BFH: Keine Anwendung der 1%-Regelung bei ausschließlich Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
Sachverhalt
Der Kläger und Revisionskläger ist Verkäufer in einem Autohaus und darf auf das Autohaus zugelassene Vorführwagen beruflich nutzen, die private Nutzung der Vorführwagen ist arbeitsvertraglich verboten. Aufgrund einer mündlich erteilten Gestattung darf der Kläger Vorführwagen aus dem niedrigen Preissegment für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutzen. Ein Fahrtenbuch wurde nicht geführt. Das Autohaus führte für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte eine Lohnversteuerung in Höhe von 0,03 % eines Bruttolistenpreises von 23.000 Euro durch (§ 8 Abs. 2 S. 3 EStG). Als private Kraftfahrzeuge standen dem Kläger ein PKW und ein Motorrad zur Verfügung.
Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung ging das Finanzamt von einer privaten Nutzung(smöglichkeit) der Vorführwagen durch den Kläger aus und setzte in den Streitjahren 2004 und 2005 zusätzliche geldwerte Vorteile in Höhe der sog. 1 %-Regelung an. Einspruchs- und Klageverfahren blieben erfolglos.
Entscheidung
Die Revision des Klägers ist begründet. Allein die Gestattung der Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte begründet keine Überlassung eines Fahrzeuges zur privaten Nutzung, denn der Gesetzgeber hat diese Fahrten der Erwerbssphäre zugeordnet. Das FG muss nun prüfen, ob die Fahrzeuge dem Kläger darüber hinaus auch zu privaten Zwecken überlassen waren.
Überlässt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung, führt das zu einem geldwerten Vorteil, der entweder mit der Fahrtenbuchmethode oder mit der 1%-Regelung zu bewerten ist (§ 8 Abs. 2 S. 2 bis 5 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG). Die Anwendung der 1 %-Regelung setzt voraus, dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer tatsächlich einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat (BFH-Urteil vom 21.04.2010). Die unbefugte Privatnutzung des betrieblichen PKW hat dagegen keinen Lohncharakter.
Bei der Tatsachenwürdigung, ob eine private Nutzung vorliegt, hat das FG den allgemeinen Erfahrungssatz, dass zur privaten Nutzung überlassene betriebliche Fahrzeuge auch privat genutzt werden, unzutreffend dahingehend ausgedehnt, dass der Anscheinsbeweis in allen Fällen greift, in denen einem Arbeitnehmer ein betriebliches Fahrzeug zur Verfügung steht. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist zwar typischerweise davon auszugehen, dass ein dem Arbeitnehmer auch zur privaten Nutzung überlassener Dienstwagen von ihm tatsächlich auch privat genutzt wird. Weiter reicht dieser allgemeine Erfahrungssatz aber nicht (BFH-Urteil vom 21.04.2010). Es lässt sich insbesondere kein allgemeiner Erfahrungssatz feststellen, dass Arbeitnehmer Verbote missachten und damit einen Kündigungsgrund schaffen. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber ein arbeitsvertraglich vereinbartes Privatnutzungsverbot nicht überwacht.
Nach den bisher getroffenen Feststellungen des FG steht im Streitfall lediglich fest, dass die vom Arbeitgeber des Klägers zu Betriebszwecken vorgehaltenen Vorführwagen vom Kläger sowohl für berufliche Zwecke als auch für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte genutzt wurden. Allein die Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte begründet noch keine Überlassung zur privaten Nutzung. Der Gesetzgeber hat diese Fahrten vielmehr der Erwerbssphäre zugeordnet (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG und § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 EStG, BFH-Urteil vom 22.09.2010) und den Wirkungszusammenhängen einfachgesetzlich durch einen beschränkten Werbungskostenabzug Rechnung getragen. Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang den streitigen Sachverhalt insbesondere dahingehend weiter aufzuklären haben, ob das Privatnutzungsverbot vorliegend nur zum Schein ausgesprochen worden ist und dem Kläger ein Vorführwagen entgegen der arbeitsvertraglichen Regelung etwa auf Grundlage einer konkludent getroffenen Nutzungsvereinbarung tatsächlich zur privaten Nutzung überlassen war.
Betroffene Norm
§ 8 Abs. 2 EStG, § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG
Streitjahre 2004 und 2005
Vorinstanz
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 11.03.2010, 1 K 351/07
Fundstelle
BFH, Urteil vom 06.10.2011, VI R 56/10, BStBl II 2012, S. 362
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 21.04.2010, VI R 46/08, BStBl II 2010, S. 848, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 22.09.2010, VI R 54/09, BStBl II 2011, S. 354, siehe Deloitte Tax-News