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28.07.2022
Arbeitnehmerbesteuerung/ Sozialversicherung

BFH: Betriebsstättenbegriff nach altem und dem ab 2014 geltenden Reisekostenrecht

Nach der bis 2013 geltenden Rechtslage setzte das Erfordernis eines nachhaltigen und fortdauernden Aufsuchens der Betriebsstätte zur Ausübung der betrieblichen Tätigkeit durch den Unternehmer (Merkmal der Dauerhaftigkeit) keine bestimmte vertragliche Mindestlaufzeit voraus. Nach der Neuordnung des steuerlichen Reisekostenrechts ab 2014 wird die erste Tätigkeitsstätte vorrangig anhand des arbeits-(vertrag-) oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bestimmt. Offen bleibt, welche Bedeutung die Neuregelung des Reisekostenrechts und der ersten Tätigkeitsstätte für Gewerbetreibende und den Begriff der Betriebsstätte hat.

Sachverhalt

Der Unternehmer (Kläger K) betreibt seit 2010 ein Abbruchunternehmen als Ein-Mann-Betrieb in R. Im Rahmen dieses Betriebes führte er verschiedene Tätigkeiten direkt auf dem Gelände seines einzigen Auftraggebers (A) in E aus. Für die Fahrten zu seinem Auftraggeber nutzte er zum Teil seinen im Betriebsvermögen befindlichen PKW.

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Fahrten des Unternehmers K mit seinem PKW in den Streitjahren 2012 bis 2014 als Wege zwischen Wohnung und seiner Betriebsstätte auf dem Gelände seines Auftraggebers in E anzusehen sind. Die dafür angefallenen Aufwendungen seien daher nicht nach Reisekostengrundsätzen zu berücksichtigen. Das sah auch das FG so.

Entscheidung

Der BFH kam in Übereinstimmung mit dem FG ebenfalls zu dem Schluss, dass die Betriebsausgaben für die Fahrten des Unternehmers K mit seinem betrieblichen PKW zwischen seiner Wohnung in R und dem Betrieb des Auftraggebers in E in den Streitjahren 2012 bis 2014 nur beschränkt gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 EStG abgezogen werden können.

Gesetzliche Grundlage
Zur Abgeltung der Aufwendungen für die Wege des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebsstätte ist gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 S. 1 und 2 EStG die Vorschrift des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG (Entfernungspauschale) entsprechend anzuwenden.

Ab dem Streitjahr 2014 ergibt sich eine Neuregelung im Hinblick auf den Begriff der „ersten Tätigkeitsstätte“. Gemäß § 9 Abs. 4 S. 1 EStG ist die erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der dem Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Von einer dauerhaften Zuordnung ist nach § 9 Abs. 4 S. 3 EStG insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.

Ort der Betriebsstätte in den Streitjahren 2012 – 2013
Nach ständiger BFH-Rechtsprechung ist als Betriebsstätte bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, der Ort anzusehen, an dem er die geschuldete Leistung zu erbringen hat, in der Regel also der Betrieb des Auftraggebers. Diese zu § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 EStG a. F. entwickelte Definition der Betriebsstätte weicht zwar vom allgemeinen Betriebsstättenbegriff des § 12 AO ab, weil eine abgrenzbare Fläche oder Räumlichkeit und eine hierauf bezogene eigene Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen nicht erforderlich ist. Eine normspezifische Gesetzesauslegung ist nach der Überzeugung des BFH jedoch im Hinblick auf den mit § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 EStG a. F. verfolgten Zweck, die Bezieher von Gewinneinkünften in Bezug auf regelmäßige Fahrten mit Arbeitnehmern gleichzustellen, verfassungsrechtlich geboten.

Darüber hinaus weist der BFH darauf hin, dass nach der in den Streitjahren 2012 und 2013 geltenden Begriffsbestimmung der Begriff der Betriebsstätte schon wegen der Verweisung in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 S. 2 EStG a. F. auf die Regelung in § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG a. F. gleichermaßen wie der dort für Arbeitnehmer verwendete Begriff der "Arbeitsstätte" dadurch gekennzeichnet sei, dass er eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung voraussetzt, die der Steuerpflichtige nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d. h. fortdauernd und immer wieder zur Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit aufsucht.

Dem stehe nicht die Aussage des X. Senats des BFH entgegen, dass der Betrieb des Auftraggebers in der Regel als Betriebsstätte anzusehen sei, wenn der Unternehmer nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt (vgl. BFH-Urteil vom 22.10.2014, X R 13/13). Diese Aussage stelle keine Einschränkung dahingehend dar, dass ein Unternehmer mit eigener Betriebsstätte keine Betriebsstätte beim Betrieb des Auftraggebers mehr haben könne.

Im Streitfall sei auch das Merkmal der „Dauerhaftigkeit“ erfüllt. Der Unternehmer K habe aufgrund einer Vielzahl von Einzelaufträgen seine Tätigkeiten in E regelmäßig ausgeführt. Der bisherigen BFH-Rechtsprechung zur Rechtslage bis 2013 lasse sich nicht entnehmen, dass das Erfordernis eines nachhaltigen und fortdauernden Aufsuchens der Betriebsstätte zur Ausübung der betrieblichen Tätigkeit durch den Unternehmer ("Dauerhaftigkeit") eine bestimmte vertragliche Mindestlaufzeit voraussetzt und dass dieses Erfordernis bei einer wiederholten Vergabe von Jahresverträgen durch den einzigen Auftraggeber nicht erfüllt sein könnte. Ebenso wenig seien der BFH-Rechtsprechung zum früheren Reisekostenrecht bestimmte zeitliche Vorgaben zu entnehmen. Es sei ex ante zu beurteilen, ob der Arbeitnehmer voraussichtlich an seine regelmäßige Arbeitsstätte zurückkehren und dort seine berufliche Tätigkeit fortsetzen werde, da das Gesetz derzeit noch (anders als nunmehr § 9 Abs. 4 EStG n.F.) keine zeitliche Obergrenze für die Annahme einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit vorgebe.

Ort der Betriebsstätte im Streitjahr 2014
Unabhängig davon, ob die Maßstäbe des neuen Reisekostenrechts auch für Gewerbetreibende anzuwenden sind, kommt das FG, dem der BFH zustimmt, zu dem Ergebnis, dass der Betrieb des A als (erste) Betriebsstätte des K anzunehmen ist.

Für den Fall, dass der Begriff der ersten Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG auf Gewerbetreibende anzuwenden ist, trifft der BFH folgenden Feststellungen:

Bei dem Betrieb des A handele es sich um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Auftraggebers – unter einem "Dritten" i.S. des § 9 Abs. 4 S. 1 EStG n.F. sei (auch) der Kunde des Arbeitgebers zu verstehen (vgl. BMF-Schreiben vom 25.11.2020, Rz 5) –, in der K in zeitlich erheblichem Umfang seine vertraglich geschuldeten Arbeiten erbracht habe.

Die Zuordnung gemäß § 9 Abs. 4 S. 3 Alternative 2 EStG erfolge für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll (vgl. BFH-Urteil vom 10.04.2019, VI R 6/17). Dies sei hier der Fall. K sollte für die gesamte Dauer des im Vorhinein befristeten Auftragsverhältnisses auf dem Betriebsgelände der A die erforderlichen Abbruch- und Reinigungsarbeiten erbringen. Dass K lediglich für höchstens ein Kalenderjahr tätig werden sollte, sei bereits nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 4 S. 3 Alternative 2 EStG n.F., der bei einer Zuordnung für die gesamte Dauer des Dienstverhältnisses keine Anforderungen an den zeitlichen Umfang stellt, unbeachtlich (vgl. Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 26.01.2021, 3 K 2195/18).

Anmerkung

Der BFH konnte im Streitfall offen lassen, ob und welche Bedeutung dem durch das neue Reisekostenrecht eingeführten Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" in § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1, Abs. 4 S. 1 EStG n.F. für die Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 EStG n.F. (Gewerbetreibende) zukommt.

Ebenso konnte der BFH dahinstehen lassen, ob bei mehreren Betriebsstätten die erste Betriebsstätte anhand quantitativer Merkmale zu bestimmen (vgl. BMF-Schreiben 23.12.2014, Rz 5) oder darauf abzustellen wäre, welche Betriebsstätte den qualitativen Schwerpunkt bildet. Im Streitfall war das FG nämlich davon ausgegangen, dass nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die Aufgabenerledigung in E sowohl nach inhaltlichen als auch nach zeitlichen Kriterien eindeutig den Mittelpunkt der betrieblichen Arbeit des K dargestellt habe.

Betroffenen Normen

§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 EstG, § 9 Abs. 4 EStG

Streitjahre 2012 bis 2014

Vorinstanz

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2019, 9 K 1960/17

Fundstelle

BFH, Urteil vom 16.02.2022, X R 14/19, BStBl II 2022, S. 805

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 10.04.2019, VI R 6/17, BStBl. II 2019, S. 539,
siehe Deloitte Tax-News 

Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.01.2021, 3 K 2195/18, EFG 2021, S. 953

BMF, Schreiben vom 23.12.2014, IV C 6-S 2145/10/10005:001, BStBl. I 2015, S. 26

BMF, Schreiben vom 25.11.2020, IV C 5-S 2353/19/10011:006, BStBl. I 2020, S. 1228,siehe Deloitte Tax-News 

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