BFH: Keine Rückstellung für künftige Wartungsverpflichtung
Der BFH bestätigt seine Rechtsprechung, wonach eine öffentlich-rechtliche Wartungsverpflichtung wirtschaftlich nicht in der Vergangenheit verursacht ist, weil wesentliches Merkmal der Überholungsverpflichtung das Erreichen der zulässigen Betriebszeit ist, die den typischerweise auftretenden Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen Rechnung trägt (Anschluss an BFH-Urteil vom 09.11.2016, I R 43/15, zur öffentlich-rechtlichen Wartungsverpflichtung von Flugzeugen). Entsteht eine privatrechtliche Verpflichtung zur Wartung erst mit Ablauf der zulässigen Betriebszeit, kann vor diesem Zeitpunkt kein Erfüllungsrückstand entstehen. Die Bildung einer Rückstellung kommt damit nicht in Betracht.
BFH, Urteil vom 19.02.2025, XI R 11/22
Sachverhalt
Eine GmbH (Leasingnehmer) betrieb ein Eisenbahnverkehrsunternehmen und leaste hierzu Triebfahrzeuge von einer anderen GmbH (Leasinggeber). Neben öffentlich-rechtlichen Wartungs- und Instandhaltungspflichten (nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung, EBO, erforderliche Hauptuntersuchung) sah auch der Leasingvertrag Regelungen zur Wartung und Instandhaltung der Fahrzeuge vor.
Finanzamt und FG erkannten sämtliche vom Leasingnehmer gebildete Rückstellungen für Wartungs- und Instandhaltungsverpflichtungen nicht an.
Entscheidung
Auch der BFH lehnt die Bildung von Rückstellungen ab.
Grundlagen
Gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sind in der Handelsbilanz unter anderem Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden.
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann. Beruhen die Verbindlichkeiten auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften, bedarf es der Konkretisierung in dem Sinne, dass sie inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt sind (z.B. BFH-Urteile vom 06.02.2013, I R 8/12, vom 09.11.2016, I R 43/15 und vom 22.05.2019, XI R 40/17). Ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, so kann eine Rückstellung nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden, dass sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist (vgl. BFH-Urteile vom 06.06.2012, I R 99/10, vom 09.11.2016, I R 43/15, und BFH-Beschluss vom 22.01.2020, XI R 2/19).
Öffentlich-rechtliche Wartungsverpflichtung nicht in der Vergangenheit verursacht
Eine öffentlich-rechtliche Wartungsverpflichtung ist wirtschaftlich nicht in der Vergangenheit verursacht, weil wesentliches Merkmal der Überholungsverpflichtung das Erreichen der zulässigen Betriebszeit ist, die den typischerweise auftretenden Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen Rechnung trägt (vgl. BFH-Urteil vom 09.11.2016, I R 43/15). Erst wenn der Betrieb über die zulässige Betriebszeit hinaus fortgesetzt werden soll, muss der Halter die genannten Kontrollen durchführen. Die Erfüllung dieser Verpflichtungen legitimiert also nicht den Betrieb des entsprechenden Geräts in der Vergangenheit, sondern ermöglicht ihn in der Zukunft.
Leasingvertrag als schwebendes Geschäft
Ein Leasingvertrag mit den darin enthaltenen Verpflichtungen ist ein schwebendes Geschäft. Eine Rückstellung ist nur dann zu bilden, wenn ein sogenannter Erfüllungsrückstand vorliegt, dessen Höhe noch ungewiss ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25.05.2016, I R 17/15). Ein Erfüllungsrückstand liegt vor, wenn der Verpflichtete sich mit seinen Leistungen gegenüber seinem Vertragspartner im Rückstand befindet, also weniger geleistet hat, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hatte.
Ergebnis im Streitfall
- Öffentlich-rechtliche Verpflichtung (Hauptuntersuchtung)
Für die im Streitfall nach der EBO bestehenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zur Durchführung der Hauptuntersuchung war die zulässige Betriebszeit noch nicht erreicht. Die nächste Hauptuntersuchung war erst nach – an den Bilanzstichtagen noch nicht verstrichenen – zwölf Jahren fällig. Die öffentlich-rechtliche Verpflichtung war somit an den Bilanzstichtagen noch nicht wirtschaftlich verursacht. Die Passivierung einer Rückstellung kam daher nicht in Betracht. - Privatrechtliche Verpflichtungen aufgrund des Leasingvertrags
Die daneben bestehende privatrechtliche Verpflichtung zur Durchführung von Hauptuntersuchungen nach dem geschlossenen Leasingvertrag war mit der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung identisch.
Außerdem hatte der Leasingnehmer keine Leistungen in eine Wartungsrücklage des Leasinggebers zu erbringen oder ersatzweise eine Bankbürgschaft zu stellen, die nach der BFH-Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 09.11.2016, I R 43/15) für eine aktuelle wirtschaftliche Belastung und damit für das Vorliegen einer nicht bloß kongruenten privatrechtlichen Verpflichtung sprechen könnten.
Betroffene Norm
§ 249 HGB, § 5 Abs. 1 S. 1 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 S. 1 KStG
Streitjahre 2013 bis 2014
Anmerkung
Einordnung in die bisherige Rechtsprechung
Der hier besprochene Streitfall ist nicht mit dem Fall identisch, der dem BFH-Urteil vom 09.11.2016 (I R 43/15, siehe Deloitte Tax-News) zugrunde lag. Im letztgenannten Fall war der Leasingnehmer nach dem Leasingvertrag zur Instandhaltung/Wartung von geleasten Flugzeugen im Einklang mit den luftverkehrsrechtlichen Bestimmungen (bezogen auf Betriebszeiten) auf eigene Kosten verpflichtet. Hierfür hatte er entweder Zahlungen in eine Wartungsrücklage zu leisten oder eine Bankbürgschaft zu stellen. Für diesen Fall kam der BFH zu dem Ergebnis, dass bei einer privatrechtlichen Verpflichtung zur Zahlung von Wartungsrücklagen-Garantiebeträgen eine Rückstellungsbildung geboten sein kann. Dies gilt nach dem BFH jedenfalls dann, wenn bei Beendigung des Vertrages kein Anspruch auf Rückerstattung der Beträge besteht und der Steuerpflichtige deshalb stets mit den vereinbarten Beträgen belastet bleibt. Solche Zahlungen in eine Wartungsrücklage des Leasinggebers oder die ersatzweise Gestellung einer Bankbürgschaft waren im vorliegend besprochenen Urteilsfall aber gerade nicht vereinbart.
Vorinstanz
Finanzgericht Hessen, 02.12.2021, 4 K 1255/18
Fundstelle
BFH, Urteil vom 19.02.2025, XI R 11/22
Weitere Fundstellen
BFH, Beschluss vom 22.01.2020, XI R 2/19, BStBl. II 2020, S. 493, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 22.05.2019, XI R 40/17, BStBl. II 2019, S. 663
BFH, Urteil vom 09.11.2016, I R 43/15, BStBl. II 2017, S. 379, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 25.05.2016, I R 17/15, BStBl. II 2016, S. 930, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 06.02.2013, I R 8/12, BStBl. II 2013, S. 686
BFH, Urteil vom 06.06.2012, I R 99/10, BStBl. II 2013, S. 196
