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20.01.2022
Verfahrensrecht

BFH: Verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe von Säumniszuschlägen

Der BFH hat für Jahre ab 2012 jedenfalls insoweit erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen, als den Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern diese eine zinsähnliche Funktion haben. Er gewährt daher im Streitfall Aussetzung der Vollziehung.

Sachverhalt

Strittig war die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der in einem Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge.

Der Antragsteller begehrte im zugrundeliegenden Fall die Aufhebung der in einem Abrechnungsbescheid ausgewiesenen hälftigen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer für August 2018 für den Zeitraum vom 11.10.2018 bis zum 10.11.2018. Zur Begründung führte er an, dass Säumniszuschläge sowohl einen Druck- als auch einen Zinscharakter aufwiesen und soweit in den Säumniszuschlägen ein Zinsanteil enthalten sei, dieser von den verfassungsrechtlichen Zweifeln des BFH zur Höhe des gesetzlich vorgegebenen Zinssatzes von 6% erfasst werde. Um den Druckcharakter der Zinsen ginge es ihm in dieser Sache hingegen nicht. Der Antragsteller beantragte die Aussetzung der Vollziehung des Abrechnungsbescheids. Das FG lehnte den Antrag ab.

Entscheidung

Der BFH hat dem Antrag nun stattgegeben und die Vollziehung des Bescheids in Höhe der streitgegenständlichen Säumniszuschläge ausgesetzt.

Bisherige Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Nachzahlungszinsen

Nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung (zum Zeitpunkt des hier dargestellten BFH-Beschlusses vom 26.05.2021 war der Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021, siehe Deloitte Tax-News, noch nicht veröffentlicht) bestehen gegen die Höhe der in § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO normierten Zinssätze für Nachzahlungs- und Aussetzungszinsen ab dem Jahr 2012 erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, die eine Aussetzung der Vollziehung geboten erscheinen lassen (vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 25.04.2018, IX B 21/18 und vom 03.09.2018, VIII B 15/18).

Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung hat der BFH zudem bereits festgestellt, dass auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 S. 1 AO bestehen (vgl. BFH-Beschluss vom 14.04.2020, VII B 53/19 und BFH-Urteil vom 30.06.2020, VII R 63/18). Dies gilt aus Sicht des BFH jedenfalls insoweit, als Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 21.10.2020, VII B 121/19; zur Einordnung von Säumniszuschlägen als Druckmittel mit Zinscharakter vgl. auch BFH-Urteil vom 25.02.1997, VII R 15/96). Ob und inwieweit der weitere Zweck, den Verwaltungsaufwand auszugleichen, hier ebenfalls zu berücksichtigen ist, sei bislang nicht entschieden.

Ergebnis

Vor diesem Hintergrund war nach Auffassung des BFH im zugrundeliegenden Fall die Vollziehung des angefochtenen Abrechnungsbescheids hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer in der beantragten hälftigen Höhe aufzuheben.

Betroffene Normen

§ 240 AO

Streitjahr 2018

Anmerkung

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, siehe Deloitte Tax News) die Regelungen für die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen ab 2014 in ihrer Höhe von monatlich 0,5% für verfassungswidrig erklärt. Eine übergangsweise Weiteranwendung der Verzinsungsregelung wird nur noch für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume zugelassen (Fortgeltungsanordnung). Für ab in das Jahr 2019 fallende Verzinsungszeiträume sind die Vorschriften dagegen unanwendbar. Dem Gesetzgeber ist aufgegeben, bis zum 31.07.2022 eine neue (bis einschließlich 2019 zurückwirkende) gesetzliche Neuregelung zu treffen.

Zum Zeitpunkt des oben dargestellten Beschlusses des BFH (vom 26.05.2021) war der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 08.07.2021 allerdings noch nicht veröffentlicht und konnte folglich nicht berücksichtigt werden. Zumindest für Zeiträume ab 01.01.2019 dürfte der o.g. Beschluss des BFH (vom 26.05.2021) allerdings Bedeutung haben und folglich sollten auch entsprechende Säumniszuschläge betreffende Anträge auf Aussetzung der Vollziehung in Absprache mit den Mandanten in Erwägung gezogen werden.

Weitere Rechtsprechung

FG Münster, Beschluss vom 16.12.2021, 12 V 2684/21 AO

Das FG Münster hat die vom BFH geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von ab 2019 entstandenen Säumniszuschlägen bestätigt. Abweichend von der Auffassung des BFH ist das FG der Ansicht, dass die Regelung zur gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder verfassungswidrig sein kann und es keine Teil-Verfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm (hier die zinsähnliche Funktion von Säumniszuschlägen) geben kann.

FG Münster, Beschluss vom 11.01.2022, 12 V 1805/21

Das FG Münster vertritt die Auffassung, dass erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge bestehen, soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind. Nach dem FG bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschlägen. Das FG Münster beruft sich hierbei auf den o.g. mittlerweile veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, siehe Deloitte Tax News), mit dem die Regelungen für die Verzinsung von Steueransprüchen für ab in das Jahr 2019 fallende Verzinsungszeiträume für unanwendbar erklärt wurden. Folglich wendet das FG Münster die zu den Verzinsungsregelungen nach den §§ 233a, 238 AO ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den in den Säumniszuschlägen nach § 240 AO enthaltenen Zinsanteil analog an.

Vorinstanz

Finanzgericht Münster, Beschluss vom 29.05.2020, 12 V 901/20, EFG 2020, S. 1053 

Fundstelle

BFH, Beschluss vom 26.05.2021, VII B 13/21 (AdV)

Weitere Fundstellen

FG Münster, Beschluss vom 11.01.2022, 12 V 1805/21

FG Münster, Beschluss vom 16.12.2021, 12 V 2684/21 AO 

BVerfG, Beschluss vom 08.07.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Beschluss vom 21.10.2020, VII B 121/19, BFH/NV 2021, S. 326

BFH, Urteil vom 30.06.2020, VII R 63/18, BStBl II 2021, S. 191

BFH, Beschluss vom 14.04.2020, VII B 53/19, BFH/NV 2021, S. 177

BFH, Beschluss vom 03.09.2018, VIII B 15/18, BFH/NV 2018, S. 1279, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Beschluss vom 25.04.2018, IX B 21/18, BStBl II 2018, S. 415, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 25.02.1997, VII R 15/96, BStBl II 1998, S. 2

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