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30.04.2025
Arbeitnehmerbesteuerung/ Sozialversicherung

BFH: Keine Arbeitgebereigenschaft einer Betriebsstätte nach Abkommensrecht

Die ausländische Betriebsstätte einer im Inland ansässigen rechtlich selbständigen Person kann nicht Arbeitgeber im Sinne einer Reihe von Doppelbesteuerungsabkommen sein. In diesen Fällen hat die rechtliche selbständige Person die Lohnsteuer, die auf die Vergütungen ihrer Arbeitnehmer aus den ausländischen Zweigniederlassungen für durchgeführte Inlandsdienstreisen entfällt, einzubehalten und anzumelden.

BFH, Urteil vom 12.12.2024, VI R 26/22 

Sachverhalt

Die in Deutschland ansässige Klägerin, eine Europäische Aktiengesellschaft, hat ihr Stammhaus in Deutschland und unterhält weltweit zahlreiche Zweigniederlassungen. Die dort tätigen und auch im jeweiligen Beschäftigungsstaat wohnhaften Arbeitnehmer waren zivilrechtlich bei der Klägerin angestellt. Die Mitarbeiter kamen in unregelmäßigen Abständen für kurzfristige Dienstreisen nach Deutschland. Die Dienstreisen nahmen die Arbeitnehmer im Interesse der jeweiligen Auslandsniederlassung (Betriebsstätten) vor, welche neben der kompletten Tätigkeitsvergütung auch die Reisekosten trug. Die gesamten und nicht vom Stammhaus erstatteten mit der Tätigkeit dieser Arbeitnehmer verbundenen Kosten erfasste die jeweilige Auslandsniederlassung in ihrer Buchführung.

Nach dem Finanzamt ist die Europäische Aktiengesellschaft lohnsteuerrechtlich als inländische Arbeitgeberin anzusehen. Folglich nahm das Finanzamt einen Lohnsteuerabzug von dem auf die Inlandsdienstreisen entfallenden Arbeitslohn der Arbeitnehmer ihrer ausländischen Betriebsstätten vor. Das FG wies die dagegen erhobene Klage ab.

Entscheidung

Auch der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass die AG die Lohnsteuer, die auf die Vergütungen ihrer Arbeitnehmer aus den ausländischen Zweigniederlassungen für deren im Streitzeitraum durchgeführte Inlandsdienstreise entfällt, einzubehalten und anzumelden hat.

(Gesetzliche) Grundlagen

Die in ihrem jeweiligen Beschäftigungsstaat wohnhaften Arbeitnehmer der AG sind in Deutschland mit dem für ihre Tätigkeit in Deutschland bezogenen Arbeitslohn beschränkt steuerpflichtig (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG). Nach dem nationalen (Lohn-)Steuerrecht ist die AG als inländischer Arbeitgeberin (vgl. § 38 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG) zum Einbehalt (vgl. § 38 Abs. 2, Abs. 3 S. 1, § 39 EStG) und zur Anmeldung der Lohnsteuer (vgl. § 41a EStG) hinsichtlich der Vergütung verpflichtet, die auf die inländische Dienstreise der im Ausland ansässigen Arbeitnehmer entfällt.

Nach den im Streitfall einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen steht das Besteuerungsrecht für Gehälter, Löhne und ähnliche Verpflichtungen bei den Einkünften aus unselbständiger Arbeit grundsätzlich dem Ansässigkeitsstaat der Person zu, die die entsprechenden Einkünfte bezieht. Wird die Arbeit jedoch im anderen Vertragsstaat (hier also in Deutschland) ausgeübt, können die bezogenen Vergütungen auch im anderen Vertragsstaat besteuert werden.
Das Besteuerungsrecht wird dennoch dem Ansässigkeitsstaat zugewiesen, wenn neben anderen kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen (vgl. sog. 183-Tage-Klausel), Vergütungen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht im anderen Vertragsstaat (hier also in Deutschland) ansässig ist. Das ausschließliche Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats würde folglich voraussetzen, dass die ausländischen Betriebsstätten als Arbeitgeberinnen im Sinne des einschlägigen Abkommensrechts zu qualifizieren sind.

Arbeitgeber im Sinne des Abkommensrechts

Nach dem BFH kommen die ausländischen Betriebsstätten jedoch nicht als Arbeitgeberinnen im Sinne des einschlägigen Abkommensrechts in Betracht.

  • Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann Arbeitgeber im Sinne des Abkommensrechts - anders als grundsätzlich im nationalen (Lohn-) Steuerrecht (vgl. BFH-Urteil vom 24.3.1999, I R 64/98) - nicht nur der zivilrechtliche Arbeitgeber, sondern auch eine andere natürliche oder juristische Person sein, die die Vergütung für die ihr geleistete nichtselbständige Arbeit wirtschaftlich trägt (vgl. BFH-Urteile vom 29.01.1986, I R 109/85, vom 15.03.2000, I R 28/99 und vom 23.02.2025, I R 46/03).
  • Die ausländischen Zweigniederlassungen der AG sind als Betriebsstätten der AG jedoch keine (juristischen) Personen im Sinne der einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen.
  • Eine Betriebsstätte könne bereits dem Grunde nach nicht Arbeitgeber im Sinne des Abkommensrechts sein. Abkommensrechtlich komme als Arbeitgeber nur eine Person in Betracht, die im Sinne des entsprechenden Abkommens die Fähigkeit besitzt, in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig zu sein. Eine Betriebsstätte könne jedoch nicht ansässig sein, weshalb die inländische Betriebsstätte einer im Ausland ansässigen Person auch nicht Arbeitgeber sein könne (vgl. BFH-Urteile vom 29.01.1986, I R 296/82). Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der einschlägigen abkommensrechtlichen Vorschriften.
  • Dem stehe auch der sog. Authorised OECD-Approach (AOA) nicht entgegen. Der AOA sei ohne Einfluss auf die tatsächliche Arbeitgebereigenschaft.
  • Diese Auslegung des abkommensrechtlichen Arbeitgeberbegriffs verstoße auch nicht gegen Unionsrecht. Eine Diskriminierung des grenzüberschreitenden Sachverhalts gegenüber dem reinen Inlandssachverhalt liege nicht vor. Denn das Stammhaus müsste auch für Arbeitnehmer einer inländischen Betriebsstätte die Lohnsteuer berechnen und abführen.

Ergebnis im Streitfall

Die AG hat als rechtliche selbständige Person die Lohnsteuer, die auf die Vergütungen ihrer Arbeitnehmer aus den ausländischen Zweigniederlassungen für durchgeführte Inlandsdienstreisen entfällt, einzubehalten und anzumelden.

Betroffene Normen

§ 19 EStG, § 38 EStG; Art. 14 Abs. 2 Buchst. b DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Australien 2015 und Art. 15 Abs. 2 Buchst. b DBA-Schweden 1992, DBA-Kanada 2001, DBA-Italien 1989

Streitjahr 2020

Anmerkung

Der BFH folgt mit der o.g. Entscheidung auch der Auffassung der Finanzverwaltung. Nach dem BMF-Schreiben vom 03.05.2018 (BStBl. I 2018, S. 643) kann eine Betriebsstätte unabhängig von der Anwendung der Selbständigkeitsfiktion des AOA zivilrechtlich nicht Arbeitgeber im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens sein.

Vorinstanz

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 16.12.2021, 11 K 14196/20, EFG 2022, S. 405

Fundstelle

BFH, Urteil vom 12.12.2024, VI R 26/22 

Weitgehend inhaltsgleich: BFH, Urteil vom 12.12.2024, VI R 25/22 

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 24.3.1999, I R 64/98, BStBl. II 2000, S. 41

BFH, Urteil vom 29.01.1986, I R 296/82, BStBl. II 1986, S. 513

BFH, Urteil vom 15.03.2000, I R 28/99, BStBl. II 2002, S. 238

BFH, Urteil vom 29.01.1986, I R 109/85, BStBl. II 1986, S. 442

BFH, Urteil vom 16.05.2024, VI R 31/21, BStBl. II 2024, S. 646

BMF, Schreiben vom 03.05.2018, BStBl. I 2018, S. 643, siehe Deloitte Tax-News

Ihr Ansprechpartner

Denise Käshammer
Senior Manager

dkaeshammer@deloitte.de
Tel.: +4989290368711

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