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27.04.2012
Rechnungslegung

BFH: Abschreibungsbeginn bei Windkraftanlagen

Eine Windkraftanlage (WKA) - einschließlich Transformator sowie Verkabelung - stellt ein eigenständiges Wirtschaftsgut dar, dessen Abschreibungsbeginn eigenständig zu prüfen ist. Die Abschreibung der WKA kann vor deren Inbetriebnahme beginnen, wenn (Eigen-)Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten auf den Erwerber übergegangen sind und dieser damit das wirtschaftliche Eigentum an der WKA erlangt hat. Sind am Bilanzstichtag nicht alle Einzelkriterien erfüllt, setzt die Erlangung des wirtschaftlichen Eigentums jedenfalls dann den Übergang der Gefahr des zufälligen Untergangs voraus, wenn der Verkäufer (Werklieferer) eine technische Anlage zu übereignen hat, die vom Erwerber erst nach erfolgreichem Abschluss eines Probebetriebs abgenommen werden soll.

Sachverhalt

Die Klägerin hat am 25.07.2000 mit der S-GmbH einen Kaufvertrag über die Lieferung von zwei WKA (Windkraftanlagen) einschließlich Montage und Inbetriebnahme sowie der Lieferung von zwei mit dem Energieversorgungsunternehmen abgestimmten Trafostationen geschlossen. Am 05. und 07.12.2000 wurden die WKA errichtet. Nach dem Inbetriebnahme-Check hatten die WKA ordnungsgemäß funktioniert und hätten Strom liefern können. Am 08.02.2001 wurde erstmals Strom in das Netz des Energieversorgungsunternehmens eingespeist. Nach den von den Vertretern beider Vertragsparteien unterzeichneten "Inbetriebnahme- und Abnahmeprotokollen" vom 16.05.2001 sind die Windenergieanlagen am 15. bzw. am 22.03.2001 erfolgreich in Betrieb genommen worden. Nach einem weiteren Protokoll vom 16.05.2001 ("Abnahmeprotokoll") ging die "Verfügungsgewalt" über die WKA "mit heutiger Wirkung" sowie die "Beweisführungspflicht eines mängelhaften Produktes auf (die Klägerin) über". Im Jahr 2000 hatte die Klägerin Abschlagszahlungen geleistet, die Restzahlung wurde mit Abschluss des Probebetriebs fällig und im Jahr 2001 erbracht.

Die Klägerin ging von einer einheitlichen "Gesamtanlage" (WKA einschließlich Zuwegung, externer Verkabelung sowie Übergabestation) aus und schrieb diese erstmals im Streitjahr 2000 mit 25 % ihrer Anschaffungs- und Herstellungskosten ab (§ 7 Abs. 2 EStG 1997). Das Finanzamt behandelte die Zuwegung, die externe Verkabelung einschließlich Übergabestation sowie die beiden WKA einschließlich Fundament und Trafostation als vier Wirtschaftsgüter mit jeweils eigenständigen Nutzungsdauern und versagte die Abschreibung der beiden WKA im Streitjahr 2000, da das wirtschaftliche Eigentum erst mit der Abnahme der Anlagen im Mai 2001 auf die Klägerin übergegangen sei. Das FG hat der dagegen erhobenen Klage stattgegeben. Das Finanzamt legte gegen das FG-Urteil Revision ein.

Entscheidung

Das Urteil des FG wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen, da der Senat aufgrund der Feststellungen der Vorinstanz nicht beurteilen kann, ob die Klägerin bereits im Jahr 2000 zur Inanspruchnahme der begehrten Abschreibungen befugt war.

Die degressive Abschreibung (§ 7 Abs. 2 EStG 1997) setzt die Anschaffung des in Frage stehenden Wirtschaftsguts voraus. Dabei muss der Steuerpflichtige (Erwerber) zumindest die wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Wirtschaftsgut erlangt haben (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Urteile vom 04.06.2003 und 14.04.2011, IV R 52/09). Vor Einführung des BilMoG (25.05.2009) bestand Einvernehmen darüber, dass die Vermögensgegenstände dem wirtschaftlichen Eigentümer als Inhaber der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zuzurechnen sind (BFH-Urteile vom 03.08.1988 und 14.05.2002).

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den beiden WKA sowie der externen Übergabestation um jeweils selbständige Wirtschaftsgüter handelt (BFH-Urteil vom 14.04.2011, IV R 46/09). Dem FG ist ferner darin zu folgen, dass die Klägerin die beiden WKA nicht hergestellt, sondern angeschafft hat. Das Begehren der Klägerin, bereits für das Streitjahr 2000 Abschreibungen für die WKA vorzunehmen, ist nicht deshalb von vorneherein abzuweisen, weil die WKA im Jahr 2000 noch nicht zur Stromerzeugung und Stromeinspeisung eingesetzt werden konnten. Abschreibungen können auch für Jahre vor Inbetriebnahme des zur Einkunftserzielung zu nutzenden Wirtschaftsguts geltend gemacht werden (BFH-Urteil vom 11.01.2005).

Die Einschätzung des FG, dass die Klägerin die WKA noch im Dezember 2000 angeschafft hat, wird jedoch nicht getragen. In der Regel wird der Übergang von (Eigen-)Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten gefordert, um wirtschaftliches Eigentum zu erlangen (z.B. BFH-Urteil vom 28.04.1977). Sind am Bilanzstichtag nicht alle vorbezeichneten Einzelkriterien erfüllt, bedarf es einer wertenden Beurteilung anhand der Verteilung von Chancen und Risiken, die aus dem zu bilanzierenden Vermögensgegenstand erwachsen (so Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/10067, S. 47 zu § 246 Abs. 1 S. 2 HGB; vgl. auch BFH-Urteile vom 17.12.2009). Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Erlangung des wirtschaftlichen Eigentums jedenfalls dann an den Übergang der Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache gebunden, wenn der Verkäufer (Werklieferer) eine technische Anlage zu übereignen hat, die vom Erwerber erst nach erfolgreichem Abschluss eines Probebetriebs abgenommen werden soll (BFH-Urteil vom 28.11.2006). Nichts anderes kann im Streitfall gelten, in dem die Abnahme der von der S-GmbH "betriebsfähig" zu liefernden WKA an den erfolgreichen Abschluss des Probebetriebs und der sich daran anschließenden Hauptinspektion gebunden war. Von dem Gefahrübergang kann auch nicht deshalb abgesehen werden, weil die Klägerin im Jahr 2000 Kaufpreiszahlungen geleistet hatte. Kaufpreisvorauszahlungen vor Übergang des wirtschaftlichen Eigentums berechtigen nicht zur Annahme einer vorzeitigen Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über das Wirtschaftsgut; vielmehr sind sie beim Erwerber zu aktivieren und beim Veräußerer zu passivieren (BFH-Urteil vom 07.11.1991).

Die Entscheidungsgründe der Vorinstanz lassen nicht mit Sicherheit erkennen, ob das FG deshalb vom Übergang des wirtschaftlichen Eigentums im Zeitpunkt der Übergabe der WKA (Dezember 2000) ausgegangen ist, weil die S-GmbH nach der vertraglichen Aufgabenteilung ihre Leistungspflicht mit der Errichtung der Anlagen vollständig erfüllt habe, oder ob das FG insoweit angenommen hat, dass die Vertragsparteien die Regelungen im Kaufvertrag, denen zufolge die Gefahr bei Beendigung des Probebetriebs und der Hauptinspektion auf die Klägerin übergehen sollte, konkludent geändert hätten. Das FG hat nicht in nachvollziehbarer Weise gewürdigt, dass am 16.05.2001 verschiedene Protokolle (Inbetriebnahme- und Abnahmeprotokolle) erstellt wurden, denen zufolge die WKA - im Einklang mit dem Kaufvertrag - nach Ende des Probebetriebs einer Hauptinspektion unterzogen und unter Übergang der Verfügungsgewalt "mit heutiger Wirkung" abgenommen worden sind. Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang den Inhalt der zwischen den Vertragsbeteiligten bis zum Ablauf des Jahres 2000 getroffenen Abreden konkret zu ermitteln und unter Berücksichtigung der Vertragsabwicklung im Jahre 2001 zu würdigen haben, ob die Beteiligten tatsächlich eine Änderung des Kaufvertrags mit der Folge eines vorzeitigen Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums vereinbart haben. Sollte sich dies nicht mit der gebotenen Sicherheit nachweisen lassen, wird das FG dem Klagebegehren im Hinblick auf den Beginn der Abschreibungen der WKA im Jahre 2000 nicht entsprechen können.

Betroffene Norm

§ 7 Abs. 2 EStG 1997, § 7g Abs. 1 und Abs. 2 EStG 1997, § 246 Abs. 1 S. 2 HGB
Streitjahre 2000 bis 2002

Anmerkungen

Mit Urteil vom 22.09.2016 (siehe Deloitte Tax-News) hatte der BFH erneut über den Abschreibungsbeginn bei Windkraftanlagen mit Vereinbarung eines Probebetriebes zu entscheiden. Auch hierbei stellte der BFH auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs ab. Wann die Gefahr an einem Wirtschaftsgut übergehe bestimme sich primär nach den vertraglichen Vereinbarungen und im Falle eines Fehlens solcher nach den zivilrechtlichen Regelungen.

Soweit die Abnahme der Windkraftanlagen von einem erfolgreich durchgeführten Probebetrieb abhänge, gehe die Gefahr erst mit Abnahme nach dessen Durchführung auf den Erwerber über. Bis zum Zeitpunkt der Abnahme werde die Anlage auf Gefahr des Veräußerers betrieben.

Das Eigentum an einer Windkraftanlage, welche bereits vor der Abnahme durch den zukünftigen Erwerber genutzt werden könne, gehe nicht bereits im Zeitpunkt der Inbesitznahme und Nutzung über, da das Wirtschaftsgut hierbei bereits einem Wertverzehr unterliege. Bis zur Abnahme der Anlage habe der Veräußerer die Gefahr des Wertverzehrs zu tragen, was auch im Einklang mit zivilrechtlichen Vorschriften stehe (z.B. §§ 346 ff. BGB).

Vorinstanz

Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2010, 1 K 2037/07

Fundstelle

BFH, Urteil vom 01.02.2012, I R 57/10, BStBl II 2012, S. 407

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 22.09.2016, IV R 1/14 , siehe Deloitte Tax-News 
BFH, Urteil vom 04.06.2003, X R 49/01, BStBl II 2003, S. 751
BFH, Urteil vom 14.04.2011, IV R 52/09, BStBl II 2011, S. 929
BFH, Urteil vom 14.04.2011, IV R 46/09, BStBl II 2011, S. 696, siehe Deloitte Tax-News 
BFH, Urteil vom 03.08.1988, I R 157/84, BStBl II 1989, S. 21
BFH, Urteil vom 14.05.2002, VIII R 30/98, BStBl II 2002, S. 741
BFH, Urteil vom 11.01.2005, IX R 15/03, BStBl II 2005, S. 477
BFH, Urteil vom 28.04.1977, IV R 163/75, BStBl II 1977, S. 553
BFH, Urteil vom 17.12.2009, III R 92/08, BFHE 228, S. 559
BFH, Urteil vom 28.11.2006, III R 17/05, BFH/NV 2007, S. 975
BFH, Urteil vom 07.11.1991, IV R 43/90, BStBl II 1992, S. 398

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