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15.12.2020
Transfer Pricing

Extraterritoriale Besteuerung nach § 49 EStG – kurzer Schreck mit jähem Ende?

Lizenzerträge und Gewinne aus Rechteübertragungen zwischen ausländischen Rechtsträgern unterliegen in Deutschland der beschränkten Steuerpflicht, soweit diese auf in einem deutschen öffentlichen Buch oder Register eingetragene oder in einer inländischen Betriebsstätte verwertete Rechte entfallen. Auf diese in den vergangenen Jahrzehnten häufig unberücksichtigte Regelung reagierte das BMF Anfang November mit einem Schreiben, welches eine konsequente Aufarbeitung derartiger Fälle seitens der Finanzverwaltung vermuten ließ. Mit dem BMF-Referentenentwurf zum AbzStEntModG vom 19.11.2020 steht nun jedoch eine (teilweise) Abschaffung dieser Besteuerungsnorm im Raum. Doch wie kann die Besteuerungsgrundlage überhaupt ermittelt werden?

ORIP- /ETT-Steuerpflichten dem Grunde nach

Seit nunmehr etwa einem Jahrhundert schreibt das deutsche Einkommensteuergesetz in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. f und Nr. 6 EStG vor, dass Lizenzerträge und Gewinne aus Rechteübertragungen zwischen ausländischen Rechtsträgern in Deutschland der beschränkten Steuerpflicht unterliegen, soweit diese auf in einem deutschen öffentlichen Buch oder Register eingetragene oder in einer inländischen Betriebsstätte verwertete Rechte entfallen. Während sich für die Besteuerung laufender Lizenzerträge in der englischsprachigen Praxis der Terminus ORIP (Offshore receipt in respect of IP) etabliert hat, wird die Besteuerung von Gewinnen aus Rechteübertragungen häufig als ETT (Extraterritorial Taxation) referenziert. Aus deutscher Sicht ist es jedoch in aller Regel nicht unmittelbar ersichtlich, ob und inwiefern in Lizenz- bzw. IP-Kaufverträgen zwischen ausländischen Rechtsträgern auch in Deutschland eingetragenes IP (sog. deutsches Nexus-IP) inbegriffen ist – die daraus potentiell resultierende beschränkte Steuerpflicht in Deutschland wurde daher in der Vergangenheit häufig verkannt bzw. übersehen.

In jüngster Vergangenheit wurde diese Rechtsfrage anlässlich verstärkter Aktivitäten bei der Änderung von IP-Strukturen erstmalig aufgegriffen und anschließend in mehreren Publikationen diskutiert. Viele multinationale Unternehmensgruppen stellten daraufhin fest, dass auch sie Geschäftsbeziehungen zwischen im Ausland ansässigen Rechtsträgern unterhalten, im Rahmen derer die generierten Lizenzerträge und/ oder IP-Verkaufserlöse teilweise auf deutsche Rechte entfallen, die dem gewerblichen Rechtschutz unterliegen (z.B. in Deutschland eingetragene Patente und Marken).

BMF-Schreiben vom 06.11.2020: Finanzministerium macht auf ORIP- und ETT-Steuerpflichten aufmerksam

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat am 06.11.2020 ein zweiseitiges BMF-Schreiben (siehe Deloitte Tax-News) veröffentlicht, in dem es eine Reihe von Klarstellungen zu § 49 EStG vornahm. Dem Gesetzeswortlaut nach ist die beschränkte Steuerpflicht demnach nicht daran gebunden, dass die Lizenzgebühr (ORIP) bzw. der IP-Kaufpreis (ETT) von einem bzw. an einen in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtigen entrichtet wird. Ein direkter Inlandsbezug der Vertragsparteien ist demnach nicht erforderlich.

Des Weiteren wurde klargestellt, dass auch Patente, die aufgrund einer Anmeldung beim Europäischen Patent- und Markenamt nach dem Europäischen Patentübereinkommen in das inländische Register eingetragen wurden, steuerlich als deutsches Nexus-IP zu würdigen sind. Das BMF bestätigte zudem, dass bei zeitlich unbefristeter Überlassung des zugrundeliegenden Rechts von einer Rechteveräußerung auszugehen ist. In diesem Fall unterliegen die Einkünfte aus der Veräußerung der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland, für die grundsätzlich eine entsprechende Steuererklärung einzureichen ist. Genießt der Rechteüberträger (Erzieler der Veräußerungseinkünfte) Abkommensschutz durch ein einschlägiges DBA zwischen dessen Ansässigkeitsstaat und Deutschland, sollte die Steuerpflicht jedoch in der Regel null betragen. Die steuerliche Behandlung von IP-Verkaufseinkünften weicht insofern von der Behandlung von Lizenzerträgen ab, für welche die Quellensteuer ungeachtet jeglichen Abkommensschutzes zunächst einzubehalten ist bevor ggf. ein Rückerstattungsantrag im DBA-Fall eingereicht werden kann.

Zum Quellensteuereinbehalt ist der Steuerschuldner nur dann nicht verpflichtet, falls zum Zeitpunkt der Lizenzzahlung bereits eine Quellensteuerfreistellungsbescheinigung in Deutschland vorlag. Dies ist für vergangene Zeiträume jedoch regelmäßig nicht der Fall, da mangels Kenntnis der Steueranmelde-, Einbehaltungs- und Abführungspflicht auch keine entsprechenden Freistellungsbescheinigungen beantragt worden sind.

Mit seinem Schreiben vom 06.11.2020 sollte das BMF den betroffenen Unternehmen die deutsche ORIP- und ETT-Besteuerung weitgehend zur Kenntnis gebracht haben. Zudem wurde die klare Erwartungshaltung der deutschen Steuerverwaltung zum Ausdruck gebracht, dass für Lizenzzahlungen, für welche die Frage der Quellensteuerpflicht bejaht wurde, die quartalsweisen Steueranmeldungen schnellstmöglich nachzuholen sind. Insofern in der Vergangenheit auch IP-Rechteübertragungen auf deutsches Nexus-IP entfielen, wurden Steuerpflichtige zur (nachträglichen) Einreichung der entsprechenden Steuererklärung angehalten.

BMF-Referentenentwurf zum AbzStEntModG vom 19.11.2020: Steht die deutsche ORIP- und ETT-Besteuerung vor der (teilweisen) Abschaffung?

Umso überraschender erscheint nun die Veröffentlichung des BMF-Referentenentwurfs zum Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz (AbzStEntModG) vom 19.11.2020 (siehe Deloitte Tax-News). Danach sollen die deutsche ORIP- und ETT-Besteuerung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. f und Nr. 6 EStG gestrichen werden, soweit der Inlandsbezug lediglich durch die Registrierung (nicht aber durch eine darüber hinaus gehende Verwertung) entsteht. Dies wird damit begründet, dass die bisherigen Regelungen auch Fälle erfassen, in denen eine inländische Besteuerung der in Deutschland eingetragenen Rechte mangels deren Verwertung in Deutschland bzw. eines über die Registereintragung hinausgehenden Bezugs zu Deutschland nicht sachgerecht ist, und die Regelungen im Falle von DBA-Abkommensschutz zudem zu einem erheblichen, im Ergebnis unnötigen Verwaltungsaufwand führen. Wird das Gesetz in der Fassung des Referentenentwurfs verabschiedet, würden (potentiell) Steuerpflichtige mit lediglich inländisch registrierten, aber nicht verwerteten, Rechten nicht mehr der beschränkten Steuerpflicht für ORIP- und ETT-Sachverhalte in Deutschland unterliegen. Die Gesetzesänderung soll auf alle offenen Fälle anwendbar sein.

Stand heute ist noch offen, ob und in welcher Form die vorgeschlagene Gesetzesänderung verabschiedet werden wird. Es ist allerdings äußerst unwahrscheinlich, dass eine Verabschiedung bis zum Jahresende 2020 erfolgt. Aufgrund dieser Unsicherheit ist es Steuerpflichtigen mit bekannten oder vermuteten ORIP oder ETT-Sachverhalten, insbesondere solchen des Jahres 2013, dringend anzuraten, sich auch jetzt noch kurzfristig in die Lage zu versetzen, die entsprechenden Maßnahmen im Rahmen einer strukturierten Nacherklärung zu ergreifen.

Ermittlung der ORIP-/ ETT-Steuerpflichten der Höhe nach

Um die jeweiligen Bemessungsgrundlagen zu ermitteln, die den Wert des deutschen Nexus-IPs sachgerecht reflektieren, sind viele ungeklärte Fragestellungen zu beantworten. Da die Zahlungsströme in aller Regel nur partiell auf deutsches Nexus-IP entfallen, ist in diesen Fällen eine gesonderte Wertermittlung des deutschen Nexus-IPs erforderlich. Für eine solche Wertermittlung existieren bis dato keinerlei Verwaltungsanweisungen, Verordnungen oder sonstige Leitlinien. Auf Grundlage langjähriger Erfahrungen aus vielfältigen Verrechnungspreis- und Bewertungsprojekten haben sich jedoch die folgenden drei Bewertungsansätze als für die Ermittlung der ORIP- und ETT-Bemessungsgrundlagen potentiell anwendbar erwiesen:

Top-Down: Die Bemessungsgrundlage wird ermittelt, indem die tatsächlich entrichteten Lizenzzahlungen bzw. IP-Kaufpreise dem deutschen Nexus-IP anteilig anhand sachgerechter Allokationsschlüssel zugewiesen werden, um den in diesen Zahlungsströmen inhärenten deutschen Nexus zu berücksichtigen.

Bottom-Up: Die Bemessungsgrundlage wird anhand des durch das deutsche Nexus-IP generierten Umsatzvolumens ermittelt, auf das eine fremdübliche Lizenzrate angewendet wird.

Cost plus: Die Bemessungsgrundlage wird anhand der mit dem deutschen Nexus-IP assoziierten Kosten ermittelt. In die Betrachtung einfließen sollten hierbei unter anderem Registrierungskosten, Kosten für den Erhalt bzw. die Erneuerung der Eintragungen sowie Kosten für mit diesen Rechten in Verbindung stehende Rechtsstreitigkeiten. Die Kosten sind anschließend mit einem fremdüblichen Markup zu versehen, um zu berücksichtigen, dass es sich bei den entstandenen Kosten um den zu verzinsenden Kapitaleinsatz handelt.

Erfahrungsgemäß empfiehlt es sich bei der Ermittlung der ORIP- bzw. ETT-Bemessungsgrundlagen unter anderem die folgenden Faktoren sachverhaltsindividuell zu würdigen:

  • Rechtlicher Wirkungsbereich von Marken-Eintragungen (inländische und/ oder europäische Eintragungen);
  • Gebrauchszweck der Marken (produktbezogene- vs. Dachmarke);
  • Funktionaler Gebrauchszweck der Patente (produktions- und/ oder vertriebsbezogen);
  • Verwertung der Patente (defensiv vs. offensiv/ aktiv);
  • Einsatz von Patenten in den aktuell vermarkteten Produkten; und
  • Industriespezifische Wertschöpfung von Patenten vs. nicht-registrierungsfähigem IP (z.B. Know-How, Copyrights).

Ausblick

Aus dem BMF-Schreiben vom 06.11.2020 und aus Verständigungen mit dem Finanzamt München wurde der Schluss gezogen, dass die deutschen Steuerbehörden die klare Erwartungshaltung haben, dass Steuerpflichtige schnellstmöglich ihre in der Vergangenheit versäumten ORIP-Steueranmeldungen und/ oder ETT-Steuererklärungen nachholen. Der Referentenentwurf vom 19.11.2020 scheint nun in Widerspruch zu dem bisherigen Handeln des BMF zu stehen. Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form der Referentenentwurf verabschiedet wird und welche Folgen sich für die deutsche ORIP- und ETT-Besteuerung ergeben werden. Eine Rechtssicherheit, d.h. eine kurzfristige Umsetzung des Referentenentwurfs bis zum Jahresende, wird höchstwahrscheinlich nicht eintreten, weshalb es ratsam erscheint, möglichen Steuerpflichten unter Berücksichtigung des bestehenden BMF-Schreibens vom 06.11.2020 weiterhin schnellstmöglich nachzukommen.

Fundstellen

Bundesfinanzministerium, Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung von Kapitalertragsteuer

BMF, Schreiben vom 06.11.2020, IV C 5 -S 2300/19/10016 :006

Weitere Beiträge zum Thema

BMF: Abgabe von Steuererklärungen zur Überlassung von Rechten bei beschränkter Steuerpflicht, siehe Deloitte Tax-News

Ministry of Finance issues decree describing filing obligations in connection with extraterritorial taxation, see German Tax and Legal News
 

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