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07.10.2015
Unternehmensrecht

Neues zum Mindestlohn – drei erstinstanzliche Entscheidungen

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 01.01.2015 hat etliche rechtliche Folgeprobleme aufgeworfen, gerade in Bezug auf die Anrechenbarkeit sonstiger Vergütungsbestandteile. Drei aktuelle erstinstanzliche Urteile könnten dabei für die Praxis Aufschluss über eine erste Tendenz in der Rechtsprechung geben.

Seit dem 01.01.2015 haben grundsätzlich alle in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde. In der Zwischenzeit liegen nun auf erstinstanzlicher Ebene erste Urteile der Arbeitsgerichtsbarkeit vor, die sich insbesondere mit der umstrittenen Frage der Anrechenbarkeit anderer Vergütungsbestandteile sowie mit arbeitgeberseitigen Kündigungen im Zusammenhang mit dem Mindestlohn beschäftigen:

I. ArbG Berlin, Urteil vom 17.04.2015, 28 Ca 2405/15

Das Arbeitsgericht Berlin hatte sich mit einem Fall auseinanderzusetzen, in dem die beklagte Hauseigentümergemeinschaft anlässlich der Geltendmachung des Mindestlohnes durch den Kläger einen Vertragsentwurf vorlegte, der rückwirkend zum 01.01.2015 eine regelmäßige Arbeitszeit von 32 Stunden im Monat sowie eine Vergütung in Höhe von 325,00 Euro vorsah (= 10,16 Euro/Std.). Die bislang vorgesehenen 14 Wochenstunden bei einer monatlichen Vergütung von 315,00 Euro (= 5,63 Euro/Std.) seien für die vom Kläger übernommenen Hausmeisterdienste nicht benötigt gewesen. Nachdem der Kläger den Vertragsentwurf nicht unterzeichnete, kündigte die Beklagte das bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich und vertrat die Ansicht, der Kläger habe die Kündigung durch die Nichtannahme des Änderungsvertrages und die Geltendmachung eines höheren Entgelts „provoziert“.

Das Arbeitsgericht Berlin sah in der ausgesprochenen Kündigung die Antwort der Beklagten auf die Geltendmachung des gesetzlichen Mindestlohns und wertete diese Reaktion des Arbeitgebers als einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Dieses verbiete dem Arbeitgeber nämlich, einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme dann zu benachteiligen, wenn er in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Eine Kündigung sei ein solcher „geradezu prototypischer“ Nachteil. Hinsichtlich des vorgelegten Vertragsentwurfs stellte sich für das Gericht zudem die Frage, warum sich die Beklagte gerade jetzt – zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Mindestlohns durch den Kläger – auf ein zu großzügig bemessenes Zeitkontingent im Arbeitsvertrag berufe. Alleine diese zeitliche Koinzidenz genüge für die Annahme einer „Maßregelung“, zumal sich die Beklagte bei Nichterfüllung vertraglicher Pflichten zunächst u.a. mit der Abmahnung der vertraglichen Leistung hätte behelfen müssen.

Wie schon mit Urteil vom 04.03.2015, 54 Ca 14420/14, zeigt das Arbeitsgericht Berlin nun auch mit dieser Entscheidung, dass (Änderungs-)Kündigungen im Kontext der Geltendmachung des Mindestlohnes wohl nur in Ausnahmefällen denkbar sind. Es gilt die gesetzliche Regelung, dass Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten, unwirksam sind und der Arbeitnehmer einen gesetzlichen Vergütungsanspruch von mindestens 8,50 Euro pro Stunde bzw. Anspruch auf die übliche Vergütung hat. Will der Arbeitgeber vertragliche Vereinbarungen ändern, ist dies in der Regel nur im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer möglich.

II. ArbG Düsseldorf, Urteil vom 20.04.2015, 5 Ca 1675/15

Dem Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf lag ein Arbeitsvertrag zugrunde, der eine Grundvergütung von brutto 8,10 Euro pro Stunde vorsah sowie darüber hinaus die Zahlung eines „freiwilligen Brutto/Leistungsbonus“ von maximal 1,00 Euro, dessen Auszahlung sich nach der „jeweilig gültigen Bonusregelung (…)“ richten sollte. Anlässlich der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns wollte es die Beklagte – nachdem sie erfolglos versucht hatte, die Grundvergütung auf 8,50 Euro pro Stunde sowie die Herabsenkung des Leistungsbonus auf max. 0,60 Euro mit der Klägerin einvernehmlich abzuändern – bei der zu zahlenden Grundvergütung in Höhe von 8,10 Euro belassen, wobei der Leistungsbonus jedoch fortan mit 0,40 Euro brutto pro Stunde fest ausgezahlt würde. Gegen diese Praxis wandte sich die Klägerin mit ihrer Klage, mit der sie in der Sache u.a. die Feststellung begehrte, dass zusätzlich zur vormaligen Bonusregelung (1,00 Euro/Stunde) fortan eine Grundvergütung von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde geschuldet sei. Insbesondere dürften die genannten Bonuszahlungen nicht bei der Bestimmung der Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns zur Berechnung herangezogen werden.

Das Gericht wies die Klage als unbegründet zurück. Nach der Ansicht der Kammer sei das Mindestlohngesetz so auszulegen, dass beide Entgeltbestandteile, d.h. Grundlohn und Leistungsbonus, bei der Berechnung der Einhaltung des Mindestlohnes Berücksichtigung finden. Das Gericht führte aus, dass der hier vorliegende Leistungsbonus Entgeltcharakter habe und einen unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung aufweise. Bei der Frage, ob ein Gehaltsbestandteil die „Normalleistung“ vergüte und damit (anrechenbaren) Lohn im eigentlichen Sinne darstelle, verweist das Gericht auf die Ausführungen des EuGH (NZA 2013, 1359), nach denen das jeweils nationale Verständnis von Vergütungselementen maßgeblich sei. Das Gericht betonte an dieser Stelle, dass nach deutschem Arbeitsrecht Zahlungen sehr weitgehend als Entgelt für erbrachte Arbeitsleistung einzuordnen und dann als mindestlohnwirksam zu behandeln seien, wenn sie als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung mit Entgeltcharakter jeweils im Fälligkeitszeitraum ausgezahlt würden.

Die Entscheidung folgt inhaltlich dem Weg, den das BAG u.a. mit seinem Urteil vom 18.04.2012, 4 AZR 139/10 beschritten hatte, damals zur Berechnung eines tariflichen Mindestlohns. Zulagen bzw. andere Vergütungsbestandteile sind nach der dort vorgenommenen Differenzierung immer dann mindestlohnwirksam, wenn diese „Entgeltcharakter“ in Hinblick auf die vom Arbeitnehmer erbrachte „Normalleistung“ haben, d.h. die Entlohnung gerade dieser Leistung – und nicht etwa anderer, besonderer Umstände – bewirkt werden soll.

III. ArbG Bautzen, Urteil vom 25.06.2015, 1 Ca 1094/15

Das Arbeitsgericht Bautzen widmete sich vorliegend der Behandlung bzw. Berechnung von Urlaubsgeld und Nachtarbeitszuschlägen vor dem Hintergrund des MiLoG: Die Klägerin, Mitglied der IG Metall, ist seit 1990 bei der Beklagten zu einer Vergütung von 7,00 Euro brutto pro Stunde beschäftigt. Ein auf das Arbeitsverhältnis nachwirkend anwendbarer Manteltarifvertrag sah eine Regelung zu Nachtarbeitszuschlägen (25 % des Stundenverdienstes) sowie Urlaubsentgelt („1,5-fache durchschnittliche Arbeitsverdienst“) vor. Auch nach Inkrafttreten des MiLoG rechnete die Beklagte weiterhin Entgelte von ca. 7,00 Euro ab bzw. berechnete Urlaubsentgelt und Nachtarbeitszuschläge auf Basis dieses Entgelts. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Bruttolohn- bzw. Zahlungsklage. Es sei ein zu geringes Entgelt entrichtet worden, da jeweils der Mindestlohn von 8,50 Euro zu berücksichtigen gewesen wäre. Dem trat die Beklagte mit der Auffassung entgegen, der Nachtarbeitszuschlag sei zulässigerweise auf Grundlage des bisherigen Entgelts berechnet worden; als zusätzlich zum Mindestlohn zu leistender Zuschlag sei das MiLoG hierauf bereits nicht anwendbar. Ferner sei das geleistete Urlaubsentgelt auf den Mindestlohn anzurechnen, da es sich insofern um einen Vergütungsbestandteil im weiteren Sinne handele.

Das Gericht gab der Klage statt. Das an die Klägerin gezahlte Urlaubsgeld sei nicht mindestlohnwirksam. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 16.04.2014, 4 AZR 802/11) seien vom Arbeitgeber erbrachte Leistungen lediglich dann mindestlohnwirksam, wenn diese zur Vergütung der vom Arbeitnehmer erbrachten „Normalleistung“ geleistet würden. Das Urlaubsentgelt diene dagegen der Kompensation der im Rahmen der Erholung zur Wiederherstellung der Arbeitskraft entstehenden Mehrkosten des Arbeitnehmers. Diesem komme daher keine Vergütungsfunktion zu. Der gezahlte Nachtarbeitszuschlag sei schließlich auf Basis des Mindestlohns zu berechnen. Nach der zugrundeliegenden tarifvertraglichen Regelung sowie der Wertung von § 6 Abs. 5 ArbZG seien der „Stundenverdienst“ bzw. das „ihm (…) zustehende Bruttoarbeitsentgelt“ insofern maßgeblich. Dies könne vor dem Hintergrund des MiLoG nur der zu gewährende Mindestlohn sein. Der Zuschlag sei ferner (wie das Urlaubsentgelt) nicht mindestlohnwirksam; hiervon gehe auch das BAG in seiner Rechtsprechung (s.o.) augenscheinlich aus. Es würde insofern nicht die Arbeitsleistung, sondern eine besondere Erschwernis des Arbeitnehmers ausgeglichen. Das Urteil des ArbG Bautzen ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Die Argumentation des ArbG Bautzen weist Parallelen zu der des ArbG Düsseldorf in seiner oben dargestellten Entscheidung auf, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen. Inhaltlich verdeutlicht das Urteil, dass auch künftig andere Vergütungsbestandteile, die besonderen Umständen oder Erschwernissen des Arbeitnehmers Rechnung tragen sollen, mithin nicht als Korrelat zur regelmäßigen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers anzusehen sind, bei der Berechnung des Mindestlohns außer Betracht zu bleiben haben. Es wird insofern konsequent die bisherige Linie der Rechtsprechung des BAG, das insofern nach der „Entgeltfunktion“ dieser Zahlungen differenzierte, fortgeführt.

IV. Fazit

Die drei dargestellten erstinstanzlichen Entscheidungen geben in anschaulicher Weise Auskunft über die momentane Tendenz der Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit seit Inkrafttreten des MiLoG zum 01.01.2015. Ein grundlegender Wandel der Rechtsprechung scheint sich derzeit insofern nicht anzukündigen, als – wie durch die Entscheidungen der ArbGe Düsseldorf und Bautzen insbesondere zum Ausdruck kommt – eine starke Orientierung an der bisherigen BAG-Rechtsprechung zu tariflichen Mindestlöhnen zu verzeichnen ist. Angesichts der erheblichen Praxisrelevanz der Mindestlohnwirksamkeit von Zuschlägen oder Leistungsboni wäre allerdings eine zeitnahe höchstrichterliche Klärung durch das BAG zu begrüßen.

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