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18.10.2017
Unternehmensrecht

Rahmenverträge mit Liquidations- bzw. close-out Netting: Rechtssicherheit durch die Reform des § 104 InsO auch für Energiehandelsverträge?

 Der Gesetzgeber hat mit der Reform des § 104 InsO Rechtssicherheit für Rahmenverträge und den Berechnungsmechanismus bei vorzeitiger Beendigung, sog. Liquidations- oder close-out Netting speziell für die Finanzbranche schaffen wollen und damit auf das Urteil des BGH vom 9. Juni 2016 reagiert. Die aktuelle Fassung des § 104 InsO könnte sich auch für Energiehandelsverträge (insb. auf Basis des sog. EFET-Musterrahmenvertrags) positiv auswirken.

 Nach dem Urteil des BGH vom 9. Juni 2016 sahen sich BaFin und BMF zu unmittelbar geltenden Verfügungen für Rahmenverträge und deren Beendigungs- und Abrechnungsmechanismen im Insolvenzfall gezwungen. Die Wirksamkeit von Rahmenverträgen mit (close-out) Netting-Klauseln in der Insolvenz sollte durch die gesetzliche Neuregelung des § 104 InsO die für die Finanzmärkte im internationalen Wettbewerb wichtige Rechtssicherheit bringen. Andere Branchen, in denen Rahmenverträge ebenfalls Verwendung finden, sollen auch von der Gesetzesreform profitieren. Was lässt sich nun für die Energiebranche und den dort häufig verwendeten sog. EFET-Musterrahmenvertrag feststellen?

Hintergrund bisherige BGH-Rechtsprechung

 Die gesetzliche Neuregelung des § 104 InsO wurde bereits seit dem BGH-Urteil vom 15. November 2012 (Unwirksamkeit sog. insolvenzbedingter Lösungsklauseln) diskutiert und durch das BGH-Urteil vom 9. Juni 2016 (Teilweise Unwirksamkeit eines Nettingmechanismus in einem Rahmenvertrag über Finanztermingeschäfte) auch tatsächlich in Gang gesetzt. Hierzu hatten wir berichtet (Deloitte Tax-News vom 06.10.2016). Die Reform wurde Ende 2016 umgesetzt. Wir möchten Sie mit diesem Update über die neuen Gestaltungsmöglichkeiten informieren.

Wesentliche Eckpunkte der gesetzlichen Neureglung des § 104 InsO

  •  Die Gesetzesüberschrift spricht neben „Fixgeschäfte“ und „Finanzleistungen“ vom „vertraglichen Liquidationsnetting“, so dass bereits an dieser Stelle die gesetzliche Legitimation hervorgehoben wird.
  • § 104 InsO hat durch die Reform eine klare Systematik und Struktur erhalten: Die Abs. 1, 2 gelten für Einzelverträge, die Abs. 3, 4 für Rahmenverträge als Sonderkonstellation und schließlich stellt Abs. 5 klar, dass die Forderung gegen den insolventen Geschäftspartner stets nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden kann.
  • § 104 Abs. 3 InsO ermöglicht die Zusammenfassung verschiedener Einzelverträge unter einem Rahmenvertrag. Voraussetzung dafür ist, dass es sich um ein Geschäft iSd § 104 Abs. 1 InsO handelt. Dabei handelt es sich ausdrücklich nur um Finanztransaktionen. Daher sind insbesondere Verträge über die fortlaufende Lieferung von Waren oder Energie, sog. Sukzessivlieferverträge, nicht erfasst. Energiehandelsverträge (z.B. nach dem EFET-Rahmenvertrag), die keine Sukzessivlieferung umfassen, fallen hingegen unter § 104 Abs. 1 InsO, obwohl diese nicht ausdrücklich genannt sind. Dementsprechend unterliegen Energiehandelsgeschäfte, die unter einem Rahmenvertrag zusammengefasst werden, den Regelungen nach § 104 Abs. 3 und 4 InsO.

 

  • Vertraglicher Gestaltungsspielraum ergibt sich nach § 104 Abs. 4 InsO in den dort genannten Grenzen. Für den im EFET-Rahmenvertrag geregelten Netting-Mechanismus bedeutet dies, dass er sich innerhalb dieses Rahmens bewegen muss. Die Branchenverbände gehen in ihren bisherigen Stellungnahmen davon aus, dass die Musterverträge dem gesetzlichen Mechanismus weitgehend entsprechen. Es gibt in der Praxis aber auch umstrittene Punkte.
  • Wesentliche Prämisse jeglicher vertraglicher Modifikation ist die Vereinbarkeit „mit den wesentlichen Grundgedanken der jeweiligen gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird“. Hierbei handelt es sich um ein unbestimmtes Kriterium, das gesetzlich nicht näher konkretisiert wird. Es bedarf hier also der Auslegung durch Gerichte, die es derzeit noch nicht gibt. Vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des BGH ist davon auszugehen, dass er weiterhin eine restriktive Auslegung vornehmen wird. Die Regelungen werden daher im Zweifel – zumindest insoweit – für unwirksam erklärt und durch den gesetzlichen Mechanismus ersetzt werden (so hatte der BGH im Urteil vom 9. Juni 2016 auf Basis der alten Fassung des § 104 InsO argumentiert).

 

Für den Gestaltungsspielraum ergeben sich die nachfolgenden gesetzlichen Grenzen:

  • Zeitliche Vorverlagerung des Beendigungszeitpunkts, § 104 Abs. 4 Nr. 1 InsO: Während § 104 InsO grundsätzlich von einer Beendigung und Abrechnung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (also in der Regel rund drei Monate nach Antragstellung/Anordnung von Sicherungsmaßnahmen) ausgeht, wird in § 104 Abs. 4 Nr. 1 InsO die Bestimmung eines früheren Beendigungszeitpunkts ermöglicht.
  • Einbeziehung nicht fälliger Geschäfte, § 104 Abs. 4 Nr. 2 InsO: Hier wird die Einbeziehung von Geschäften ermöglicht, deren Fälligkeit bereits vor der Insolvenzeröffnung, aber nach dem vertraglichen Beendigungszeitpunkt eintritt.
  • Modifikation der Bestimmung des zugrunde zu legenden Markt- oder Börsenwertes, § 104 Abs. 4 Nr. 3 InsO: Diese Ziffer erlaubt in ihren drei Unterfällen eine Modifikation der Vorgaben des § 104 Abs. 2 InsO in (a) zeitlicher Hinsicht und (b) eine Ausdehnung des Zeitraums für die Vornahme eines Ersatzgeschäfts und schließlich (c) in zeitlicher Hinsicht, wenn keine Ersatzgeschäfte getätigt werden. Eine Modifikationsmöglichkeit hinsichtlich der Berücksichtigung weiterer Kosten, die z.B. durch ein Ersatzgeschäft entstehen können oder auch ohne ein solches Geschäft angesetzt werden sollen, enthält § 104 Abs. 4 InsO nicht ausdrücklich. Hier empfiehlt sich ebenfalls eine Prüfung des genauen Wortlauts der rahmenvertraglichen Vereinbarung.

Eine ausführliche Erläuterung der Autoren finden Sie in der NZI - Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Jahrgang 2017, Heft 07, S. 246 ff. (Wesche/Harder, NZI 2017, 246).

Empfehlung

 Auf Basis der Neuregelung des § 104 InsO empfiehlt sich eine Analyse des bestehenden Vertragsportfolios. Am Anfang einer solchen Analyse sollte zunächst bewertet werden, ob es sich tatsächlich um Verträge handelt, die nach § 104 Abs. 3 InsO zusammengefasst werden können. Eine Zusammenfassung ist im Insolvenzfall zwar unschädlich, jedoch können etwa Positionen aus Sukzessivlieferverträgen nicht in das Netting einbezogen werden. Bei bestehenden Rahmenverträgen oder dem intendierten Abschluss von Ergänzungsvereinbarungen mit einer Netting-Abrede sollten die Close-Out-Netting-Klauseln auf die Einhaltung der neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen nach § 104 Abs. 4 InsO überprüft werden.

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