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12.06.2025
Rechnungslegung

FG Münster: Aktivierungsverbot bei Bestreiten einer Forderung durch den Schuldner

Das Vorsichtsprinzip in Form des Realisationsprinzips ist als “zwingendes Prinzip” auch für die Steuerbilanz zu beachten. Der Ansatz einer bestrittenen Forderung mit ihren Anschaffungskosten (Nennwert) oder einem darunterliegenden Teilwert kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht.

FG Münster, Urteil vom 26.03.2025, 7 K 2394/20 E, G, rechtskräftig 

Sachverhalt

Strittig war, ob und in welcher Höhe eine vorgenommene Einzelwertberichtigung in Ansatz gebracht werden kann.

K (Klägerin) betrieb eine Unternehmensberatung. Zu den Kunden zählte auch die Fa. E, mit der seit dem Jahr 2010 ein Beratervertrag bestand, auf dessen Grundlage monatliche Abrechnungen erfolgten. 

Entscheidung

Das FG setzt in seiner Urteilsbegründung einen Schritt vor der Teilwertabschreibung an. Nach seiner Rechtsauffassung kam es auf die Bewertung nicht an. Denn es lehnte bereits die Bilanzierung dem Grunde nach ab. Der Kunde habe den Bestand der Forderungen im November vor dem Bilanzstichtag durch Anwaltsschriftsatz in vollem Umfang bestritten. Er habe die Forderungen überhaupt nicht begleichen wollen, unabhängig von seiner Zahlungsfähigkeit.

Die strittige Forderung sei daher zum 31.12.2014 aufgrund eines nach ihrer Entstehung umfassenden Bestreitens dem Grunde und der Höhe nach durch den Schuldner nicht (mehr) zu aktivieren.

Vorsichtsprinzip in Form des Realisationsprinzips

Maßgebend für eine Aktivierung ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung nicht, ob eine Forderung oder ein Anspruch fällig oder ein Recht realisierbar ist, sondern ob der Vermögensvorteil wirtschaftlich ausnutzbar ist und damit einen realisierbaren Vermögenswert darstellt.

Ein Gewinn ist nach dem Vorsichtsprinzip in Ausprägung des Realisationsprinzips (§ 252 Abs. 1 Nr. 4, 2. HS HGB) realisiert, wenn bei gegenseitigen Verträgen der Leistungsverpflichtete die vereinbarte Leistung wirtschaftlich erfüllt hat und ihm die Forderung auf die Gegenleistung so gut wie sicher ist (BFH-Urteil vom 10.09.1998, IV R 80/96). Dies gilt für die unterjährige Erfassung in der Bilanzbuchhaltung wie für den Ansatz zum Bilanzstichtag in der für die steuerliche Gewinnermittlung relevanten Steuerbilanz.

Die Zielrichtung von Handels- (Gläubigerschutz/Schutz des Rechtsverkehrs) und der Steuerbilanz (Leistungsfähigkeitsprinzip) decken sich zwar nicht. Allerdings gilt das im HGB kodifizierte Vorsichtsprinzip in Form des Realisationsprinzips als eines der Leitprinzipien der GoB sowohl für die Handels- als auch über § 5 Abs. 1 S. 1 EStG für die Steuerbilanz.

Gewinnwirksame Erfassung der Forderungen in der laufenden Buchführung

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze hatte K die unterjährig jeweils monatlich gegenüber der Fa. E entstandenen Ansprüche aus dem abgeschlossenen Beratervertrag zunächst zutreffend jeweils als Forderung im Rahmen der laufenden Buchführung gewinnwirksam erfasst. Die Forderungen waren nach dem Vorsichts- und Realisationsprinzips als vertraglich begründete Forderungen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen bereits bei ihrer jeweiligen monatlichen Entstehung gewinnwirksam zu buchen. Denn bei einem Rahmen-Dienstvertrag als Dauerschuldverhältnis tritt eine Gewinnrealisation zeitraumbezogen – im Streitfall monatsbezogen – ein.

Keine Aktivierung in der Steuerbilanz zum 31.12.2014

K durfte aufgrund des vollständigen Bestreitens durch die Fa. E im November 2014 die offenen Forderungen in der Steuerbilanz zum Bilanzstichtag 31.12.2014 nicht (mehr) aktivieren. Es bestand insoweit kein Aktivierungswahlrecht, sondern sowohl für die Handels- als auch für die Steuerbilanz ein Aktivierungsverbot. Daher wurden die Forderungen im Ergebnis zutreffend durch eine Teilwertabschreibung auf Null ausgebucht. Denn zu diesem Zeitpunkt konnte der Forderungsbestand nicht mehr als bereits wirtschaftlich realisiert qualifiziert werden.

Keine gewinnwirksame Erfassung bei in vollem Umfang bestrittenen Forderungen

Im Streitfall konnte und durfte K mit der Zahlung der noch offenen Forderungen zum Bilanzstichtag nicht mehr fest rechnen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann eine gewinnwirksame Erfassung der Forderung aufgrund des Vorsichtsprinzip bei in vollem Umfang bestrittenen Forderungen nicht erfolgen (vgl. u. a. BFH-Urteil vom 29.04.2008, I R 67/06). Diese Grundsätze gelten sowohl für Forderungen aus Vertragsverletzung, einer unerlaubten Handlung oder einer ungerechtfertigten Bereicherung als auch für vertraglich begründeten Forderungen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen.

Keine Teilwertabschreibung bei bestrittener Forderung

Das Vorsichtsprinzip in Form des Realisationsprinzips ist als „zwingendes Prinzip“ auch für die Steuerbilanz zu beachten. Dies folgt aus dem Grundsatz der Maßgeblichkeit nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG. Es gibt – gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG i. V. m. § 5 Abs. 6 EStG – insoweit kein von den GoB (Vorsichtsprinzip nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) abweichendes steuerrechtliches Wahlrecht. Der Ansatz einer bestrittenen Forderung mit ihren Anschaffungskosten (Nennwert) oder einem darunterliegenden Teilwert kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht. D.h. bei einer Forderung, die bereits vor dem Bilanzstichtag nicht mehr anzusetzen ist, stellt sich die Frage einer Teilwertabschreibung zum Bilanzstichtag nicht.

Ergebnis im Streitfall

Im Ergebnis kann also bei bestrittenen Forderungen – nach ständiger BFH-Rechtsprechung nicht von einer realisierten Forderung ausgegangen werden, bei der sich dann – so der bisherige Streit der Beteiligten – ggf. noch die Frage einer Teilwertabschreibung wegen fehlender oder eingeschränkter Zahlungsfähigkeit des Schuldners stellen kann.

Zum Bilanzstichtag am 31.12.2024 waren die Forderungen unter Berücksichtigung des Vorsichtsprinzips keinesfalls noch als hinreichend sicher einzustufen und daher zwingend gewinnwirksam zu korrigieren. Es macht für die rechtliche Bewertung keinen Unterschied, ob ein Bestreiten von Beginn an bereits bei der Entstehung der Forderung oder erst später im Jahresverlauf vor dem Bilanzstichtag erfolgt, da in beiden Fällen zum Bilanzstichtag unter Berücksichtigung des Realisationsprinzips keine „so gut wie sichere“ Forderung im Sinne der Rechtsprechung des BFH mehr vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 15.03.2000 II R 15/98).

Erfolgsaussichten eines Gerichtsprozesses nicht von Bedeutung

Für die vorliegende Beurteilung sind etwaige Erfolgsaussichten eines möglichen oder ggf. auch bereits laufenden Gerichtsprozesses nicht von Bedeutung. Insoweit ist auch der Ansatz mit einem Zwischenwert zwischen den Anschaffungskosten und Null nicht zulässig. Denn die Aktivierung einer rechtlich entstandenen Forderung ist nicht nur dann nicht zulässig, wenn sie bereits am Bilanzstichtag bestritten war, sondern auch dann, wenn der Steuerpflichtige nach den Umständen des Falles schon am Bilanzstichtag damit rechnen musste, dass der Verpflichtete oder Dritte den Anspruch bestreiten wird (BFH-Urteil vom 14.03.2006, VIII R 60/03). 

Betroffene Norm

§ 5 Abs. 1 S. 1 ESTG, § 252 Abs. 1 Nr. 4 HS 2 HGB

Streitjahr 2014 

Anmerkung

Praxishinweis

Ein wesentlicher Vorteil für den Steuerpflichtigen gegenüber der Variante “Teilwertabschreibung” ist, dass die Feststellungslast für die Aktivierung einer Forderung dem Finanzamt obliegt, während er für eine Teilwertabschreibung einer aktivierten Forderung eine dauerhafte Wertminderung darlegen und auch nachweisen müsste. 

Fundstelle

Finanzgericht Münster, Urteil vom 26.03.2025, 7 K 2394/20 E, G, rechtskräftig

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 10.09.1998, IV R 80/96, BStBl. II 1999, S. 21

BFH, Urteil vom 29.04.2008, I R 67/06, BStBl. II. 2011, S. 55

BFH, Urteil vom 15.03.2000, II R 15/98, BStBl. II 2000, S. 588

BFH, Urteil vom 14.03.2006, VIII R 60/03, BStBl. II 2006, S. 650 

Ihre Ansprechpartnerin

Daniela Gemmel
Senior Manager

dgemmel@deloitte.de
Tel.: +4921187725394

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