BVerfG: Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft bei der Erbschaftsteuer verfassungswidrig
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer 1 ist Alleinerbe seines im August 2001 verstorbenen Lebenspartners; die Beschwerdeführerin 2 ist Erbin ihrer im Februar 2002 verstorbenen Lebenspartnerin. In beiden Fällen setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer nach einem Steuersatz der Steuerklasse III fest und gewährte den geringsten Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG a.F. Die hiergegen erhobenen Klagen der Beschwerdeführer blieben vor den Finanzgerichten ohne Erfolg.
Entscheidung
Die erbschaftsteuerrechtliche Schlechterstellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den Ehegatten im persönlichen Freibetrag und im Steuersatz sowie durch ihre Nichtberücksichtigung im Versorgungsfreibetrag sind mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Die Privilegierung der Ehegatten gegenüber den Lebenspartnern im Recht des persönlichen Freibetrags lässt sich nicht allein mit Verweisung auf den besonderen staatlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG rechtfertigen. Allein der Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG entscheidet nach Maßgabe der vom BVerfG hierzu entwickelten Anwendungsgrundsätze darüber, ob und inwieweit Dritten, wie hier den eingetragenen Lebenspartnern, ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit einer gesetzlichen oder tatsächlichen Förderung von Ehegatten und Familienangehörigen zukommt.
Die unterschiedliche Freibetragsregelung ist auch nicht aufgrund einer höheren Leistungsfähigkeit erbender Lebenspartner gerechtfertigt. Eingetragene Lebenspartner leben wie Ehegatten in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft. Die Ungleichbehandlung ist schließlich auch nicht dadurch legitimiert, dass grundsätzlich nur aus einer Ehe gemeinsame Kinder hervorgehen können und der Gesetzgeber unter Anknüpfung an das Familienprinzip eine möglichst ungeschmälerte Erhaltung kleiner und mittlerer Vermögen in der Generationenfolge erhalten möchte. Denn das geltende Recht macht - im Unterschied zu früheren Regelungen - die Privilegierung der Ehe bzw. die Höhe des Freibetrags für Ehegatten gerade nicht vom Vorhandensein gemeinsamer Kinder abhängig.
Aufgrund der vorgenannten Erwägungen fehlte es sowohl für die gänzliche Nichtberücksichtigung der Lebenspartner beim Versorgungsfreibetrag nach § 17 ErbStG a.F. als auch hinsichtlich der Zuordnung zur Steuerklasse III mit den höchsten Steuersätzen (§ 15 Abs. 1, § 19 Abs. 1 ErbStG a.F.) an ausreichenden Differenzierungsgründen.
Der Gesetzgeber hat bis zum 31. Dezember 2010 eine Neuregelung für die vom ErbStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 betroffenen Altfälle zu treffen, die diese Gleichheitsverstöße in dem Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts vom 24. Dezember 2008 beseitigt. Bis zur gesetzlichen Neuregelung dürfen Gerichte und Verwaltungsbehörden die Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen.
Anmerkung
Mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008 sind die vorgenannten Vorschriften des ErbStG zu Gunsten von eingetragenen Lebenspartnern insoweit geändert worden, als der persönliche Freibetrag sowie auch der Versorgungsfreibetrag für erbende Lebenspartner und Ehegatten gleich bemessen werden. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Jahressteuergesetz 2010 ist eine vollständige Gleichstellung von Lebenspartnern und Ehegatten im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht – also auch in den Steuersätzen – beabsichtigt.
Vorinstanz
BFH, Beschluss vom 01.02.2007, II R 43/05 - Vorinstanz Finanzgericht Köln, Urteil vom 29. 06.2005, 9 K 1041/03
BFH, Beschluss vom 20.06.2007, II R 56/05 - Vorinstanz Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 24.08.2005, 3 K 55/04
Fundstelle
Beschluss vom 21. Juli 2010, 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07
Weitere Fundstelle
Bundesregierung, Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2010, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News
