Zurück zur Übersicht
URL: http://www.deloitte-tax-news.de/unternehmensrecht/bag-gewaehrung-von-zusaetzlichen-urlaubstagen-an-aeltere-arbeitnehmer-im-einzelfall-zulaessig.html
25.11.2014
Unternehmensrecht

BAG: Gewährung von zusätzlichen Urlaubstagen an ältere Arbeitnehmer im Einzelfall zulässig

Gewährt ein Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern aufgrund der Ausübung einer schweren und anstrengenden Arbeit jährlich mehr Urlaubstage als jüngeren Arbeitnehmern, kann dies unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Arbeitnehmer zulässig sein. Dem Arbeitgeber steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu.

Sachverhalt

Die nicht tarifgebundene Beklagte betreibt eine Schuhproduktion in Rheinland-Pfalz. Den direkt in der Produktion tätigen Arbeitnehmern gewährt die Beklagte grundsätzlich einen Jahresurlaub in Höhe von 34 Urlaubstagen, ab der Vollendung des 58. Lebensjahres erhöht sich der Urlaubsanspruch um 2 weitere Urlaubstage auf insgesamt 36 Urlaubstage.

Die 54 Jahre alte Klägerin, welche ebenfalls bei der Beklagten im Produktionsbereich beschäftigt ist und aufgrund ihres Alters lediglich 34 Urlaubstage erhält, wertet die bei der Beklagten bestehende Urlaubsregelung als unzulässige Altersdiskriminierung und fordert ebenfalls 36 Urlaubstage sowie eine Entschädigung in Höhe von mindestens EUR 2.000,00 wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

Die Beklagte vertritt hingegen die Ansicht, eine unzulässige Ungleichbehandlung liege nicht vor, da die in der Produktion bei der Fertigung von Schuhen körperlich ermüdende und schwere Arbeit leistenden Arbeitnehmer nach der Vollendung ihres 58. Lebensjahres längerer Erholungszeiten als jüngere Arbeitnehmer bedürften, die Gewährung von zusätzlichem Erholungsurlaub folge insofern aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Die Staffelung der Urlaubsdauer diene dem Zweck, ältere Arbeitnehmer vor übermäßiger körperlicher Belastung zu schützen und nicht jüngere Arbeitnehmer zu benachteiligen. Im Übrigen habe die Internationale Arbeitsorganisation ILO bereits 1980 empfohlen, zum Schutz älterer Arbeitnehmer den Jahresurlaub auf der Grundlage der Beschäftigungsdauer oder des Alters zu verlängern.

Entscheidung

Nachdem die Klage bereits in beiden Vorinstanzen abgewiesen worden war, hatte auch die von der Klägerin beim Bundesarbeitsgericht eingelegte Revision keinen Erfolg. Die Bundesrichter bejahten zwar grundsätzlich eine Ungleichbehandlung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, betrachteten diese im konkreten Fall jedoch unter Berufung auf § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG als zulässig.

§ 10 Satz 3 Nr. 1 AGG erlaube die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern durch Festlegung besonderer Arbeitsbedingungen dann, wenn diese den Zweck verfolgten, den Schutz älterer Arbeitnehmer sicherzustellen. Bei der Prüfung, ob eine vom Arbeitgeber freiwillig begründete Urlaubsregelung dem Schutz älterer Beschäftigter diene und darüber hinaus geeignet, erforderlich und angemessen im Sinne des § 10 Satz 2 AGG sei, stehe dem Arbeitgeber eine auf die konkrete Situation in seinem Unternehmen bezogene Einschätzungsprärogative zu. Bei der von der Beklagten im Streitfall vertretenen Einschätzung, ihre in der Produktion tätigen Arbeitnehmer bedürften aufgrund der zu verrichtenden körperlich anstrengenden und ermüdenden Arbeit ab der Vollendung des 58. Lebensjahres längerer Erholungszeiten, habe die Beklagte ihren Gestaltungs- und Ermessenspielraum nicht überschritten. Gleiches gelte für die Annahme der Beklagten, zwei weitere Urlaubstage seien aufgrund des erhöhten Erholungsbedürfnisses angemessen, zumal auch der Manteltarifvertrag der Schuhindustrie vom 23. April 1997, welcher mangels Tarifbindung der Parteien keine Anwendung fand, zwei zusätzliche Urlaubstage ab dem 58. Lebensjahr vorsah.

Das Bundesarbeitsgericht wies in sechs weiteren Parallelverfahren die Revisionen der Klägerinnen und Kläger ebenfalls zurück.

Betroffene Norm

§ 10 Satz 2, Satz 3 Nr. 1 AGG

Anmerkungen

Die Problematik der Altersdiskriminierung hat die Gerichte in der jüngeren Vergangenheit mehrfach und in allen Instanzen beschäftigt.

Interessanterweise erklärte das Bundesarbeitsgericht die altersabhängige Urlaubsstaffelung im Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst im Jahre 2012 (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. März 2012 – 9 AZR 529/10) wegen der Diskriminierung jüngerer Beschäftigter und damit wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz für unwirksam. Obwohl besagter Tarifvertrag ebenfalls eine altersabhängige Anhebung der Urlaubstage vorsah, war die dortige Regelung im Ergebnis jedoch nicht mit der der aktuellen Entscheidung zugrundeliegenden Regelung vergleichbar. So setzte die im Tarifvertrag enthaltene Staffelung viel früher ein – bis zum 30. Lebensjahr bestand ein Anspruch auf 26 Urlaubstage, bis zum 40. Lebensjahr auf 29 Urlaubstage und danach auf 30 Urlaubstage. Anders als im aktuell entschiedenen Fall ließ sich die Ungleichbehandlung daher nicht mit Schutzerwägungen zugunsten älterer Beschäftigter rechtfertigen.

Die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist grundsätzlich zu begrüßen, ermöglicht sie Arbeitgebern doch weitergehende Flexibilität bei der Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen. Eine klar definierte Grenzziehung oder gar die Angabe einer konkreten Anzahl von Urlaubstagen, um welche ab welchem Lebensjahr unterschiedlich behandelt werden darf, bietet die Entscheidung jedoch freilich nicht. Da sich die Ungleichbehandlung im entschiedenen Fall quantitativ überschaubar hielt und das Bundesarbeitsgericht zudem auf die parallele Regelung im Manteltarifvertrag der Schuhindustrie verweisen konnte, bleibt somit abzuwarten, wie die Gerichte die zulässigen Grenzen in Zukunft ausloten werden und wie sehr dabei die zuerkannte Einschätzungsprärogative der Arbeitgeber Berücksichtigung finden wird. Erfreulich dürfte in jedem Fall sein, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts der in der jüngeren Vergangenheit in der Praxis zu beobachtenden Tendenz zu einer gewissen Übersensibilisierung im Hinblick auf Diskriminierungen einen gewissen Dämpfer verpassen sollte.

Vorinstanzen

Arbeitsgericht Koblenz, Urteil vom 18. Oktober 2011, 8 Ca 1361/11
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. September 2012, 6 Sa 709/11

Fundstelle

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. Oktober 2014, 9 AZR 956/12 (bislang nur als Pressemitteilung veröffentlicht)

www.deloitte-tax-news.de Diese Mandanteninformation enthält ausschließlich allgemeine Informationen, die nicht geeignet sind, den besonderen Umständen eines Einzelfalles gerecht zu werden. Sie hat nicht den Sinn, Grundlage für wirtschaftliche oder sonstige Entscheidungen jedweder Art zu sein. Sie stellt keine Beratung, Auskunft oder ein rechtsverbindliches Angebot dar und ist auch nicht geeignet, eine persönliche Beratung zu ersetzen. Sollte jemand Entscheidungen jedweder Art auf Inhalte dieser Mandanteninformation oder Teile davon stützen, handelt dieser ausschließlich auf eigenes Risiko. Deloitte GmbH übernimmt keinerlei Garantie oder Gewährleistung noch haftet sie in irgendeiner anderen Weise für den Inhalt dieser Mandanteninformation. Aus diesem Grunde empfehlen wir stets, eine persönliche Beratung einzuholen.

This client information exclusively contains general information not suitable for addressing the particular circumstances of any individual case. Its purpose is not to be used as a basis for commercial decisions or decisions of any other kind. This client information does neither constitute any advice nor any legally binding information or offer and shall not be deemed suitable for substituting personal advice under any circumstances. Should you base decisions of any kind on the contents of this client information or extracts therefrom, you act solely at your own risk. Deloitte GmbH will not assume any guarantee nor warranty and will not be liable in any other form for the content of this client information. Therefore, we always recommend to obtain personal advice.