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13.04.2015
Transfer Pricing

Erweiterte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten – Was heißt das für Verrechnungspreispraktiker?

Im Falle von Auslandssachverhalten bestehen für die Beteiligten weitreichende Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO. Werden diese verletzt, können hieraus nachteilige Schlüsse für den Steuerpflichtigen gezogen werden. Es ist daher unumgänglich diese Pflichten zu kennen und sich damit auseinanderzusetzen.

Einleitung

Bedeutung, Reichweite und Umfang der Beweisvorsorgepflichten werden in der Verrechnungspreispraxis – vor allem im Hinblick auf steuerliche Außenprüfungen – oftmals unterschätzt. Die Rechtsprechung geht beispielsweise davon aus, dass es dem Steuerpflichtigen keineswegs unzumutbar sein, bei Aufnahme von Geschäftsbeziehungen zu verbundenen, im Ausland ansässigen Personen für mögliche Beweismittel zu sorgen.

Systematisch steht dabei dem Untersuchungsgrundsatz der Finanzverwaltung nach § 88 AO die Mitwirkungspflicht der im Rahmen eines steuerlichen Verfahrens Beteiligten nach § 90 AO gegenüber. Während § 90 Abs. 1 AO Bestimmungen zu den allgemeinen Mitwirkungspflichten enthält, die bestimmen, dass die Beteiligten insbesondere für die Besteuerung erhebliche Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen und ihnen bekannte Beweismittel anzugeben haben, sieht § 90 Abs. 2 AO umfassendere Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten für die Beteiligten bei Auslandssachverhalten vor. Das Gesetz geht davon aus, dass es dem Steuerpflichtigen aufgrund seiner „Beweisnähe“ eher zumutbar ist, entsprechende Tatsacheninformationen zu besorgen und bereit zu stellen, als dies auf Seiten der Finanzverwaltung im Rahmen der Amtsermittlungspflichten möglich und durchführbar wäre.

In § 90 Abs. 3 AO finden sich dann die bekannten Vorschriften zur Dokumentation von Verrechnungspreisen wieder. Die möglichen Konsequenzen einer Verletzung dieser Dokumentationspflichten reichen von einer Beweislastumkehr, einer erweiterten Schätzungsbefugnis bis – in extremen Fällen – ggf. zu steuerstrafrechtlichen Folgen.

Im Folgenden soll dargestellt werden, wie insbesondere die Vorschrift des § 90 Abs. 2 AO (erweiterte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten) zu verstehen ist und was diese für den Steuerpflichtigen in der Praxis bedeutet.

Aufklärungs- und Vorsorgepflichten

Nach § 90 Abs. 2 S. 1 AO haben die Beteiligten Auslandssachverhalte aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Wörtlich heißt es hierzu: „Sie haben dabei alle für sie bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.“ Die Finanzgerichtsbarkeit hat in diesem Zusammenhang bereits mehrfach festgestellt, dass Beweisvorsorgepflichten den Steuerpflichtigen dazu verpflichten, sich bereits bei Geschäftsabschluss eine solche Nachweismöglichkeit ggf. vertraglich zusichern zu lassen (vgl. FG Hamburg EFG 02, 881, 883; nachgehend BFH/NV 2004, 919; BFH/NV 2008, 1163; 2009, 965 u.a.). Weiter heißt es ergänzend in Absatz 2: „Ein Beteiligter kann sich nicht darauf berufen, dass er Sachverhalte nicht aufklären oder Beweismittel nicht beschaffen kann, wenn er sich nach Lage des Falls bei der Gestaltung seiner Verhältnisse die Möglichkeit dazu hätte beschaffen oder einräumen lassen können.“ Dies bedeutet aus verfahrensrechtlicher Sicht, dass es für die Verrechnungspreispraxis unerlässlich ist, entsprechende Informationszugangsbestimmungen in Verträgen auszubedingen, um die Erfüllung dieser „Vorsorgeverpflichtung“ sicherstellen zu können. Allerdings gilt auch hier der Vorbehalt „tatsächlicher und rechtlicher Unmöglichkeit“; dies bedeutet, dass eine Beweisvorsorge tatsächlich unmöglich sein kann, wenn z.B. der ausländische Vertragspartner die Kooperation verweigert und der Steuerpflichtige über keine Verhandlungsmacht verfügt, sich Beweismittel sichern zu lassen (vgl. Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 34). Strittig ist in diesem Zusammenhang, welche tatsächlichen Möglichkeiten eine Tochtergesellschaft grundsätzlich gegenüber ihrer Muttergesellschaft in Bezug auf die Herausgabe von Unterlagen haben kann. In der Regel werden ihr hierzu die gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten fehlen, solche vertraglichen Vereinbarungen durchzusetzen, so dass dies in diesem Fall die Vorsorgepflicht begrenzen könnte. Aber auch hier ist regelmäßig keine Pauschalisierung möglich und auf die Konstellation des Einzelfalles abzustellen (vgl. Fiedler/Riegel in: BB 2014, 3100; vgl. auch BMF v. 12.04.2005, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.3.2.).

Grenzen der Mitwirkungspflicht

Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen beziehen sich allein auf die Ermittlung des Sachverhalts und nicht etwa auf eine steuerliche Würdigung desselben. Ihr Umfang richtet sich nach dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ist daher immer nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen. Hierbei ist zu bedenken, dass – wie bereits oben erwähnt – historischer Hintergrund der Einführung der erweiterten Mitwirkungspflichten der Gedanke einer sogenannten Beweisnähe war, d.h. dem Steuerpflichtigen wurde die Sachverhaltsaufklärung und Beweismittelbeschaffung auferlegt, weil es deutschen Finanzbehörden im Ausland regelmäßig an entsprechenden Informationsbeschaffungs- und entsprechenden Durchsetzungsmöglichkeiten fehlt und ihnen damit regelmäßig der „Beweisnotstand“ droht. Damit steht der Steuerpflichtige umso mehr in der Pflicht zur Aufklärung des Sachverhaltes, je mehr Tatsachen und Beweismittels in den Bereich seines im Ausland verwirklichten Sachverhaltes fallen (vgl. Brockmeyer in: Klein, AO, § 90 Rz. 3). Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass

  1. der Steuerpflichtige nicht „in der Pflicht steht“, wenn die deutschen Finanzbehörden sich die Informationen auf andere zumutbare Weise beschaffen können;
  2. die Pflicht zur erweiterten Mitwirkung nur besteht, wenn auch Beweismittel im Ausland vorhanden sind und dem Steuerpflichtigen auch zugänglich sind. Der Steuerpflichtige ist daher nicht verpflichtet solche Beweismittel erst zu beschaffen oder den Nachweis ihrer „Nicht-Existenz“ zu erbringen;
  3. sich die Pflichten auf solche Auslandssachverhalte beschränken, die auch tatsächlich für die deutsche Besteuerung relevant sind oder sein können. Anfragen „ins Blaue“ der deutschen Finanzverwaltung sind nicht zulässig;
  4. nur der deutsche Steuerpflichtige als Beteiligter im Sinne der AO rechtlich zur Beweisvorsorge und Beweisbeschaffung verpflichtet ist und nicht der ausländische Partner. Es soll deutsche Betriebsprüfer geben, die den ausländischen Partner gerne mitprüfen wollen – dies ist allerdings nicht zulässig.

Besondere Schwierigkeiten ergeben sich dann, wenn – beispielsweise im Rahmen von Betriebsprüfungen – parallel steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Steuerpflichtigen eingeleitet worden sind. Ein ggf. parallel laufenden Steuerstrafverfahren, in dem sich ein Steuerpflichtiger als Beschuldigter grundsätzlich nicht selber belasten muss (siehe § 393 Abs. 1 AO), entbindet denselben Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren allerdings nicht von seinen Mitwirkungspflichten (vgl. BFH/NV 2006, 15; FG Münster EFG 2005, 1327). In der Praxis sind derartige Sachverhaltskonstellationen sehr problematisch, da die Grenze zwischen dem Selbstbelastungsverbot und der allgemeinen Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren nur schwer lösbar sind.

Schließlich ist zu beachten, dass auch ausländische Geheimhaltungspflichten (z.B. vertraglich vereinbarte Stillschweigeklauseln) die Mitwirkungspflichten nach § 90 AO nicht begrenzen. Die Mitwirkungspflichten können hierdurch jedoch eingeschränkt sein, wenn dargelegt werden kann, dass den Beteiligten ernsthaft eine Bestrafung bei Offenlegung droht. In solchen Fällen kann die Durchsetzung der Mitwirkungspflicht unverhältnismäßig sein (vgl. Fiedler/Riegel, in: BB 2014, 3100).

Folgen der Verletzung der Mitwirkungspflichten

Eine Verletzung der erweiterten Mitwirkungspflichten führt nach § 162 Abs. 2 S. 1 AO zu einer Schätzungsbefugnis der Finanzbehörden und nach § 162 Abs. 2 S. 3 AO zu einer Reduzierung des Beweismaßes bei Einkünftekorrekturen. Für die Praxis bedeutet dies, dass die Finanzverwaltung berechtigt ist, den schätzungsrelevanten Sachverhalt auch zum Nachteil des Steuerpflichtigen zu „interpretieren“ (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO, Rz. 20). Hierbei ist allerdings zu beachten, dass eine Schätzung niemals willkürlich oder von sachfremden Erwägungen (z.B. „Erziehung“ des Steuerpflichtigen) geprägt sein darf.

Erfüllung der Mitwirkungspflichten in der Praxis

Die Frage ob bestimmte angefragte Informationen der Finanzverwaltung tatsächlich vorzulegen sind, ist geradezu typisch für jede Betriebsprüfung. Insbesondere bei der Prüfung deutscher Tochtergesellschaften ausländischer Muttergesellschaften sind Anfragen zu Finanzinformationen der Konzernmutter oder ggf. anderer Konzernunternehmen in der Regel gängige Praxis.

Insbesondere bei Erhalt von Management-Dienstleistungen durch deutsche Gesellschaften werden seitens der Finanzverwaltung regelmäßig umfangreiche Informationen zur Kostenbasis der ausländischen Leistungserbringerin sowie zum Verteilungsschlüssel angefragt. Nach unseren Erfahrungen sind die ausländischen Leistungserbringer im Hinblick auf die Bereitstellung der angefragten Unterlagen eher zurückhaltend; in einer Vielzahl von Fällen wird die Bereitstellung auch schlichtweg verweigert. Wenn in diesen Fällen die Betriebsprüfung zur Ansicht gelangt, dass der Steuerpflichtige im Rahmen der Beweisvorsorgepflicht sich den Zugriff auf Unterlagen hätte „zusichern“ lassen können, kommt unter Beachtung der oben aufgezeigten Grenzen eine Schätzungsbefugnis in Betracht. Nach unseren Beobachtungen wird diese Möglichkeit von der Betriebsprüfung zunehmend genutzt. Daher sollte bereits bei Sachverhaltsverwirklichung, also bei Vertragsschluss oder Beginn der Leistungserbringung die leistungserbringende (Mutter-)Gesellschaft durch die deutsche leistungsempfangende (Tochter-)Gesellschaft auf die geltende Rechtslage in Deutschland aufmerksam gemacht werden. Sofern der Betriebsprüfung entgegen gehalten wird, die Unterlagen seien mangels rechtlicher oder tatsächlicher Einflussnahmemöglichkeit der inländischen Tochtergesellschaft auf die ausländische Muttergesellschaft nicht „besorgbar“ (vgl. BMF v. 12.04.2005. BStBl. 2005 I, 570, Tz. 3.3.2), so führt dies in aller Regel zu intensiven Diskussionen über eine etwaige Mitwirkungsverweigerung. In diesem Zusammenhang geht die Finanzverwaltung – jedenfalls bei Fragestellungen rund um Verrechnungspreissachverhalte und deren Dokumentation nach § 90 Abs. 3 AO – zunehmend davon aus, über die Vorschrift des § 162 Abs. 3 S. 3 AO schätzungsbefugt zu sein. Nach dieser – überaus umstrittenen – Regelung besteht zugunsten der Finanzverwaltung auch dann eine Schätzungsbefugnis, wenn die Dokumentationsverpflichtung durch den Steuerpflichtigen erfüllt worden ist, gleichzeitig jedoch Zweifel an der Fremdvergleichskonformität der Verrechnungspreise bestehen, die nicht ausgeräumt werden können, weil eine ausländische nahe stehende Person ihren Mitwirkungsverpflichtungen nach § 90 Abs. 2 AO nicht nachkommt. Abgesehen von der Tatsache, dass ausländische Steuerpflichtige bereits völkerrechtlich nicht deutschen Mitwirkungsverpflichtungen gem. § 90 AO unterliegen können, wird durch diese Vorschrift eine Art „Sippenhaft“ konstruiert, die bereits aus rechtsstaatlicher Perspektive äußerst bedenklich erscheint.

Fazit

Nach § 90 Abs. 2 AO werden Steuerpflichtige zu erweiterten Mitwirkungspflichten bei Sachverhalten mit Auslandsbezug verpflichtet. Da eine Verletzung dieser Pflichten in erheblichem Ausmaß zu nachteiligen Rechtsfolgen führen können, empfiehlt sich in der Praxis bereits bei der Gestaltung von grenzüberschreitenden Sachverhalten sicherzustellen, dass entsprechende Beweismittel vorliegen bzw. auf Anfrage beschafft werden können. Dies kann beispielweise durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen geschehen. Es ist davon auszugehen, dass mit einer zunehmenden Verrechtlichung der Materie „Verrechnungspreise“ eine Formalisierung der Prüfungspraxis einhergeht, die künftig die Fragestellung einer bereits bestehenden Schätzungsmöglichkeit zum Nachteil des Steuerpflichtigen stärker „ausreizen“ wird. Gleichzeitig muss überzogenen Forderungen der Finanzverwaltung mit Hinweis auf die Grenzen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit entschieden entgegengetreten werden. Somit bleibt die Erfüllung der erweiterten Mitwirkungspflichten ein Balanceakt für den Steuerpflichtigen, die auf Basis der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden ist.

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