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18.12.2018
Rechnungslegung

FG Münster: Rangrücktritt führt nicht zwingend zum Passivierungsverbot

Aktuell: Der BFH kommt ebenso wie das FG zu dem Ergebnis, dass eine Rangrücktrittserklärung, die die Erfüllung der Verpflichtung nicht nur aus zukünftigen Gewinnen und Einnahmen, sondern auch aus sonstigem freien Vermögen vorsieht, selbst dann weder handels- noch steuerbilanziell ein Passivierungsverbot auslöst, wenn der Schuldner aufgrund einer fehlenden operativen Geschäftstätigkeit aus der Sicht des Bilanzstichtages nicht in der Lage ist, freies Vermögen zu schaffen, und eine tatsächliche Belastung des Schuldnervermögens voraussichtlich nicht eintreten wird. 

BFH, Urteil vom 19.08.2020, XI R 32/18, siehe Deloitte Tax-News 
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FG Münster (Vorinstanz)

Ein unter der Maßgabe erklärter Rangrücktritt, dass Gesellschafterforderungen nicht nur aus künftig entstehenden Jahresüberschüssen und einem Liquidationserlös, sondern auch aus dem sog. freien Vermögen zu bedienen sind, führt nicht zu einem Passivierungsverbot für die betreffenden Verbindlichkeiten. Das gilt selbst dann, wenn die Gesellschaft vermögenslos ist und aufgrund einer fehlenden operativen Geschäftstätigkeit nicht in der Lage sein wird, freies Vermögen zu schaffen. Unbeachtlich ist auch, wenn über mehrere Jahre hinweg sukzessiv Forderungsverzichte ausgesprochen werden.

Sachverhalt

Die T-GmbH, die im Streitzeitraum keine operativen Tätigkeiten ausübte, hatte Verbindlichkeiten gegenüber ihrer Alleingesellschafterin, der U-GmbH. Diese erklärte im Jahr 2007 zur Abwendung der Überschuldung der T-GmbH für einen Teil ihrer Forderungen hinter die Forderungen aller anderen Gläubigern in der Weise zurückzutreten, dass ihre Forderungen nur aus zukünftigen Jahresüberschüssen, einem Liquidationserlös oder aus einem die sonstigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft übersteigenden freien Vermögen zu bedienen sind. In den darauffolgenden Jahren (2008 bis 2011) verzichtete die Alleingesellschafterin sukzessive auf Teile ihrer Forderungen. 

Das Finanzamt war der Auffassung, dass aufgrund der Rangrücktrittserklärung keine ernste Rückzahlungsabsicht bei der T-GmbH mehr vorliege und löste die bestehenden Verbindlichkeiten (abzüglich des freien Vermögens) gewinnerhöhend auf.

Entscheidung

Das Finanzamt habe die Verbindlichkeiten zu Unrecht aufgelöst.

Passivierungspflicht für Verbindlichkeiten

Eine Verbindlichkeit ist gem. § 247 Abs. 1 HGB zu bilanzieren, wenn der Unternehmer zu einer dem Inhalt und der Höhe nach bestimmten Leistung an einen Dritten verpflichtet ist, die vom Gläubiger erzwungen werden kann und eine wirtschaftliche Belastung darstellt (vgl. BFH vom 30.11.2011, I R 100/10 und BFH vom 15.04.2015, I R 44/14). Betrieblich begründete Verbindlichkeiten sind in der Handelsbilanz und in der Steuerbilanz daher auszuweisen, solange der Gläubiger dem Schuldner die Schulden nicht aus betrieblichen Gründen erlässt oder sich ergibt, dass die Verbindlichkeiten aus sonstigen Gründen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt zu werden brauchen (BFH vom 30.03.1993, IV R 57/91 und BFH vom 20.10.2004, I R 11/03). Die Forderungsteilbeträge, auf die die Alleingesellschafterin verzichtet hat, sind von der T-GmbH daher unstreitig zutreffend aufgelöst worden.

Passivierungsverbot nach § 5 Abs. 2a EStG

Gemäß § 5 Abs. 2a EStG sind für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftige Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Der Gewinnbegriff im Sinne von § 5 Abs. 2a EStG stellt nach der Rechtsprechung des BFH nicht nur auf den Steuerbilanzgewinn ab, sondern erfasst auch Sachverhalte, in denen die betroffenen Verpflichtungen nur aus künftigen (handelsrechtlichen) Jahresüberschüssen zu erfüllen sind (BFH-Urteil vom 15.04.2015, I R 44/14). § 5 Abs. 2a EStG gilt unterschiedslos – also auch im Falle von Rangrücktrittserklärungen – für alle Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Gewinne anfallen (BFH-Urteil vom 30.11.2011, I R 100/10). Darunter fallen auch Verbindlichkeiten, die auf der Grundlage einer Rangrücktrittserklärung aus einem Liquidationsüberschuss zu tilgen sind.

Rangrücktritt, Vermögenslosigkeit und fehlende operative Geschäftstätigkeit begründen kein Passivierungsverbot

Ein erklärter Rangrücktritt lässt die wirtschaftliche Belastung grundsätzlich nicht entfallen. Auch die Vermögenslosigkeit allein führt nach der Rechtsprechung des BFH noch nicht dazu, eine rechtlich bestehende Verpflichtung aus der Handelsbilanz oder aus der Steuerbilanz auszubuchen (BFH-Urteil vom 10.08.2016, I R 25/15. Gleiches gilt für den Fall, dass eine Rangrücktrittsvereinbarung vorsieht, die Gesellschafterforderungen seien aus dem sog. freien Vermögen zu tilgen BFH-Urteile vom 30.11.2011, I R 100/10, vom 15.04.2015, I R 44/14 und vom 10.08.2016, I R 25/15). Daraus schließt das FG, dass bei Rangrücktrittsvereinbarungen, nach denen die Schulden auch aus dem sonstigen freien Vermögen zu bedienen sind, eine aktuelle wirtschaftliche Belastung des Schuldners am Bilanzstichtag gegeben ist. Dies begründe im Streitfall eine Passivierungspflicht.

Auch die Tatsache, dass die T-GmbH keine operative Geschäftstätigkeit mehr ausgeübt hat und damit wirtschaftlich nicht in der Lage war, freies Vermögen zu schaffen, um die Verbindlichkeiten zu tilgen, ändere nichts an der weiterhin bestehenden rechtlichen Verpflichtung.

Sukzessive Auflösung der Verbindlichkeiten ist steuerlich nicht zu beanstanden

Für unbeachtlich befand das FG, dass die Alleingesellschafterin bis zum Jahr 2011 kontinuierlich auf Teilforderungen verzichtete, sodass die vom Rangrücktritt umfassten Verbindlichkeiten zum 31.12.2011 vollständig erloschen waren, ohne dass die T-GmbH Zahlungen geleistet hatte.
Die sukzessive gewinnerhöhende Auflösung der Verbindlichkeiten führte dazu, dass die Mindestbesteuerung nicht eingriff. Das FG sah darin ein zulässiges Gestaltungsinstrument, welches nicht zu beanstanden sei.

Betroffene Norm

§ 5 Abs. 2a EStG

Streitjahr 2008

Anmerkungen

Einordnung in die bisherige Rechtsprechung des BFH

Im Urteil vom 10.08.2016 (I R 25/16) hat der BFH festgestellt, dass eine Rangrücktrittsvereinbarung, die vorsieht, dass die Verbindlichkeit (auch) aus sog. freiem Vermögen zu tilgen ist, nicht zur Folge hat, dass die Verpflichtung bei Vermögenslosigkeit des Schuldners im handels- oder steuerrechtlichen Abschluss auszubuchen ist. Noch deutlicher formuliert der BFH in dem kurze Zeit später ergangenen Urteil vom 28.09.2016 (II R 64/14), dass § 5 Abs. 2a EStG auf Rangrücktrittsvereinbarungen nicht anwendbar ist, wenn die Verbindlichkeit auch aus sonstigem Vermögen, dem sog. freien Vermögen, zu tilgen ist. Eine Vereinbarung, nach der der Gläubiger mit seiner Forderung hinter die Forderungen aller anderen Gläubiger in der Weise zurücktritt, dass sie nur aus künftigen Gewinnen oder aus dem die sonstigen Verbindlichkeiten des Schuldners übersteigenden Vermögen bedient zu werden braucht, schließe die Bilanzierung der Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger nicht aus. Dies entsprach schon bisher der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 08.092006). 

Klärungsbedürftig war aber noch, wie sich die Einbindung des sonstigen freien Vermögens in die Rangrücktrittserklärung in der vorliegend gegebenen Konstellation auswirkt, in der der Schuldner aufgrund einer fehlenden operativen Geschäftstätigkeit aus der Sicht des Bilanzstichtages nicht in der Lage sein wird, freies Vermögen zu schaffen und dass eine tatsächliche Belastung des Schuldnervermögens nicht eintritt, da nach dem Rangrücktritt sukzessive Forderungsverzichte erklärt werden.

Aktuell: BFH-Urteil vom 19.08.2020, XI R 32/18

Der BFH kommt mit Urteil vom 19.08.2020 (XI R 32/18) übereinstimmend mit der Auffassung des FG zu dem Ergebnis, dass eine Rangrücktrittserklärung, die die Erfüllung der Verpflichtung nicht nur aus zukünftigen Gewinnen und Einnahmen, sondern auch aus sonstigem freien Vermögen vorsieht, selbst dann weder handels- noch steuerbilanziell ein Passivierungsverbot auslöst, wenn der Schuldner aufgrund einer fehlenden operativen Geschäftstätigkeit aus der Sicht des Bilanzstichtages nicht in der Lage ist, freies Vermögen zu schaffen, und eine tatsächliche Belastung des Schuldnervermögens voraussichtlich nicht eintreten wird. Denn die reale Erfüllungsfähigkeit ist für die Passivierung einer Verbindlichkeit irrelevant, so der BFH.

Fundstellen

BFH, Urteil vom 19.08.2020, XI R 32/18, siehe Deloitte Tax-News 

Finanzericht Münster, Urteil vom 13.09.2018, 10 K 504/15 K,G,F

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 28.09.2016, II R 64/14, BStBl. II 2017, S. 104

BFH, Urteil vom 10.08.2016, I R 25/15, BStBl. II 2017, S. 670, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 15.04.2015, I R 44/14, BStBl II 2015, 769, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 30.11.2011, I R 100/10, BStBl II 2012, S. 332, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 20.10.2004, I R 11/03, BStBl II 2005, S. 581

BFH, Urteil vom 30.03.1993, IV R 57/91, BStBl II 1993, 502

BMF, Schreiben vom 08.092006, IV B 2-S 2133-10/06, BStBl. I 2006, S. 497

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