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23.08.2023
Arbeitnehmerbesteuerung/ Sozialversicherung

BFH: Kein Zufluss von Arbeitslohn bei Wertguthaben

​Arbeitslohn (hier: Entlassungsentschädigung) fließt dem Arbeitnehmer auch dann nicht zu, wenn die Vereinbarung über die Zuführung zu einem Wertguthaben des Arbeitnehmers oder die vereinbarungsgemäße Übertragung des Wertguthabens auf die DRV Bund sozialversicherungsrechtlich unwirksam sein sollten, soweit alle Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis gleichwohl eintreten und bestehen lassen.

BFH, Urteil vom 03.05.2023, IX R 25/21

Sachverhalt

Ein Konzern (Klägerin) schloss im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen mit dem Ziel des Personalabbaus mit ihrem Betriebsrat mehrere aufeinander aufbauende Rahmenvereinbarungen ab, im Rahmen dessen ausscheidenden Mitarbeitern "Freiwilligen-Abfindungen" nach u.a. den Regelungen des Sozialplans angeboten wurden. Dieser bestimmt, dass der Abfindungsanspruch mit dem Zugang der Kündigung oder dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags entsteht und mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird. Die Abfindung konnte in das Langzeitkonto eingebracht werden.

Die Klägerin verpflichtete sich, die im Langzeitkonto angesparten Geldbeträge in einer aufgeschobenen Rentenversicherung bei der X-Versicherungs AG anzulegen. Die Mitarbeiter konnten die Langzeitkonten nur dazu nutzen, um eine vollständige oder teilweise Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung vor der Inanspruchnahme von gesetzlicher Altersrente zu ermöglichen. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses sollte das Guthaben in einem Betrag ausgezahlt oder ohne Abzug von Lohnsteuer auf den neuen Arbeitgeber oder die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) übertragen werden.

Die Arbeitsverhältnisse der im Streitfall betroffenen Mitarbeiter endeten im Jahr 2012. Alle vier Mitarbeiter beantragten vor Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse, die Abfindungszahlung ihrem Langzeitguthaben zuzuführen und dieses nach Beendigung ihrer Beschäftigung auf die DRV Bund zu übertragen. Zwei der Mitarbeiter machten von der Möglichkeit Gebrauch, den Abfindungsanspruch aufzuteilen und ließen sich einen Teil der Abfindung auszahlen. Die Klägerin unterwarf die dem Langzeitkonto gutgebrachten Abfindungsanteile bei Fälligkeit nicht der Lohnsteuer. Die dem Langzeitkonto gutzubringenden Beträge wurden bei Fälligkeit nicht an die X-Versicherungs AG, sondern zusammen mit dem bisherigen Langzeitkonto mit zeitlicher Verzögerung erst auf Anforderung von der Klägerin direkt an die DRV Bund gezahlt.

Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die an die DRV Bund gezahlten Abfindungsbeträge zu Unrecht nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden seien. Sie hätten nach Beendigung der Arbeitsverhältnisse nicht mehr wirksam dem Langzeitkonto zugeführt werden können.

Das Finanzamt erließ einen auf § 42d Abs. 1 EStG gestützten Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für die Zeit von September 2012 bis September 2014. Die dagegen gerichtete Klage hat das FG abgewiesen. 

Entscheidung

Der BFH kommt entgegen der Auffassung des FG zu der Entscheidung, dass den Arbeitnehmern die Abfindungen, soweit sie den jeweiligen Langzeitkonten zugeführt werden sollten, nicht zugeflossen sind. Die Lohnsteuer ist mithin nicht entstanden, und eine (akzessorische) Haftung der Klägerin kommt nicht in Betracht.

Zufluss von Gutschriften auf einem Wertguthabenkonto

Die Abfindungen gehören bei den Arbeitnehmern der Klägerin zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 EStG) und sind lohnsteuerrechtlich Arbeitslohn (sonstige Bezüge). Arbeitslohn ist mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zugeflossen. Zuflusszeitpunkt ist der Tag der Erfüllung des Anspruchs des Arbeitnehmers, also der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die geschuldete Leistung tatsächlich erbringt.

Gutschriften auf einem Wertguthabenkonto sind kein gegenwärtig zufließender Arbeitslohn (BFH-Urteile vom 22.06.2018, VI R 16/17 und vom 04.09.2019, VI R 39/17), denn durch die Zuführung von Arbeitslohn zu einem Wertguthabenkonto wird der Anspruch des Arbeitnehmers nicht erfüllt. Vielmehr erwirbt dieser anstelle des fälligen Lohnanspruchs einen noch nicht fälligen Anspruch auf zukünftige Lohnzahlung gegen den Arbeitgeber. Die Leistung des Arbeitgebers auf das Wertguthabenkonto dient nur der Absicherung des zukünftigen Anspruchs. Eine zum Zufluss führende Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten liegt nicht vor. Zum Zufluss führt auch nicht der Abschluss der Vereinbarung über die Zuführung von Lohnbestandteilen zu einem Wertguthabenkonto (Wertguthabenvereinbarung). Darin liegt weder eine Novation noch eine Lohnverwendungsabrede (BFH-Urteil vom 04.09.2019, VI R 39/17). Zum Zufluss von Arbeitslohn kommt es erst, wenn das Wertguthaben unter den vereinbarten Bedingungen an den Arbeitnehmer ausgezahlt wird.

Das gilt auch, wenn das Wertguthaben auf die DRV Bund übertragen worden ist.

Wirksamkeit der Wertguthabenvereinbarungen ist unerheblich

Grundsätzlich gilt, dass Abfindungszahlungen, die als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden, das Wertguthabenkonto nicht hätten erhöhen dürfen und die zugrunde liegenden Vereinbarungen unwirksam waren. Im Streitfall konnte die Frage, ob die Abfindungen den Langzeitkonten wirksam zugeführt werden konnten, allerdings offenbleiben.

Denn nach § 41 Abs. 1 S. 1 AO kommt es steuerlich nicht darauf an, ob ein Rechtsgeschäft unwirksam ist oder wird, soweit und solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten und bestehen lassen. Der BFH hat es deshalb in einem Fall dahinstehen lassen, ob die Vereinbarung über die Einführung von Zeitwertkonten zivilrechtlich wirksam war (BFH, Urteil vom 04.09.2019, VI R 39/17). Für die Frage, ob die Vereinbarungen über die Zuführung von einzelnen Lohnbestandteilen (hier: Abfindungen) zu den Langzeitkonten zivilrechtlich wirksam waren, kann nichts anderes gelten.

Im Streitfall sind alle Beteiligten ersichtlich von der Zulässigkeit und Wirksamkeit der getroffenen Vereinbarungen ausgegangen und haben sich dementsprechend verhalten. Sie haben (in gutem Glauben) das Vereinbarte eintreten und bestehen lassen. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Abfindungen tatsächlich nicht dem Gruppenversicherungskonto bei der X-Versicherungs AG zugeführt, sondern von der Klägerin direkt an die DRV Bund überwiesen worden sind. Darin liegt zwar eine gewisse Abweichung vom Vereinbarten, die aber nur eine steuerlich unbeachtliche Abkürzung des Zahlungswegs betrifft. Der Sachverhalt ist so zu beurteilen, als hätte die Klägerin zunächst an die Versicherung gezahlt und diese das Guthaben danach auf die DRV Bund übertragen.

Da sich alle Beteiligten so verhielten, als ob die Vereinbarungen wirksam waren, konnten die Arbeitnehmer auf die nicht an sie ausgezahlten Abfindungen nicht zugreifen.

Keine zum Zufluss führende Lohnverwendungsabrede

Aus denselben Gründen liegt weder in der Anweisung, den Abfindungsanspruch dem Langzeitkonto zuzuführen noch in dem Antrag auf Übertragung des Langzeitkontos auf die DRV Bund eine zum Zufluss führende Lohnverwendungsabrede der Arbeitnehmer. Die Klägerin erfüllte mit den Zuführungen zum Wertguthabenkonto weder Verbindlichkeiten ihrer Arbeitnehmer gegenüber Dritten noch handelte es sich bei der Wertguthabenvereinbarung um ein Rechtsgeschäft, bei dem sich die Klägerin als Arbeitgeberin und die ausscheidenden Arbeitnehmer wie fremde Dritte gegenüberstanden und zu dessen Erfüllung der Arbeitnehmer seinen Barlohn verwendete (BFH- Urteil vom 22.06.2018, VI R 17/16).

Kein unentziehbarer Anspruch

Ferner hat die Klägerin durch die Zahlung an die DRV Bund ihren ausscheidenden Arbeitnehmern keinen unentziehbaren Anspruch gegen die DRV Bund verschafft. Anders als bei einer Direktversicherung (BFH-Urteil vom 24.08.2017, VI R 58/15) begründet die Übertragung von Wertguthaben auf die DRV Bund keinen Anspruch des Arbeitnehmers gegen die DRV Bund, die, wie zuvor die Versicherung, bei der die Wertguthaben angelegt waren, Treuhänderin des Arbeitgebers und als solche in rechtlicher Hinsicht nur dem Arbeitgeber verpflichtet ist.
 

Betroffene Normen

​§ 38 Abs. 3 EStG, § 38a Abs. 1 EStG, § 42d Abs. 1 EStG, § 7f Abs. 1 SGB IV, § 41 Abs. 1 AO

Streitjahr 2012-2014 

Anmerkungen

Widerspruch zu BMF-Schreiben vom 17.09.2009?

Das Finanzamt hatte im Streitfall die Auffassung vertreten, dass die an die DRV Bund gezahlten Abfindungsbeträge zu Unrecht nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden seien, da sie nach Beendigung der Arbeitsverhältnisse nicht mehr wirksam dem Langzeitkonto hätten zugeführt werden können. Voraussetzung dafür sei nach dem BMF-Schreiben vom 17.06.2009, dass die zugeführten Beträge durch Freistellung in demselben Arbeitsverhältnis noch vollständig aufgebraucht werden könnten. Ob der BFH diese Auffassung der Finanzverwaltung teilen würde, ist fraglich. Denn im Streitfall konnte die Frage, ob die Abfindungen den Langzeitkonten wirksam zugeführt werden konnten, offenbleiben.

Keine Entscheidung zu Zeitwertkontengarantie

Für die steuerliche Anerkennung von Wertguthabenkonten verlangt die Finanzverwaltung eine Zeitwertkontengarantie (siehe dazu BMF-Schreiben vom 17.06.2009, unter V. Zeitwertkontengarantie). Höchstrichterlich ist die Frage der Erforderlichkeit einer Zeitwertkontengarantie soweit ersichtlich noch nicht geklärt. Im Streitfall bestand zwischen den Beteiligten Einigkeit darüber, dass es sich bei den von der Klägerin für ihre Angestellten eingerichteten Langzeitkonten um steuerlich anzuerkennende Wertguthabenkonten handelte. Insbesondere war der Rückfluss der dem Wertguthabenkonto zugeführten Bruttolohnbeträge auch für den Insolvenzfall gesichert, also die sog. Zeitwertkontengarantie erfüllt. Der BFH hatte hier daher nicht darüber zu entscheiden, ob eine Zeitwertkontengarantie Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung von Wertguthabenkonten ist. Das Thüringer FG hält diese im Urteil vom 25.11.2021, 4 K 122/18, für nicht erforderlich. Mit Spannung bleibt das Ergebnis der hierzu beim BFH anhängigen Revision (VI R 28/21) abzuwarten.

Aktuell: Mit am 24.08.2023 vom BFH veröffentlichter Entscheidung vom 28.06.2023 im o.g. Verfahren VI R 28/21 hat der BFH die Auffassung vertreten, dass die fehlende Insolvenzsicherung und das damit einhergehende Risiko des (Wert-)Verlusts eines vom Arbeitgeber nicht erfüllten Lohnanspruchs nicht zum Zufluss von Arbeitslohn führen. Der BFH sieht sich damit nicht im Widerspruch zum BMF-Schreiben vom 17.06.2009 betreffend eine fehlende Zeitwertkontengarantie. Denn im hier vom BFH zu beurteilenden Fall sei es insoweit um eine andere Gestaltung gegangen, als eine Wertguthabenvereinbarung erst noch zu vereinbaren war. Es sei denklogisch ausgeschlossen, dass eine erst zu vereinbarende, aber noch nicht abgeschlossene Wertguthabenvereinbarung bereits eine Zeitwertkontengarantie beinhalte. Dementsprechend werde in dem vorgenannten BMF-Schreiben auch verlangt, dass die "getroffene Vereinbarung" eine Zeitwertkontengarantie vorsieht. Daher bleibt die Frage, ob der BFH sich der in dem BMF-Schreiben vom 17.06.2009 zur Erforderlichkeit einer Zeitwertkontengarantie vertretenen Auffassung anschließen könnte, weiterhin offen.

Vorinstanz

​Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.06.2021, 4 K 4206/18, EFG 2021. S. 1932

Fundstelle

BFH, Urteil vom 03.05.2023, IX R 25/21, lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen

Weitere Fundstellen

BMF, Schreiben vom 17.06.2009, BStBl. I 2009, S. 1286

BFH, Urteil vom 04.09.2019, VI R 39/17

BFH, Urteil vom 22.06.2018, VI R 17/16, BStBl. II 2019, S. 496, siehe Deloitte Tax News

BFH, Urteil vom 24.08.2017, VI R 58/15, BStBl. II 2018, S. 72, siehe Deloitte Tax News

Thüringer Finanzgericht, Urteil vom 25.11.2021, 4 K 122/18, EFG 2022, S. 120​

 

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