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URL: http://www.deloitte-tax-news.de/steuern/verfahrensrecht/fg-berlin-brandenburg-zinssatz-fuer-aussetzungszinsen-verfassungsgemaess.html
01.07.2015
Verfahrensrecht

BFH: Zinssatz für Aussetzungszinsen nicht verfassungswidrig

Mit Urteil vom 14.04.2015 hat der BFH die Auffassung des FG Berlin-Brandenburg bestätigt. Auch der BFH hält den Zinssatz für Aussetzungszinsen von 6 % p.a. nicht für verfassungswidrig. Eine Vorlage an das BVerfG ist somit nicht geboten.
BFH, Urteil vom 14.04.2015, IX R 5/14
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FG Berlin-Brandenburg (Vorinstanz)
Der Zinssatz von 6 % p.a. für Aussetzungszinsen ist verfassungsgemäß, auch unter Berücksichtigung einer längeren Aussetzungsdauer. Bei Bestimmung der abzuschöpfenden Liquiditätsvorteile ist primär auf einen Steuerpflichtigen abzustellen, der mit Kredit arbeitet.

Sachverhalt

Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid 2006 Einspruch ein und beantragte beim Finanzamt Aussetzung der Vollziehung (AdV), die für die Dauer des Einspruchsverfahrens gewährt wurde. Im Anschluss an die Einspruchsentscheidung setzte das Finanzamt Aussetzungszinsen fest. Hiergegen erhob der Kläger Klage, da die Zinsfestsetzung wegen dem nicht marktgerechten Zinssatz i.H.v. 6 % verfassungswidrig sei.

Entscheidung

Das Finanzamt habe zu Recht einen Zinssatz von 6 % p. a. bei der Zinsfestsetzung berücksichtigt. Nach Ansicht des FG sei dieser nicht unverhältnismäßig und somit auch nicht verfassungswidrig, auch nicht unter Berücksichtigung der Dauer der Aussetzung.

Nach der neueren BFH-Rechtsprechung komme es nicht auf den Zinsnachteil des Fiskus, sondern ausschließlich auf den Vorteil, den der Steuerpflichtige durch die Aussetzung erhalte, an. Aussetzungszinsen sollen den Vorteil ausgleichen, den der Steuerpflichtige deswegen gehabt habe, weil er von der Zahlung geschuldeter Steuern vorerst freigestellt wäre. Der Zinssatz bewerte typisierend den aus der Verfügung über Bargeld herrührenden Liquiditätsvorteil (BFH-Urteil vom 20.09.1995). In Höhe der Zinsen habe der Steuerpflichtige einen Zinsvorteil erlangt, der ihm nach dem materiellen Recht nicht zustehe. (BFH-Urteil vom 09.12.1998).

In der Praxis würden Anträge auf AdV nach Einschätzung des FG sehr viel häufiger von Privatpersonen oder Unternehmen gestellt, die mit Kredit arbeiten und eine Erhöhung ihrer Kreditlinie bei ihrer Bank nicht mehr erreichen können, als von Steuerpflichtigen, die das Geld, das sie zunächst nicht zu zahlen bräuchten, anlegen würden. Bei Bestimmung der abzuschöpfenden Liquiditätsvorteile sei daher primär der Steuerpflichtige in den Blick zu nehmen ist, der mit Kredit arbeite (arbeiten müsse).

Weiter stehe es dem Steuerschuldner frei, AdV zu beantragen. Arbeite er nicht mit Kredit, sondern mit Guthaben, könne er zunächst zahlen und bekäme im Erfolgsfalle aufgrund der Vollverzinsung von Erstattungen (§ 233a AO) in aller Regel den Erstattungsbetrag dann mit 6 % Zinsen p. a. verzinst. Aufgrund der Bonität des deutschen Fiskus und des damit verbundenen extrem geringen „Anlagerisikos“ stelle sich diese Verzinsung jedenfalls derzeit als deutlich marktüberdurchschnittlich dar.

Das FG entnehme vielmehr der Erfahrung, dass derzeit von Banken übliche, nicht besicherte, regelhafte Geschäfts- wie Privatkredite zu Zinsen in der Spannbreite von 6 % bis 9 % p. a. ausgereicht werden. Der Zinssatz für Aussetzungszinsen in Höhe von 6 % p. a. sei daher auch derzeit noch und erst recht im Streitzeitraum als „laufzeitabhängiges Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldbetrags“ angemessen und somit keineswegs unverhältnismäßig und daher auch nicht verfassungswidrig.

Aufgrund der Angemessenheit des Zinssatzes komme es auch auf die Dauer der Aussetzung und eine möglicherweise durch die Finanzverwaltung zu vertretende Verfahrensverzögerung nicht an. Denn die Aussetzungszinsen seien gerade das laufzeitabhängige Entgelt für die Überlassung des Geldbetrages. Daraus ergebe sich, dass der (angemessene) Zins auch dann gezahlt werden müsse, wenn die Aussetzung lange gedauert habe. Die Laufzeitabhängigkeit rechtfertige die Zinserhebung auch dann, wenn ohne Zutun des Steuerpflichtigen die angemessene Verfahrensdauer (hier: des Einspruchsverfahrens) überschritten werde.

Anmerkung

FG Köln vom 27.04.2017 und FG Münster vom 17.08.2017
Während der BFH bereits für Zeiträume bis einschließlich 2013 entschieden hat, dass der Zinssatz u.a. für Nachzahlungszinsen nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO in Höhe von 6 % pro Jahr nicht verfassungswidrig ist, kamen nun die Finanzgerichte Köln und Münster zu dem Schluss, dass die Höhe des Nachzahlungszinssatzes auch für die Jahre 2014 und 2015 keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (siehe Deloitte Tax-News). 

Verfassungsbeschwerde anhängig
Im Anschluss an ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW (vom 10.07.2014, 14 A 1196/13) ist beim BVerfG eine Verfassungsbeschwerde (1 BvR 2237/14) eingelegt worden, die sich gegen die in § 238 Abs. 1 S. 1 AO festgelegte Höhe des Zinssatzes richtet (Nachforderungszinsen zur GewSt 2003).

BFH-Beschluss vom 31.05.2017
Mit Beschluss vom 31.05.2017, I R 77/15 (Vorinstanz: Thüringer FG, Urteil vom 22.04.2015, 3 K 889/13, EFG 2016, S. 354) hat der BFH einen Erlass von Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen mit der Begründung, dass gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit bzw. Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes von monatlich 5% bestünden, abgelehnt. Der Auffassung der Vorinstanz, wonach die Möglichkeit, sich im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsbescheide und die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes zu wenden, es nicht ausschließe, diese Einwände grundsätzlich auch im Erlassverfahren als sachliche Billigkeitsgründe vorzubringen, folgte der BFH nicht.

Allgemeinverfügung: Zurückweisung der Einsprüche wegen Zweifels an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO
Die obersten Finanzbehörden der Länder haben mit einer Allgemeinverfügung vom 16.12.2015 alle wegen Zweifels an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO für Verzinsungszeiträume vor dem 01.01.2012 eingelegten Einsprüche und gestellten Änderungsanträge zurückgewiesen. Siehe Deloitte Tax-News

BFH-Urteil vom 01.07.2014
Für den Verzinsungszeitraum 11.11.2004 bis 21.03.2011 hatte der BFH bereits mit Urteil vom 01.07.2014 entschieden, dass der gesetzliche Zinssatz von 0,5% pro Monat (bzw. 6% p.a.) nicht verfassungswidrig ist. Auch für den vorliegend streitigen Verzinsungszeitraum 03.06.2008 bis 05.12.2011 hat der BFH nun mit Urteil vom 14.04.2015 festgestellt, dass sich die das Zinsniveau bestimmenden Verhältnisse nicht in einer Weise geändert haben, dass Anlass bestünde, hiervon abzuweichen.

Betroffene Normen

§ 233a AO, § 237 AO, § 238 AO
Streitjahr 2006

Fundstellen

BFH, Urteil vom 14.04.2015, IX R 5/14, nicht amtlich veröffentlicht
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.01.2014, 3 K 3079/13, BFH-anhängig: IX R 5/14

Weitere Fundstellen

Finanzgericht Münster, Urteil vom 17.08.2017, 10 K 2472/16, Revision zugelassen, siehe Deloitte Tax-News 
Finanzgericht Köln, Urteil vom 27.04.2017, 1 K 3648/14, Revision zugelassen, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Beschluss vom 31.05.2017, I R 77/15
Finanzgericht München, Urteil vom 21.07.2015, 6 K 1144/15, BFH-anhängig: III R 16/16
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 10.3.2016, 16 K 2976, BFH-anhängig: III R 10/16
Verfassungsbeschwerde beim BVerfG anhängig: 1 BvR 2237/14 (mit der Beschwerde angegriffene Entscheidung: OVG Nordrhein-Westfalen, 10.07.2014, 14 A 1196/13, Vorinstanz : VG Düsseldorf, 22.03.2013, 25 K 6604/12, Zinsbescheid der Stadt Krefeld)
BFH, Urteil vom 09.12.1998, XI R 24/98, DStR 1999, S. 499
BFH, Urteil vom 20.09.1995, X R 86/94, DB 1996, S. 311
FG Hamburg, Urteil vom 23.05.2013, 2 K 50/12, EFG 2013, S. 1734, BFH-anhängig IX R 31/13
BFH, Urteil vom 01.07.2014, IX R 31/13

 

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