der Einwand des Klägers, diese Aufforderung nicht erhalten zu haben, ist dabei nicht von entscheidender Bedeutung.

Bei einer öffentlichen Zustellung ist die öffentliche Zustellung und der Inhalt des Schriftstücks dem Empfänger formlos mitzuteilen, soweit seine Anschrift bekannt ist und Postverbindung besteht (§ 15 Abs. 5 S. 2 VwZG a.F.). Die formlose Mitteilung ist jedoch nicht als Voraussetzung der wirksamen Bekanntgabe anzusehen. Dass das Finanzamt es unterlassen hat, dem Kläger die öffentliche Zustellung und den Inhalt des Schriftstücks formlos (per Post) mitzuteilen, berührt die Zulässigkeit des Einsatzes dieser Zustellungsform - und damit auch die Rechtsfolge der Bekanntgabefiktion - nicht.

Dem Kläger war jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) zu gewähren, so dass sein Einspruch vom 31.03.2009 eine Sachentscheidung des Finanzamtes im Einspruchsverfahren erforderlich macht. Der Kläger hat innerhalb einer Frist von einem Monat nach dem Bekanntwerden der auf die Existenz einer Haftungsschuld gestützten Zahlungsaufforderung Einspruch gegen den Haftungsbescheid unter Hinweis auf ein unverschuldetes Versäumen der Einspruchsfrist (keine Kenntnis des Haftungsbescheids, keine Kenntnis des Ankündigungsschreibens und der Aufforderung i.S. des § 123 S. 1 AO) eingelegt. Ein Nachweis, dass der Kläger das Schreiben des Finanzamtes vom 29.01.2004 erhalten hat, kann nicht geführt werden. Es kann dem Kläger damit nicht vorgehalten werden, sich nicht schon früher beim Finanzamt nach dem - bereits angekündigten - Erlass des Haftungsbescheids erkundigt zu haben. Im Übrigen konnte er nach der objektiven Gesetzeslage damit rechnen, vom Finanzamt formlos über die öffentliche Zustellung und den Inhalt des Schriftstücks informiert zu werden.

Betroffene Norm en

§ 15 VwZG a.F., § 123 AO, § 110 AO

Vorinstanz

Finanzgericht München, Urteil vom 27.04.2010, 6 K 3192/09, EFG 2010, S. 1674, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News

Fundstelle

BFH, Urteil vom 12.01.2011, I R 37/10, nicht amtlich veröffentlicht

Weitere Fundstellen

BVerfG, Beschluss vom 26.10.1987, 1 BvR 198/87, NJW 1988, S. 2361

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