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30.03.2012
Arbeitnehmerbesteuerung/ Sozialversicherung

BFH: Fahrtkosten im Rahmen eines Vollzeitstudiums/einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme

Eine Hochschule (Universität) oder andere Bildungseinrichtung ist nicht als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen, auch wenn diese häufig über einen längeren Zeitraum hinweg zum Zwecke eines Vollzeitstudiums aufgesucht wird (Änderung der Rechtsprechung). Aufwendungen für Fahrten zu einer vollzeitig besuchten Bildungseinrichtung sind deshalb nicht mit der Entfernungspauschale, sondern in tatsächlicher Höhe (wie Dienstreisen) als Werbungskosten zu berücksichtigen.

Sachverhalt

Streitig ist, ob Reisekosten, die im Rahmen einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme entstanden sind, mit der Pendlerpauschale oder in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

VI R 42/11
Der Kläger war bis zum 30.06.2009 Soldat auf Zeit und bezog als solcher im Streitjahr (2009) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In der Zeit von Februar 2008 bis Januar 2010 wurde dem Kläger eine in Vollzeitform durchgeführte Ausbildung an der A-Schule in B bewilligt. Vom militärischen Dienst wurde der Kläger freigestellt. Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Fortbildungskosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Diese entfielen auch auf die unter Zugrundelegung eines Kostensatzes von 0,30 Euro je gefahrenen Kilometer ermittelten Kosten der Fahrten zwischen der Wohnung und der A-Schule in B. Das Finanzamt berücksichtigte die geltend gemachten Fahrtkosten jedoch nur in Höhe des sich unter Ansatz der Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2 EStG) ergebenden Betrages. Die hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das FG ab.

VI R 44/10
Nachdem die Klägerin Anfang 2005 arbeitslos geworden war, begann sie im April 2005 ein Studium an einer Hochschule. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2005) machte die Klägerin für ihr Studium u.a. Kosten für Fahrten zur Hochschule als (vorab entstandene) Werbungskosten geltend. Die Fahrtkosten ermittelte sie nach Dienstreisegrundsätzen, indem sie pro gefahrenem Kilometer (Entfernung zwischen Wohnung und Hochschule) 0,30 Euro ansetzte. Das Finanzamt berücksichtigte die Fahrtkosten zur Schule lediglich im Rahmen der Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (0,30 Euro pro Entfernungskilometer). Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Entscheidung

VI R 42/11
Die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten zur A-Schule nach B sind gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 EStG in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzusetzen.

Werbungskosten, nämlich Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen i.S. des § 9 Abs. 1 S. 1 EStG, liegen vor, wenn sie durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Sie sind beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt. Dann sind die Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar, wenn - wie zwischen den Beteiligten vorliegend zu Recht nicht in Streit steht - sie in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen. Diese Voraussetzungen können auch bei berufsbezogenen Bildungsmaßnahmen erfüllt sein (zuletzt BFH-Urteil vom 27.10.2011).

Als Werbungskosten abziehbar sind sämtliche Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der beruflichen Bildungsmaßnahme stehen. Hierzu gehören auch Fahrt- bzw. Mobilitätskosten. Sie sind grundsätzlich gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 EStG in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 10.01.2008). Dieser Grundsatz erfährt allerdings durch § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG insoweit eine Einschränkung, als die Fahrtkosten zwischen Wohnung und (regelmäßiger) Arbeitsstätte nicht im tatsächlichen Umfang, sondern nur nach Maßgabe einer Entfernungspauschale steuerlich abziehbar sind. Die Begrenzung der Steuererheblichkeit von Wegekosten ist nach bisheriger Rechtsprechung des BFH auch bei Fahrten im Rahmen beruflicher Bildungsmaßnahmen zu beachten. Denn danach ist eine Bildungseinrichtung regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG, wenn diese häufig über einen längeren Zeitraum hinweg zum Zwecke eines Vollzeitunterrichts aufgesucht wird (BFH-Urteile vom 29.04.2003, 22.07.2003 und 10.04.2008). Hieran hält der BFH nicht länger fest.

Denn auch wenn die berufliche Fort- oder Ausbildung die volle Arbeitszeit des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt, ist eine Bildungsmaßnahme, auch wenn sie sich - wie vorliegend die vom Kläger zu Erwerbszwecken durchgeführte Ausbildung - über einen längeren Zeitraum erstreckt, regelmäßig vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt. Im Übrigen versteht der BFH nach neuerer Rechtsprechung unter "regelmäßiger Arbeitsstätte" (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG) nur eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers und damit regelmäßig den Betrieb des Arbeitgebers oder einen Zweigbetrieb (BFH-Urteile vom 09.07.2009, VI R 21/08 und VI R 42/08 und vom 17.06.2010). Schon aus diesem Grund ist eine - wie vorliegend - arbeitgeberfremde Bildungseinrichtung - unabhängig davon, ob die Bildungsmaßnahme die volle Arbeitszeit des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt oder neben einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung ausgeübt wird - nicht als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen.

VI R 44/10
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben. Denn die Aufwendungen der Klägerin für die Fahrten zur Hochschule sind gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 EStG in tatsächlicher Höhe und nicht lediglich mit 0,30 Euro für jeden Entfernungskilometer (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG) als vorab entstandene Werbungskosten anzusetzen.

Über die zum oben besprochenen Urteil (VI R 42/11) angeführte Begründung hinaus weist der BFH darauf hin, dass eine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG nur im Rahmen bezahlter Arbeit in Betracht kommt (vgl. bereits BFH-Urteil vom 23.08.1979).

Betroffene Norm

§ 9 Abs. 1 S. 1 EStG, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG
Streitjahre 2009 (VI R 42/11) und 2005 (VI R 44/10)

Anmerkungen

Aufwendungen für Dienstreisen können (auch bei Inanspruchnahme der Kilometerpauschale) steuerlich nur berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige Fahrtaufwand tatsächlich getragen hat. Bei Anwendung der Entfernungspauschale kommt es darauf nicht an.

Vorinstanz

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 03.08.2011, 4 K 40/11, EFG 2011, S. 2051 (zu VI R 42/11)
Finanzgericht Köln, Urteil vom 28.04.2010, 7 K 2486/09, EFG 2010, S. 1616 (zu VI R 44/10), siehe Deloitte Tax-News

Fundstellen

BFH, Urteil vom 09.02.2012, VI R 42/11
BFH, Urteil vom 09.02.2012, VI R 44/10

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 27.10.2011, VI R 52/10, BFH/NV 2012, S. 323
BFH, Beschluss vom 10.01.2008, VI R 17/07, BStBl II 2008, S. 234
BFH, Urteil vom 29.04.2003, VI R 86/99, BStBl II 2003, S. 749
BFH, Urteil vom 22.07.2003, VI R 190/97, BStBl II 2004, S. 886
BFH, Urteil vom 10.04.2008, VI R 66/05, BStBl II 2008, S. 825
BFH, Urteil vom 09.07.2009, VI R 21/08, BStBl II 2009, S. 822, siehe Deloitte Tax-News 
BFH, Urteil vom 09.07.2009, VI R 42/08, BFH/NV 2009, S. 1806, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 17.06.2010,VI R 35/08, BStBl II 2010, S. 852, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 23.08.1979, VI R 87/78, BStBl II 1979, S. 773

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