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09.04.2010
Verfahrensrecht

BFH: Vorrang eines Auskunftsersuchens gemäß § 93 AO gegenüber einem Vorlageverlangen nach § 97 AO

Sachverhalt

Im Rahmen einer Außenprüfung forderte der Betriebsprüfer von A die Vorlage von Auszügen für das von ihm bei einer Bank unterhaltene Konto. Hiermit sollte geprüft werden, ob A aufgrund regelmäßiger Abhebungen von dem Konto genügend Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung gestanden hatten. Andernfalls waren nach Ansicht des Prüfers Hinzuschätzungen zu den von A erklärten steuerpflichtigen Einnahmen vorzunehmen. Da A die Kontoauszüge nach seinen Angaben nicht aufbewahrt hatte, verlangte das Finanzamt von der Bank gemäß § 97 AO die Vorlage der Kontoauszüge für den geprüften Zeitraum. Als Begründung wurde angeführt, dass A dem Vorlageverlangen nicht nachgekommen sei. Eine Sachverhaltsaufklärung sei deshalb unmöglich. Die Bank lehnte die begehrte Vorlage unter Verweis auf § 97 Abs. 2 S. 1 AO und ein bisher fehlendes Auskunftsersuchen nach § 93 AO ab.

Entscheidung

Nach § 97 Abs. 1 S. 1 AO kann die Finanzbehörde von den Beteiligten und anderen Personen die Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Urkunden zur Einsicht und Prüfung verlangen. Das Vorlageverlangen verstößt im Streitfall indes gegen § 97 Abs. 2 S. 1 AO. Danach soll die Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Urkunden in der Regel erst dann verlangt werden, wenn der Vorlagepflichtige eine Auskunft nicht erteilt hat, die Auskunft unzureichend ist oder Bedenken gegen ihre Richtigkeit bestehen. § 97 Abs. 2 S. 1 AO dient somit der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Finanzbehörden müssen einen Sachverhalt in erster Linie durch die Einholung von Auskünften aufklären. Das Vorlageverlangen ist lediglich hilfsweise zulässig, weil Aufklärungsmaßnahmen Eingriffscharakter haben und deshalb unter mehreren Alternativen das mildeste Mittel auszuwählen ist. Der Gesetzgeber ist insoweit in § 97 Abs. 2 S. 1 AO in Ausgestaltung des verfassungsrechtlich verankerten Grundsatzes der Erforderlichkeit davon ausgegangen, dass die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach § 93 AO regelmäßig das weniger belastende Mittel als die Verpflichtung zur Vorlage von Urkunden ist. 

Entsprechend den vorgenannten Erwägungen hat der Gesetzgeber § 97 Abs. 2 S. 1 AO als Sollvorschrift ausgestaltet. Die Finanzbehörde darf nur in atypischen Fällen von der dieser Vorgabe abweichen. Dabei ist am Zweck der Vorschrift zu messen, ob ein atypischer Fall vorliegt. Die Vorlage von Urkunden ohne vorheriges Auskunftsersuchen kann gefordert werden, wenn das Vorliegen steuerrelevanter Tatsachen nur durch die Vorlage eines Schriftstückes beweisbar oder eine Auskunft zur Wahrheitsfindung untauglich ist. Die Norm des § 97 Abs. 2 S. 1 AO ist eine Vorschrift im Interesse und zugunsten des Vorlagepflichtigen. Daher berechtigt allein die Tatsache, dass die Vorlage einer Urkunde das geeignetste Aufklärungsmittel ist, die Finanzbehörde nicht dazu, von einem Auskunftsersuchen abzusehen und sofort die Urkundenvorlage zu verlangen. Es ist deshalb Aufgabe des Finanzamts, das Vorliegen eines atypischen Falles darzulegen. 

Im Streitfall liegt kein atypischer Fall i.S. des § 97 Abs. 2 S. 1 AO vor, der das unmittelbare Vorlageverlangen des Finanzamts rechtfertigen könnte. Das Finanzamt hat die Vornahme von Zuschätzungen bei der Besteuerung des A als erforderlich angesehen, wenn A nicht aufgrund regelmäßiger Abhebungen von dem Konto genügend Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung gestanden hatten. Hier wäre es dem Finanzamt möglich gewesen, die Bank im Wege eines Auskunftsverlangens dazu aufzufordern, zur Frage regelmäßiger Abhebungen Stellung zu nehmen. Insoweit hätte die Frage, ob A in dem entsprechenden Zeitraum regelmäßige Barabhebungen von dem Konto vorgenommen hat, zur Aufklärung des Sachverhalts ausgereicht. Es wäre der Bank unter Heranziehung ihrer Kontounterlagen möglich gewesen, diese Fragen zu beantworten. Es ist zudem nicht erkennbar, dass bei der Bank mit unzureichenden oder unrichtigen Angaben in einer Auskunft zu rechnen gewesen wäre. Im Übrigen hätte die Bank entscheiden können, ob sie das Auskunftsverlangen ggf. freiwillig durch die Vorlage von Kontoauszügen beantworten wolle.

Vorinstanz

Finanzgericht Köln, Urteil vom 13.08.2008, 4 K 4618/07, EFG 2008, S. 1760.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 24.02.2010, II R 57/08, BStBl II 2011, S. 5

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