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10.12.2010
Erbschaftsteuer

BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen ErbStRG nicht zulässig

Sachverhalt

Die Beschwerdeführer sind Eigentümer von Wohn- bzw. Gewerbeimmobilien sowie eines mittelständischen Produktionsunternehmens, das nicht unter die Steuerbefreiung bzw. die steuerlichen Vergünstigungen nach dem ErbStG fällt. Sie machen geltend, dass das sonstige Vermögen gegenüber Wohnungseigentum durch die Kombination des persönlichen Freibetrags mit der Steuerfreistellung selbstgenutzten Wohnungseigentums ungerechtfertigt benachteiligt werde. Es lasse sich auch nicht rechtfertigen, dass bei der Vererbung von selbstgenutzten Familienheimen auf Kinder die Steuerfreistellung von einer Wohnflächenbegrenzung auf 200 m² abhänge. Zudem werde das Familienheim steuerfrei gestellt für Ehegatten und gleichgeschlechtliche Lebenspartner, nicht aber für verwandtschaftliche Einstandsgemeinschaften. Die Regelungen über die Verschonung des Betriebsvermögens wirkten sich unmittelbar auf die unternehmerische Führung des Betriebs und das Treffen strategischer Unternehmensentscheidungen mittelständischer Unternehmer aus. Die Erbschaftsteuer stelle einen Anreiz dar, Betriebe oder Immobilien vor dem Erbfall zu veräußern und das Vermögen ins erbschaftsteuerfreie Ausland zu verlagern. Daher sei auch die Freiheit der unternehmerischen Betätigung verletzt.

Die drei Beschwerdeführer wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die unterschiedlichen Steuersätze, Freibeträge und Steuerbefreiungen nach dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz idF des ErbStRG vom 24.12.2008.

Entscheidung

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, da sie unzulässig sind. Sie lassen die erforderliche Selbstbetroffenheit der Beschwerdeführer durch das neue ErbStG nicht hinreichend erkennen.

Das Erfordernis der Selbstbetroffenheit verlangt, dass der Beschwerdeführer in eigenen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten betroffen ist. Es muss eine rechtliche Betroffenheit vorliegen, eine nur faktische Beeinträchtigung im Sinne einer bloßen Reflexwirkung reicht nicht. Darüber hinaus muss die an einen Dritten gerichtete Norm die Grundrechtsrechtsposition des Beschwerdeführers unmittelbar zu dessen Nachteil verändern, das heißt ihn direkt rechtlich und nicht nur mittelbar faktisch betreffen. Die Beschwerdeführer haben ihre Selbstbetroffenheit nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Es ist nicht erkennbar, dass sie als Erblasser durch die Erbschaftsteuer in den als verletzt gerügten Grundrechten, namentlich der Testierfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 2. Alt GG) selbst, betroffen sind.

In sachlicher Hinsicht umfasst der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. GG, soweit er den Erblasser betrifft, das Recht zu vererben. Bestimmendes Element dieses Rechts ist die Testierfreiheit als Verfügungsbefugnis über den Tod hinaus. Diese Testierfreiheit darf auch durch eine ausschließlich an den Erben adressierte Erbschaftsteuer nicht ausgehöhlt werden. Die Steuerbelastung darf das Vererben vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Eigentümers nicht als ökonomisch sinnlos erscheinen lassen.

Unter welchen Bedingungen im Einzelnen ein allein den Erbanfall beim Erben besteuerndes Gesetz in auch rechtlich erheblicher Weise nachteilig auf die Testierfreiheit des Erblassers einwirkt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Ansonsten könnte jedermann zu jeder Zeit als potentieller Erblasser unmittelbar Verfassungsbeschwerde gegen Bestimmungen des Erbschaftsteuerrechts erheben. Die Beschwerdeführer legen nicht in einer genügenden Weise dar, dass eine hinreichend enge Beziehung zwischen den von ihnen geltend gemachten Grundrechtspositionen und den angefochtenen Vorschriften besteht, insbesondere dass in ihre Testierfreiheit in einer Weise eingegriffen wird, die eine gegenwärtige Selbstbetroffenheit zu begründen vermag. Die Testierfreiheit des Erblassers bleibt in rechtlicher Hinsicht durch die von den Beschwerdeführern angegriffenen Regelungen des Erbschaftsteuerrechts in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung völlig unberührt. Es ist allen potentiellen Erblassern weiterhin unbenommen, als Erben einzusetzen, wen sie wollen, und frei über die Zuwendung ihrer Vermögensgegenstände zu entscheiden. Eine Beschränkung der Testierfreiheit wird durch das Erbschaftsteuerrecht auch nicht intendiert. Die Neuregelung soll besonders nahe Angehörige besser stellen; damit trägt sie den Anforderungen des Familienprinzips Rechnung. Demgegenüber zielen die betreffenden Regelungen nicht darauf ab, Erblasser dazu zu bewegen, anstelle von Fremden oder entfernteren Angehörigen nahe Angehörige als Erben einzusetzen.

Zudem tragen die Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert vor, dass in ihrem Fall die angefochtenen Regelungen zu einer Aushöhlung der Testierfreiheit führen oder dass aufgrund der angefochtenen Vorschriften das Vererben für sie wirtschaftlich sinnlos erscheint. Die Beschwerdeführer tragen noch nicht einmal substantiiert vor, bei einer anderen rechtlichen Ausgestaltung der Erbschaftsteuer auch in anderer Weise testieren zu wollen. Sie können ihre letztwilligen Verfügungen noch zu Lebzeiten jederzeit einseitig ändern; zivilrechtlich bindende Verfügungen wie etwa einen Erbvertrag oder ein gemeinschaftliches Ehegattentestament haben sie nicht getroffen. Schließlich ist bei der Begründung der Selbstbetroffenheit in den Blick zu nehmen, dass die Beschwerdeführer als testierende Erblasser keinen entscheidenden Einfluss darauf haben, ob die Erben letztlich mit Erbschaftsteuer belastet werden oder in den Genuss der durch bestimmte testamentarische Gestaltungen angestrebten Steuervergünstigungen kommen. Denn die Erben können vorversterben, das Erbe ausschlagen oder sich gar zum Beispiel aufgrund einer erst nach dem Erbfall bekannt gewordenen Verfehlung dem Erblasser als erbunwürdig erweisen.

Betroffene Norm

§ 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c, § 13a Abs. 1 Sätze 2 und 5, § 16 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 ErbStG idF des ErbStRG vom 24.12.2008

Fundstelle

BVerfG, Beschluss vom 30.10.2010, 1 BvR 3196/09, 1 BvR 3197/09, 1 BvR 3198/09

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