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08.02.2013
Verfahrensrecht

BFH: Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung bei fehlendem Hinweis auf elektronischen Rechtsverkehr

Es ist nicht erforderlich, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung einen ergänzenden Hinweis auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung per E-Mail als Alternative zur Schriftlichkeit im Sinne der hergebrachten Schriftform enthält. Der Hinweis auf die Schriftform (§ 357 Abs. 1 S. 1 AO) ist nicht geeignet bei einem objektiven Empfänger die Fehlvorstellung hervorzurufen, die Einlegung eines Einspruchs in elektronischer Form werde den geltenden Formvorschriften nicht gerecht.

Sachverhalt

Im Streitfall legte die Klägerin nach Ablauf der Monatsfrist Einspruch gegen einen Steuerbescheid ein. Der Bescheid trägt keinen Hinweis auf eine E-Mail-Adresse des Finanzamtes, die sich allerdings aus der allgemeinen Homepage www.finanzamt.nrw.de ergibt. Die beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung lautet: "Der Einspruch ist bei dem auf Seite 1 bezeichneten Finanzamt schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären. Auch der Steuerschuldner kann Einspruch einlegen. Die Frist für die Einlegung beträgt ..."

Unter Hinweis auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 24.11.2011 vertritt die Klägerin die Auffassung, dass ihr nach Ablauf der Monatsfrist eingelegter Einspruch rechtzeitig erhoben worden sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides sei unrichtig, da ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung per E-Mail fehle und somit die Einlegung des Einspruchs binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Bescheids zulässig sei (§ 356 Abs. 2 AO).

Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des strittigen Bescheids lehnte das Finanzamt ab, da der Einspruch verfristet sei. Ein beim FG Münster gestellter AdV-Antrag blieb ebenfalls erfolglos.

Entscheidung

Das FG hat die beantragte AdV zu Recht abgelehnt. Es fehlt angesichts der verspäteten Einlegung des Rechtsbehelfs und der daran anschließenden formellen Bestandskraft des streitgegenständlichen Bescheids an den für die AdV-Gewährung erforderlichen ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsakts.

Die Frist für die Einlegung des Einspruchs beginnt bei einem schriftlich oder elektronisch ergangenen Verwaltungsakt nur dann, wenn der Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form belehrt worden ist (§ 356 Abs. 1 AO). Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Einspruchs nur binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig, es sei denn, dass die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder schriftlich oder elektronisch darüber belehrt wurde, dass ein Einspruch nicht gegeben sei (§ 356 Abs. 2 S. 1 AO). Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist danach dann unrichtig, wenn sie die in § 356 Abs. 1 AO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Die in dem strittigen Bescheid enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung ist danach nicht unrichtig. Die Monatsfrist (§ 355 Abs. 1 S. 1 AO) konnte deshalb nicht unbeachtet bleiben.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Rechtsbehelfsbelehrung die in § 356 Abs. 1 AO ausdrücklich angeführten Bestandteile (Belehrung "über den Einspruch", über die Behörde als Adressaten und über die Frist) in der danach notwendigen Form (im konkreten Fall: schriftlich) enthält. Damit ist den gesetzlichen Anforderungen, die an den Inhalt der Belehrung "über den Einspruch" zu stellen sind, genügt. Weiterer über den Wortlaut von § 356 Abs. 1 AO hinausgehender Belehrungen zur Zulässigkeit des Rechtsbehelfs bedarf es nicht.

Die Abgabenordnung ermöglicht zwar nach dem Inkrafttreten des § 87a AO eine elektronische Kommunikation zwischen der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen und es ist auch zutreffend, insoweit von einer "elektronischen Form" der Rechtsbehelfseinlegung zu sprechen (BFH-Beschluss vom 26.07.2011). Eine Belehrung entsprechend dem Gesetzeswortlaut des § 357 Abs. 1 S. 1 AO („Der Einspruch ist schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären“) ist aber nicht geeignet, bei einem "objektiven" Empfänger die Fehlvorstellung hervorzurufen, die Einlegung eines Einspruchs in elektronischer Form werde den geltenden Formvorschriften nicht gerecht (so im Ergebnis auch BFH-Beschluss vom 02.02.2010; FG Köln, Urteil vom 30.05.2012; FG Düsseldorf, Urteil vom 20.11.2012). Vielmehr lässt sich aus einer solchen, an den gesetzlichen Anforderungen als "Mindeststandard" ausgerichteten Belehrung allenfalls schlussfolgern, dass eine mündliche Einspruchseinlegung (soweit nicht bei der Behörde zur Niederschrift erklärt) ausgeschlossen ist. Zur (Un-)Möglichkeit der elektronischen Form wird jedoch keine positive Aussage getroffen und kann daher auch keine negative Aussage abgeleitet werden. Der Hinweis auf die "Schriftlichkeit" entsprechend § 357 Abs. 1 S. 1 AO wirkt deshalb weder irreführend noch rechtsschutzbeeinträchtigend. Er versetzt vielmehr den Betroffenen lediglich in die Lage - und gibt ihm Anlass -, sich im Rahmen seiner verfahrensrechtlichen Mitverantwortung darüber kundig zu machen, ob das herkömmliche Verständnis dessen, was unter "schriftlich" aufzufassen ist, angesichts technischer Weiterentwicklungen zu modifizieren ist, sei es durch den "Einsatz" beispielsweise sog. Computerfaxe, sei es durch die elektronische Kommunikation, wie diese zwischenzeitlich durch § 87a AO für das Einspruchsverfahren ermöglicht wird (vgl. BFH-Urteil vom 07.03.2006 zur insoweit vergleichbaren Situation der Fristberechnung). Erforderlichenfalls ist er gehalten, einschlägigen Rechtsrat oder aber eine finanzbehördliche Auskunft einzuholen. Für eine bloß "mechanische" Übernahme des Schriftformerfordernisses gibt die Belehrung indessen nichts her.

Betroffene Norm
§ 355 Abs. 1 S. 1 AO; § 356 Abs. 1 und 2 AO; § 357 Abs. 1 AO

Anmerkungen
Anderer Auffassung ist das Niedersächsische FG. Dieses hat mit Urteil vom 24.11.2011 entschieden, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung, die keinen Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung des Einspruchs enthält, unrichtig ist mit der Folge, dass sich die Einspruchsfrist von einem Monat zur Jahresfrist verlängert. Die Revision ist beim BFH anhängig (X R 2/12).

Vorinstanz
Finanzgericht Münster, Beschluss vom 06.07.2012, 11 V 1706/12 E, EFG 2012, S. 1811

Fundstelle
BFH, Beschluss vom 12.12.2012, I B 127/12, BStBl II 2013, S. 272 

Weitere Fundstellen
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 24.11.2011, 10 K 275/11, EFG 2012, S. 292, BFH-anhängig X R 2/12, siehe Deloitte Tax News
BFH, Beschluss vom 26.07.2011, VII R 30/10, BStBl II 2011, S. 925, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Beschluss vom 02.02.2010, III B 20/09, BFH/NV 2010, S. 830
Finanzgericht Köln, Urteil vom 30.05.2012, 10 K 3264/11, EFG 2012, S. 1813
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 20.11.2012, 10 K 766/12 E, juris
BFH, Urteil vom 07.03.2006, X R 18/05, BStBl II 2006, S. 455

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