FG Berlin-Brandenburg: Bewertung von hybriden Wertpapieren
- Der BFH bestätigt die Entscheidung des FG. Bei börsennotierten verzinslichen Wertpapieren ohne feste Laufzeit, die von den Gläubigern nicht gekündigt werden können, liegt eine voraussichtlich dauernde Wertminderung vor, wenn der Börsenwert Kurswert zum Bilanzstichtag unter denjenigen im Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile gesunken ist und der Kursverlust die Bagatellgrenze von 5 % der Anschaffungskosten bei Erwerb überschreitet. (BFH, Urteil vom 23.08.2023, XI R 36/20, siehe Deloitte Tax-News)
FG Berlin-Brandenburg (Vorinstanz):
Bei Anleihen ohne feste Laufzeit, die nur vom Emittenten, nicht aber vom Anleger gekündigt werden können (sog. Tier 1-Anleihen), führt - anders als bei festverzinslichen Wertpapieren- ein Kursrückgang regelmäßig zu einer dauerhaften Wertminderung, es sei denn, eine Kündigung durch den Emittenten ist absehbar.
Sachverhalt
Eine GmbH hielt in ihrem Umlaufvermögen zwei Anleihen (sog. Tier 1-Anleihen (nachrangige Bankschuldverschreibungen). Beide Anleihen sind bei Fälligkeit zu 100 % des Nennkapitals rückzahlbar, haben keine feste Laufzeit und können nur vom Emittenten zu bestimmten Zeitpunkten gekündigt werden, nicht aber vom Anleger. Die Verzinsung der Anleihen ist vom Euribor abhängig. Während die GmbH die Anleihen aufgrund einer voraussichtlich dauernden Wertminderung zum Kurswert bewertete, war das Finanzamt der Auffassung, dass im Anschluss an die BFH-Rechtsprechung zu festverzinslichen Wertpapieren die Anleihen zum Nominalwert zu bewerten sind.
Entscheidung
Entgegen der Auffassung des Finanzamts kommt das FG zu dem Ergebnis, dass die Anleihen nur mit dem Kurswert als niedrigerem Teilwert anzusetzen sind, weil eine dauerhafte Wertminderung vorliegt (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 i.V.m. Nr. 2 S. 2 EStG).
Allgemeine Grundsätze zur Bewertung von Wertpapieren
Für den Teilwert ist nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich der Wiederbeschaffungswert maßgeblich. Es kommt auf die objektiven Erwägungen zum Wert durch einen gedachten Erwerber des Betriebs an (vgl. BFH-Urteil vom 07.11.1990, I R 116/86). Daher sind Wertpapiere aus Sicht des FG mit dem Kurswert anzusetzen, es sei denn ein Kursverlust ist absehbar vorübergehend oder bewegt sich innerhalb der Marge von 5 %, was beides im zugrundeliegenden Streitfall – unstreitig – nicht vorliegt.
Bisherige Rechtsprechung zur Bewertung festverzinslicher Wertpapiere
Abweichend von diesen Grundsätzen hat der BFH speziell für festverzinsliche Wertpapiere mit fester Laufzeit, die bei Laufzeitende zum Nominalbetrag rückzahlbar sind, ausgesprochen, dass hier regelmäßig allein wegen des gefallenen Kurses keine dauernde Wertminderung vorliege, es sei denn es bestehe zusätzlich beim Emittenten ein Insolvenzrisiko (vgl. BFH-Urteile vom 08.06.2011, I R 98/10 und vom 18.04.2018, I R 37/16). Für den BFH war entscheidend, dass der Inhaber „am Ende der Laufzeit“ („bei Endfälligkeit“) den Nominalwert erhalten würde, was zwischenzeitliche Kursverluste grundsätzlich zu vorübergehenden mache.
Keine Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf hybride Wertpapiere ohne feste Laufzeit
Nach Auffassung des FG lassen sich die Erwägungen des BFH nicht auf Wertpapiere ohne feste Laufzeit, die nur vom Emittenten, nicht aber vom Anleger gekündigt werden können, übertragen. Der Inhaber eines endfälligen Wertpapiers, das bei Laufzeitende zu 100% zurückzuzahlen ist, müsse bei gesunkenem Börsenkurs lediglich das Ende der Laufzeit abwarten, um 100% des Nennwerts zu bekommen. Mangels Endfälligkeit und mangels Kündigungsmöglichkeit des Inhabers trete dieser Effekt im vorliegenden Fall jedoch nicht ein.
Nominalwert als Teilwert nur bei absehbarer Kündigung durch den Emittenten
Ein höherer Wert als der Kurswert komme bei den Anleihen im Streitfall nur dann in Betracht, wenn aufgrund der Marktgegebenheiten eine zumindest gewisse Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Emittent in absehbarer Zeit von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen wird (mit der Folge der Rückzahlung zu 100% des Nominalwerts). Solche Umstände seien an den Bilanzstichtagen jedoch nicht ersichtlich.
Fazit
Während bei festverzinslichen Wertpapieren mit einem festen Endfälligkeitsdatum nach der BFH-Rechtsprechung gilt, dass Kursverluste nur zu einem niedrigeren Teilwert führen, wenn beim Emittenten ein Insolvenzrisiko besteht, gilt bei Wertpapieren ohne feste Laufzeit und Kündigungsmöglichkeit nur des Emittenten aus Sicht des FG gerade umgekehrt, dass ein Kursrückgang regelmäßig zu einer dauernden Wertminderung führt, es sei denn eine Kündigung durch den Emittenten ist absehbar.
Anmerkung
Praxishinweis
Die angeführte Rechtsprechung des BFH zur Bewertung festverzinslicher Wertpapiere wurde im Schrifttum mehrfach kritisiert. Der BFH wird nun im anhängigen Verfahren die Gelegenheit haben, sich erneut mit seiner bisherigen Auffassung auseinanderzusetzen. Ob er dies tut, oder ob er sich auf die Entscheidung des Einzelfalles beschränkt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls sollten bis zu einer abschließenden Entscheidung des BFH entsprechende Fälle mit einer Bewertung von Tier 1-Anleihen zu einem geringeren Kurswert offen gehalten werden.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 23.08.2023, XI R 36/20, siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.10.2020, 10 K 10021/17, BFH-anhängig: XI R 36/20
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 18.04.2018, I R 37/16, BStBl II 2019, S. 73, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 08.06.2011, I R 98/10, BStBl II 2012, S. 716, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 07.11.1990, I R 116/86, BStBl II 1991, S. 342