Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben, da das FG seiner Ansicht nach zu Unrecht eine Änderung des Körperschaftsteuerbescheids zu Lasten des Klägers abgelehnt hat. Im Rahmen der Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide nach § 174 Abs. 4 AO ist der bestimmten Sachverhalt nicht auf einen Veranlagungszeitraum zu begrenzen. Es ist vielmehr der einheitliche, für die Besteuerung maßgebliche Sachverhaltskomplex zu erfassen, aus dem die richtigen steuerlichen Folgerungen ohne Rücksicht auf den Besteuerungszeitraum zu ziehen sind.
BFH, Urteil vom 14.11.2012, I R 53/11, nicht amtlich veröffentlicht, siehe Deloitte Tax-News
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Der Kläger war von 1990 bis 1992 zunächst mit 49,3 % und später mit 100 % an einer irischen Kapitalanlagegesellschaft (B) beteiligt. Im Anschluss an eine für die Jahre 1989 bis 1993 durchgeführte Außenprüfung folgte das Finanzamt (Beklagter) der Auffassung des Prüfungsfinanzamtes, das in der "Zwischenschaltung" der B einen Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO sah. Die Änderungsbescheide führten daraufhin im Streitjahr 1990 zu einer niedrigeren und in den Folgejahren zu einer höheren KSt-Festsetzung. In Folge des BFH-Urteils vom 25.02.2004 zu § 42 AO und einer dem Urteil zustimmenden Stellungnahme des BMF vom 28.12.2004 wurde die Beteiligung an der B nicht länger als rechtsmissbräuchlich angesehen. Das Finanzamt setzte die Körperschaftsteuer für die Veranlagungszeiträume 1991 und 1992 herab, setzte aber mit Verweis auf § 174 Abs. 4 AO die Körperschaftsteuer für den Veranlagungszeitraum 1990 herauf.
Das Finanzamt sei nicht befugt gewesen, den im Anschluss an die Betriebsprüfung ergangenen Körperschaftsteuerbescheid 1990 gem. § 174 Abs. 4 AO zu Lasten des Klägers zu ändern.
Anders als § 174 Abs. 1 bis 3 AO setzt § 174 Abs. 4 AO nicht voraus, dass die Berücksichtigung des Sachverhalts in dem einen Steuerbescheid die weitere Berücksichtigung desselben Sachverhalts bei einem anderen Steuerpflichtigen einer anderen Steuerart oder in einem anderen Veranlagungszeitraum denkgesetzlich ausschließt. Der Begriff des "bestimmten Sachverhalts" bedürfe aber bei gleichförmig über mehrere Veranlagungszeiträume andauernden Sachverhalten einer Einschränkung durch das Periodenprinzip. Ohne eine solche Einschränkung würde die Anwendung des wie in diesen Fällen eine ausufernde, die Regeln der Bestandskraft in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise aushöhlende Änderungsbefugnis bzw. -pflicht nach sich ziehen.
Wenn ein gleichförmiger Sachverhalt über viele Veranlagungszeiträume der Besteuerung zu Grunde gelegt worden ist, und der Steuerpflichtige in einem Veranlagungszeitraum die Aufhebung eines ihn belastenden Steuerbescheides wegen der bis dahin irrigen Beurteilung des Sachverhaltes erstreitet, müssten nach der oben dargelegten Definition sämtliche bereits bestandskräftig veranlagten Jahre zu Gunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen geändert werden. Selbst die Begrenzung durch die Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO) setzte wegen der weitgehenden Ablaufhemmung nach § 174 Abs. 4 Sätze 3 und 4 AO erst sehr spät ein. Dass dies mit dem Telos der Vorschrift nicht vereinbar ist, habe der BFH im Urteil vom 10.03.1999 bereits entschieden. Der BFH sei zu dem vom FG geteilten Ergebnis gekommen, dass § 174 Abs. 4 AO es nicht zulasse, dass die durch Rechtsbehelf erwirkte Änderung eines Bescheides zu Gunsten des Steuerpflichtigen auf bestandskräftige andere Bescheide übertragen werde.
In einem Besteuerungssystem, das auf einer periodenbezogenen Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen basiert und dessen periodenbezogene Steuerfestsetzungen selbst im Falle der Fehlerhaftigkeit über die Regelungen der Bestandskraft sowohl zum Vor- als auch zum Nachteil der Besteuerungsparteien vor Änderungen geschützt sind, müsse daher auch das Tatbestandsmerkmal "bestimmter Sachverhalt" in § 174 Abs. 4 AO eine einschränkende, periodenbezogene Definition erfahren. Das habe zur Folge, dass ein gleichförmig verwirklichter Lebenssachverhalt im Veranlagungszeitraum X1 nicht aus sich heraus zugleich als "bestimmter Sachverhalt" i.S.d. § 174 Abs. 4 im Veranlagungszeitraum X2 anzusehen sei.
Wende man diese Grundsätze auf den Streitfall an, sei als "bestimmter Sachverhalt" i.S.d. § 174 Abs. 4 AO das Halten der Beteiligung an der B und die damit einhergehende Erzielung von Einnahmen zu sehen. Der in dem Halten der Beteiligung im Jahr 1991 verwirklichte Lebenssachverhalt sei bei einer den Wortlaut des § 174 Abs. 4 AO einschränkenden Betrachtung der Vorschrift aber nicht zugleich auch der "bestimmte Sachverhalt" des Veranlagungszeitraums 1990. Das habe zur Folge, dass das Finanzamt nicht befugt gewesen sei, den Körperschaftsteuerbescheid 1990 zu Lasten des Klägers zu ändern.
§ 174 AO, § 42 AO
Streitjahr 1990
Das FG hat die Revision zugelassen, weil die Frage, ob der Anwendungsbereich des § 174 Abs. 4 AO eine Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide erlaubt, wenn sich die rechtliche Würdigung eines in mehreren Jahren gleichförmig verwirklichten Sachverhalts ändert, einer höchstrichterlichen Entscheidung bedarf (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
BFH, Urteil vom 14.11.2012, I R 53/11, nicht amtlich veröffentlicht
Finanzgericht Köln, Urteil vom 09.06.2011, 13 K 3702/07, EFG 2011, S. 1856
BFH, Urteil vom 25.02.2004, I R 42/02, BStBl II 2005, S. 14
BFH, Urteil vom 10.03.1999, XI R 28/98, BStBl II 1999, S. 475
BMF, Schreiben vom 28.12.2004, IV B 4 – 1300 – 362/04, BStBl I 2005, S. 28
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