BFH: Bilanzierungskonkurrenz zwischen Sonderbetriebsvermögen gleicher Stufe
Für die Zuordnungsentscheidung bei Bilanzierungskonkurrenzen zwischen Sonderbetriebsvermögen sind zwar zeitliche und qualitative Kriterien heranzuziehen. An erster Stelle steht dabei allerdings die zeitliche Abfolge. Nur dann, wenn die Voraussetzungen für die Behandlung als Sonderbetriebsvermögen gleichzeitig entstanden sind, folgt die Zuordnung qualitativen Kriterien.
BFH, Urteil vom 19.09.2024, IV R 5/20
Sachverhalt

- Anteilsveräußerung in 2014: A, B, C und D waren zu gleichen Teilen an der G-GmbH beteiligt. Sie veräußerten im Streitjahr 2014 ihre Anteile an der G-GmbH an die X-GmbH & Co. KG sowie an die Y-GmbH.
- Betriebsaufspaltung seit 1994: Komplementärin des Produktionsunternehmens W-GmbH & Co. KG (W-KG) war die nicht vermögensmäßig beteiligte W-GmbH, deren Anteile zu 100 % von A gehalten wurden. Zur alleinigen Geschäftsführung der W-KG war die W-GmbH berechtigt und verpflichtet. Die Geschäftsführung der W-GmbH oblag A, deren alleinvertretungsberechtigtem Gesellschafter-Geschäftsführer. Kommanditisten der W-KG waren A und die G-GmbH mit jeweils 50 %. Nach dem Gesellschaftsvertrag wurden die Gesellschafterbeschlüsse in der W-KG grundsätzlich mit der Mehrheit der Stimmen gefasst. In der G-GmbH war A ebenfalls alleinvertretungsberechtigt.
Das Grundstück, auf der die W-KG ihr Unternehmen betrieben hat, wurde ihr von der I-GmbH & Co. KG (I-KG) verpachtet.
Komplementärin der I-KG war die V-GmbH, an der A mit 62,5 % sowie B, C und D mit jeweils 12,5 % beteiligt waren. Die V-GmbH war nicht am Vermögen der I-KG beteiligt. Kommanditisten waren A, B, C und D.
Gesellschafterbeschlüsse waren mit der Mehrheit der Stimmen zu fassen. Zur alleinigen Geschäftsführung der I-KG war die V-GmbH berechtigt und verpflichtet, deren alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer A war. - Atypisch stille Gesellschaft seit 1997: Die G-GmbH & atypisch Still wurde gegründet, indem sich die Gesellschafter A, B, C und D an der G-GmbH beteiligten.
Strittig war, ob der Gewinn aus dem Verkauf der Anteile an der G-GmbH bei der atypisch stillen Gesellschaft zu erfassen war, weil die Anteile von A, B, C, D nicht ihrem Sonderbetriebsvermögen II (SBV II) bei der I-KG (Betriebsaufspaltung seit 1994), sondern dem SBV II bei der atypisch stillen Gesellschaft (Begründung 1997) zuzuordnen waren?
Finanzamt und FG waren der Auffassung, dass der Gewinn aus der Veräußerung der G-Anteile bei der atypisch stillen Gesellschaft zu erfassen sei.
Entscheidung
Dem hat der BFH widersprochen. Er kommt zu folgendem Ergebnis:
- Seit 1994 hat eine Betriebsaufspaltung zwischen der I-KG (Besitzgesellschaft) und der W-KG (Betriebsgesellschaft) vorgelegen.
- Der Gewinn aus der Veräußerung der G-Anteile ist nicht bei der atypisch stillen Gesellschaft zu erfassen.
Begründung: Die Anteile an der G-GmbH waren aufgrund der Betriebsaufspaltung, die der Begründung der atypisch stillen Gesellschaft zeitlich vorausgegangen ist, SBV II bei der I-KG und nicht bei der atypisch stillen Gesellschaft.
Betriebsaufspaltung
Grundlagen
Eine Betriebsaufspaltung liegt vor, wenn einem Betriebsunternehmen wesentliche Grundlagen für seinen Betrieb von einem Besitzunternehmen überlassen werden und die hinter dem Betriebs- und dem Besitzunternehmen stehenden Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen haben. Dieser ist anzunehmen, wenn die Person oder Personengruppe, die das Besitzunternehmen beherrscht, auch in dem Betriebsunternehmen ihren Willen durchsetzen kann. Ist aufgrund besonderer sachlicher und personeller Gegebenheiten eine so enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen dem Besitzunternehmen und dem Betriebsunternehmen zu bejahen, dass das Besitzunternehmen durch die Vermietungs- und Verpachtungstätigkeit über das Betriebsunternehmen am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, so ist das Besitzunternehmen nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG (originär) gewerblich tätig (vgl. BFH-Urteile vom 28.05.2020, IV R 4/17; vom 16.09.2021, IV R 7/18; vom 20.05.2021, IV R 31/19).
Wesentliche Aspekte zur personellen Verflechtung
Der BFH hat die folgenden von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur personellen Verflechtung zusammengefasst:
- Für die Annahme einer personellen Verflechtung ist entscheidend, dass die Geschicke des Besitzunternehmens in den wesentlichen Fragen durch die Person oder Personengruppe bestimmt werden, die auch hinter dem Betriebsunternehmen steht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 28.05.2020, IV R 4/17 und vom 16.09.2021, IV R 7/18).
- Dies kann nicht nur bei einer Beteiligungsidentität, bei der an beiden Unternehmen dieselben Personen im gleichen Verhältnis beteiligt sind, sondern auch bei einer Beherrschungsidentität zu bejahen sein (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20.05.2021, IV R 31/19 und vom 16.09.2021, IV R 7/18). Eine personelle Verflechtung ist dementsprechend auch gegeben, wenn der Mehrheitsgesellschafter oder die Mehrheits-Personengruppe sowohl in der Besitz- als auch in der Betriebsgesellschaft ihren geschäftlichen Willen durchsetzen kann (Beherrschungsidentität, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20.05.2021, IV R 31/19).
- Für die Annahme des einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens genügt es, dass an beiden Unternehmen mehrere Personen in unterschiedlicher Höhe beteiligt sind, die zusammen in beiden Unternehmen über die Mehrheit der Stimmen verfügen (sogenannte Personengruppentheorie, BFH-Urteil vom 28.01.1993, IV R 39/92).
- Die sogenannte Personengruppentheorie findet auch in den Fällen Anwendung, in denen bereits eine Person allein eines der Unternehmen oder beide Unternehmen beherrscht.
- Die von der Personengruppentheorie aufgestellte Vermutung gleichgerichteter Interessen kann nur ausnahmsweise widerlegt werden. Dies ist der Fall, wenn ein konkreter Interessenkonflikt nachgewiesen wird. Aber auch bei extrem konträren Beteiligungsverhältnissen in Besitz- und Betriebsgesellschaft kann das Vorliegen gleichgerichteter Interessen in Frage gestellt sein.
- Die Möglichkeit der Durchsetzung eines einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens in der Besitz- und der Betriebsgesellschaft muss sich sowohl auf die laufenden Geschäfte als auch auf die die wesentlichen Betriebsgrundlagen betreffenden Nutzungsüberlassungsverträge erstrecken (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28.05.2020, IV R 4/1726).
- Die Herrschaft über eine Betriebs- beziehungsweise eine Besitz-KG muss nicht stets durch eine unmittelbare Beteiligung ausgeübt werden. Im Bereich der mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung ist die Rechtsprechung (inzwischen) der Auffassung, dass die Herrschaft sowohl über das Besitz- als auch über das Betriebsunternehmen mittelbar über eine Kapitalgesellschaft ausgeübt und damit unter der Voraussetzung der gleichzeitigen Beherrschung auch des anderen Unternehmens eine personelle Verflechtung begründet werden kann (BFH-Urteile vom 16.09.2021, IV R 7/18 und vom 20.05.2021, IV R 31/19).
Ergebnis im Streitfall
A, B, C und D bildeten eine Personengruppe, die sowohl in der Besitzgesellschaft als auch unmittelbar beziehungsweise mittelbar über ihre Beteiligung an der G-GmbH in der Betriebsgesellschaft über die Mehrheit der Stimmen verfügt hat. Die Personengruppe konnte in beiden Gesellschaften einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen durchsetzen. Der Umstand, dass A allein die Besitzgesellschaft und (möglicherweise) auch die Betriebsgesellschaft beherrschen konnte, ändert daran nichts. Danach bestand eine Betriebsaufspaltung zwischen der I-KG (Besitzgesellschaft) und der W-KG (Betriebsgesellschaft).
Bilanzierungskonkurrenz – Zuordnung der Anteile an der G-GmbH zum SBV II
Notwendiges SBV II bei Betriebsaufspaltung
Die in 1994 begründete Betriebsaufspaltung hatte zur Folge, dass die Anteile an der G-GmbH notwendiges Sonderbetriebsvermögen II (SBV II) bei der Besitzgesellschaft (I-KG) waren, denn sie dienten der Durchsetzung des einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens in der Betriebsgesellschaft (W-KG).
Bilanzierungskonkurrenz
im Jahr 1997 wären die G-Anteile zwar auch SBV II der bei der atypisch stillen Gesellschaft geworden, vorausgesetzt, die G-GmbH – in der auch die Auslandsbeteiligungen und Lizenzen des Familienunternehmens gebündelt waren – wäre nicht noch einer anderen Geschäftstätigkeit von nicht ganz untergeordneter Bedeutung nachgegangen.
- Die – dies vorausgesetzt – in 1997 eingetretene Bilanzierungskonkurrenz ist nach Ansicht des BFH – anders als vom FG angenommen – nicht nach qualitativen Kriterien zugunsten der atypisch stillen Gesellschaft zu lösen.
- Nach der Rechtsprechung des BFH sind für die Zuordnungsentscheidung bei Bilanzierungskonkurrenzen zwischen Sonderbetriebsvermögen zwar zeitliche und qualitative Kriterien heranzuziehen.
- An erster Stelle steht dabei allerdings die zeitliche Abfolge.
- Ist ein Wirtschaftsgut vor der Entstehung der Bilanzierungskonkurrenz zu Recht einem Sonderbetriebsvermögen (vorliegend: dem SBV II bei der Besitzgesellschaft) zugeordnet worden, kann die spätere Entstehung der Konkurrenz eine Änderung der Zuordnung zu einem anderen Sonderbetriebsvermögen (vorliegend: dem SBV II bei der atypisch stillen Gesellschaft) nicht begründen.
- Sind die Voraussetzungen für die Behandlung als Sonderbetriebsvermögen hingegen gleichzeitig entstanden, folgt die Zuordnung qualitativen Kriterien. Danach geht etwa SBV I bei einer Mitunternehmerschaft dem SBV II bei einer anderen Mitunternehmerschaft vor (vgl. BFH-Urteil vom 10.05.2012, IV R 34/09).
Ergebnis im Streitfall
Danach wäre eine mit der Gründung der atypisch stillen Gesellschaft im Jahr 1997 entstandene Bilanzierungskonkurrenz dahin aufzulösen, dass die Anteile an der G-GmbH infolge der bereits im Jahr 1994 begründeten Betriebsaufspaltung weiterhin dem SBV II bei der I-KG zuzuordnen wären.
Der BFH kann keine hinreichenden Gründe dafür erkennen, dass die Zuordnung der G-Anteile anderen als zeitlichen Kriterien folgen sollte. Dies gelte insbesondere auch in Anbetracht des Umstands, dass es sich vorliegend um eine Bilanzierungskonkurrenz zwischen Sonderbetriebsvermögen der gleichen Stufe handeln würde.
Wäre die G-GmbH hingegen einer anderen Geschäftstätigkeit von nicht ganz untergeordneter Bedeutung nachgegangen, so hätte dies zur Folge, dass die Anteile an der G-GmbH ohnehin nicht dem SBV II bei der atypisch stillen Gesellschaft zuzuordnen gewesen wären.
Der Gewinn aus der Veräußerung der G-Anteile ist daher dem BFH zufolge nicht bei der atypisch stillen Gesellschaft zu erfassen war.
Betroffene Norm
§ 4 Abs. 1 EStG, § 15 Abs 1 S. 1 Nr. 2 EStG, § 15 Abs 2 EStG
Streitjahr 2014
Vorinstanz
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2019, 1 K 2182/18, EFG 2020, S. 1486
Fundstelle
BFH, Urteil vom 19.09.2024, IV R 5/20
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 28.01.1993, IV R 39/92, BFH/NV 1993, S. 528
BFH, Urteil vom 10.05.2012, IV R 34/09, BStBl. II 2013, S. 471, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 28.05.2020, IV R 4/17, BStBl. II 2020, S. 710, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 16.09.2021, IV R 7/18, BStBl. II 2022, S. 767, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 20.05.2021, IV R 31/19, BStBl. II 2021, S. 768, siehe Deloitte Tax-News
