Die jüngste Gesetzesinitiative der Bundesregierung könnte noch diesen Herbst in Kraft treten und damit einige Bereiche der Betriebsverfassung umgestalten. Insbesondere sollen die Gründung und die Wahl von Betriebsräten gefördert, die Behinderung von Betriebsratswahlen eingeschränkt und eine Modernisierung durch technische Vereinfachungen der digitalen Betriebsratsarbeit erzielt werden. Wir verschaffen einen Überblick über die wesentlichen Regelungen.
Zum Ende der aktuellen Legislaturperiode hat die Bundesregierung ein „Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt“ (kurz: Betriebsrätemodernisierungsgesetz) auf den Weg gebracht. Nach der Zustimmung des Bundestags am 21.05.2021 könnten noch vor der nächsten, im September 2021 stattfindenden Bundestagswahl insbesondere die nachfolgenden Änderungen in Kraft treten:
Ein wesentliches Ziel der Gesetzesinitiative ist es, die Repräsentanz von Betriebsräten in kleineren Betrieben zu erhöhen. Durch eine Abänderung des § 14 Abs. 4 BetrVG soll es in Betrieben mit in der Regel bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern keiner Unterzeichnungen von Wahlvorschlägen (sog. Stützunterschriften) bedürfen. Eine Unterzeichnung von Wahlvorschlägen durch mindestens zwei wahlberechtigte Arbeitnehmer ist fortan nur in Betrieben mit 21 bis 100 Arbeitnehmern notwendig; bei Betrieben mit über 100 Arbeitnehmern müssen entweder 1/20 der Belegschaft oder maximal 50 Arbeitnehmer unterzeichnen.
Das vereinfachte Wahlverfahren nach § 14a BetrVG (u.a. Wahl während einer Betriebsversammlung anstelle einer Urnenwahl) soll in allen Betrieben mit bis zu 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern möglich sein (Hinweis: bislang lag der Schwellwert bei 50). Mit dem Einverständnis des Arbeitgebers kann das vereinfachte Verfahren künftig auch in Betrieben mit bis zu 200 Arbeitnehmern durchgeführt werden (bislang: 100).
Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz sieht ferner vor, dass aktiv wahlberechtigt alle Arbeitnehmer ab dem 16. Lebensjahr sind.
Vorgesehen ist ferner eine Erweiterung des besonderen Kündigungsschutzes auf die Initiatoren einer Betriebsratswahl (§15 Abs. 3b KSchG) anstelle des bislang nur geltenden Schutzes der Wahlkandidaten und der gewählten Betriebsräte. Voraussetzung ist, dass die Initiatoren durch Vorbereitungshandlungen öffentlich erkennbar gemacht haben, dass sie die Einrichtung eines Betriebsrats anstreben (z.B. Mobilisierung anderer Arbeitnehmer). Zur Folge hat dies für den Arbeitgeber fortan, dass er solche Arbeitnehmer ordentlich nur noch betriebsbedingt oder außerordentlich kündigen kann. Unabhängig davon wird der Kündigungsschutz künftig auf die ersten sechs Personen (Hinweis: statt wie bisher auf die ersten drei) erstreckt, die in der Einladung zu einer Wahlversammlung genannt sind.
Die Unsicherheiten hinsichtlich der eigenen datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit des Betriebsrats seit der Einführung der DSGVO werden durch den neu eingeführten § 79a BetrVG beseitigt: Sofern der Betriebsrat seine zugewiesenen Aufgaben erfüllt und dabei personenbezogene Arbeitnehmerdaten verarbeitet, gilt der Arbeitgeber als Verantwortlicher. Der Betriebsrat hat somit entgegen einzelner Einschätzungen fortan laut Gesetz keine eigene datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit.
Der Betriebsrat soll ein neues Mitbestimmungsrecht bei der „Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird“ (neu: § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG), erhalten. Von dem Mitbestimmungsrecht in der aktuellen Fassung des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes werden neben dem Home-Office auch Fälle erfasst werden, in denen der Arbeitnehmer von alternierenden Arbeitsorten aus arbeitet. Das Mitbestimmungsrecht zu mobiler Arbeit betrifft dabei die inhaltliche Ausgestaltung der mobilen Arbeit, nicht deren Einführung; letztere bleibt mitbestimmungsfrei.
Vorgesehen ist ferner eine Erweiterung der Pflicht zur Unterrichtung beim Einsatz von künstlicher Intelligenz im Betrieb. Der Betriebsrat hat hierzu mit dem Arbeitgeber zu beraten (neu: § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG). Dies gilt insbesondere für den Einsatz bei der Erstellung von Auswahlrichtlinien. Sofern der Betriebsrat den Einsatz von künstlicher Intelligenz bewerten muss, gilt die Hinzuziehung eines Sachverständigen auf Kosten des Arbeit-gebers nach § 80 Abs. 3 BetrVG künftig stets als erforderlich. Arbeitgeber und Betriebsrat können sich hierfür auf einen ständigen Sachverständigen einigen.
Der Gesetzgeber stellt klar, dass Betriebsratssitzungen vorrangig als Präsenzveranstaltungen konzipiert sind (neu: § 30 Abs. 1 BetrVG). Gleichwohl ist vorgesehen, dass digitale Sitzungen abgehalten werden dürfen. Erforderlich ist hierfür (1) eine entsprechende Änderung in der Geschäftsordnung des Betriebsrats, (2) kein Widerspruch von Betriebsratsmitglieder und (3) die Wahrung der Vertraulichkeit in der digitalen Sitzung. Alternativ soll eine gemischte Art der Teilnahme möglich sein: Nicht anwesende Betriebsräte sollen sich durch eine Video- oder Telefonkonferenz hinzuschalten können, während die anderen Betriebsräte eine Präsenzveranstaltung durchführen.
Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz sieht vor, dass Beschlüsse der Einigungsstelle, Interessenausgleiche, Sozialpläne und Betriebsvereinbarungen elektronisch signiert (§ 126a BGB) werden können bzw. nicht mehr in Schriftform vorliegen müssen.
Es bleibt abzuwarten, ob das Gesetz sein Ziel, vermehrt zu Betriebsratsgründungen zu führen, tatsächlich erreichen wird.
Problematisch sehen wir die Erweiterung des Kündigungsschutzes, die zu einer erheblichen Missbrauchsgefahr bei drohenden Kündigungen führen kann, dies durch die lediglich vorgeschobene Behauptung von Arbeitnehmern eine Betriebsratswahl initiieren zu wollen. Zudem droht eine kostenintensive Ausuferung in Bezug auf die Hinzuziehung von Sachverständigen zu Sachverhalten mit Bezug zu künstlicher Intelligenz. Ob der Mitbestimmungstatbestand zur mobilen Arbeit tatsächlich eine große Rolle in der Praxis spielen wird und die Einführung der Möglichkeit von „digitalen“ Betriebsratsversammlungen wirklich zur Modernisierung des Betriebsverfas-sungsgesetzes führen wird, bleibt ebenfalls abzuwarten.
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