Niedersächsisches FG: Zur Frage der regelmäßigen Arbeitsstätte bei vierzehn Einsatzorten
Sachverhalt
Der Kläger ist Bankkaufmann und wird von seinem Arbeitgeber - einer Sparkasse - als Personalreserve eingesetzt. Er ruft jeden Morgen in der Zentrale an und erfährt erst dann - abhängig von Urlaubs- oder Krankheitsausfällen anderer Mitarbeiter -, in welcher Sparkassenfiliale er zum Einsatz kommt. Im Streitjahr 2008 war der Kläger in 14 Filialen beschäftigt, wobei die Dauer des Einsatzes je nach Filiale zwischen einem und maximal 56 Arbeitstagen (Filiale G) betrug. Nach Auffassung des Klägers ist nur die Filiale G als regelmäßige Arbeitsstätte zu werten. Für die Fahrten zu den anderen Geschäftsstellen setzte der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen an und machte Verpflegungsmehraufwendungen geltend.
Das beklagte Finanzamt brachte demgegenüber lediglich die Entfernungspauschalen in Ansatz und erkannte den Verpflegungsmehraufwand nicht an.
Entscheidung
Die Filialen der Sparkasse, die der Kläger in seiner Eigenschaft als Personalreserve aufsucht, stellen keine regelmäßige Arbeitsstätte dar. Der Kläger kann deshalb seine Fahrtkosten nach Dienstleistungsgrundsätzen geltend machen und Verpflegungsmehraufwendungen für die Zeit der Abwesenheit von seiner Wohnung abziehen.
Werbungskosten sind gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der für das Streitjahr 2008 geltenden Gesetzesfassung auch die Aufwendungen des Arbeitnehmer für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte von 0,30 Euro anzusetzen.
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für beruflich veranlasste Fahrten zu auswärtigen Tätigkeitsstätten, die keine regelmäßigen Arbeitsstätten darstellen sind hingegen nach dem allgemeinen Werbungskostenbegriff des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG grundsätzlich der Höhe nach unbeschränkt abziehbar. Der Steuerpflichtige kann hierbei auch – wie im Streitfall der Kläger – die Fahrtkostenpauschale 0,30 Euro je Streckenkilometer in Ansatz bringen, sofern dieser Ansatz nicht zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führt.
Der Steuerpflichtige kann einen Pauschbetrag für Mehraufwendungen für die Verpflegung von 6 Euro pro Tag abziehen, wenn er wegen einer vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt weniger als 14 Stunden, aber mindestens acht Stunden abwesend ist. Aus dem Erfordernis, dass der Steuerpflichtige beruflich veranlasst außerhalb seines Tätigkeitsmittelpunkts tätig sein muss, folgt, dass bei Einsatz des Arbeitnehmers an der regelmäßigen Arbeitsstätte ein Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen ausscheidet.
Der BFH definiert die regelmäßige Arbeitsstätte als ortsfeste Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig aufsucht (vgl. BFH-Urteil vom 11.05.2005). Die Arbeitsstätte muss der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers sein. Die Finanzverwaltung geht von einer regelmäßigen Arbeitsstätte aus, wenn die betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer durchschnittlich im Kalenderjahr an einem Arbeitstag je Arbeitswoche aufgesucht wird oder auf Grund der dienst-/arbeitsrechtlichen Vereinbarung aufzusuchen ist (R 9.4 Abs. 3 Satz 3 LStR)
Die unterschiedlichen steuerlichen Regelungen für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte einerseits und sonstigen Auswärtstätigkeiten andererseits finden ihre Rechtfertigung darin, dass sich der Arbeitnehmer bei einer auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegten regelmäßigen Arbeitsstätte in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken kann, z. B. indem er Fahrgemeinschaften bildet, öffentliche Verkehrsmittel nutzt oder durch die Wahl des Wohnsitzes die Mobilitätskosten senkt. Liegt keine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte regelmäßige Arbeitsstätte vor, so dass sich der Arbeitnehmer nicht in der aufgezeigten Weise auf die Fahrtkosten einstellen kann, ist nach Auffassung des BFH eine das Nettoprinzip durchbrechende beschränkte Abzugsfähigkeit der Aufwendungen sachlich nicht gerechtfertigt (BFH-Urteil vom 10. 4. 2008).
Nach diesen Maßstäben können nach Auffassung des Gerichts mit Ausnahme der Filiale G die verschiedenen Beschäftigungsstätten des Kl. nicht mehr als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen werden. Die Tätigkeit des Klägers ist in einem solchen Maße zersplittert und wird auf eine Vielzahl von Einsatzorten aufgespalten, dass der Arbeitseinsatz in der einzelnen Filiale nicht mehr dem Typus der Beschäftigung an einer regelmäßigen Arbeitsstätte entspricht.
Betroffene Norm
§ 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nr. 4 EStG;
Streitjahr 2008
Fundstelle
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 15.04.2011, 3 K 169/10, Revision anhängig: BFH, VI R 30/11
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 11.05.2005, VI R 15/04, BStBl 2005 II, S. 788
BFH, Urteil vom 10.04.2008, VI R 66/05, BStBl 2008 II, S. 825