FG Düsseldorf: Keine Zusammenrechnung mit früheren Erwerben vor dem 01.07.2016 bei der Prüfung der sog. Großerwerbsschwelle nach § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG
Das Finanzgericht Düsseldorf stellt fest, dass die Regelung der Zehn-Jahres-Frist für die Prüfung der sog. Großerwerbsschwelle (§ 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG) nur für begünstigtes Vermögen gelten soll, dass erst ab dem 01.07.2016 erworben worden ist.
Finanzgericht Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 17.07.2024, 4 K 1675/23 Erb, DStR 2024, 2479, BFH-anhängig: II R 22/24
Sachverhalt
Mit Vertrag vom 14.07.2004 übertrug die Klägerin ihrer Nichte (Beschenkte), sowie zwei weiteren Nichten und einem Neffen jeweils einen Kommanditanteil an der L. GmbH (später LB GmbH & Co. KG – L. KG). Die Klägerin behielt sich den lebenslangen Nießbrauch vor.
Mit Vereinbarung vom 24.12.2018 übertrug die Klägerin mit Wirkung zum 31.12.2018 der Beschenkten sowie zwei weiteren Nichten und einem Neffen wiederum jeweils einen Kommanditanteil an der L. KG. Ferner verzichtete sie mit Wirkung zum 31.12.2018 auf das bestehende Nießbrauchsrecht an Teilkommanditanteilen der jeweiligen Erwerberin bzw. des Erwerbers. Die Klägerin verpflichtete sich zudem, die anfallende Schenkungsteuer zu tragen.
Im Rahmen der Schenkungsteuererklärung erklärte die Klägerin, der Schwellenwert von 26 Mio. EUR sei nicht überschritten, da die vor dem 01.07.2016 getätigten Schenkungen in die Ermittlung nicht einzubeziehen seien. Die Beschenkte beantragte in der Folge mit Zustimmung der Klägerin die Gewährung des Verschonungsabschlags nach § 13c ErbStG und behielt sich einen zusätzlichen Antrag auf Optionsverschonung nach § 13a Abs. 10 ErbStG vor.
Im unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Schenkungsteuerbescheid vom 26.11.2021 berücksichtigte der Beklagte bei der Ermittlung des Schwellenwerts auch Schenkungen vor dem 1.7.2016. Ausgehend von einer Überschreitung des Schwellenwerts kam der Beklagte zu einer Reduktion der Verschonung von 85 % um rund 5 %.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch am 22.12.2021 ein und rügte die Einbeziehung von Alterwerben sowie hilfsweise die Nichtberücksichtigung von Nießbrauchsbelastungen bei der Ermittlung der Großerwerbsschwelle. Sie machte zur Begründung u.a. geltend: Die herrschende Meinung in der Literatur lehne die von der Verwaltung vertretene Auffassung zur Einbeziehung von Alterwerben ab.
Die Nießbrauchsbelastung müsse bei der Prüfung der Großerwerbsschwelle berücksichtigt werden, da andernfalls die dort zu berücksichtigenden Erwerbe höher wären als die Bereicherung der Beschenkten.
Mit Entscheidung vom 8.8.2023 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat daraufhin am 7.9.2023 Klage erhoben, mit der sie ihre Begehren weiterverfolgt.
Die Klägerin und die Beschenkte haben mit Schreiben v. 6.12.2023 unwiderruflich erklärt, anstelle der Regelverschonung die Optionsverschonung nach § 13a Abs. 10 ErbStG zu beantragen. Der Beklagte hat daraufhin mit nach § 164 Abs. 2 AO geändertem Bescheid v. 15.4.2024 die Schenkungsteuer entsprechend reduziert. Dabei hat er wiederum einen nach § 13c Abs. 1 S. 1 ErbStG um 5 % auf nun 95 % reduzierten Verschonungsabschlag berücksichtigt.
Entscheidung
Das FG Düsseldorf erachtet die Klage als begründet. Der Bescheid vom 15.04.2024, der nach § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, sei rechtswidrig.
Der Beklagte hat die Erwerbe vor dem 01.07.2016 zu Unrecht bei der Prüfung der Großerwerbsschwelle des § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG berücksichtigt und den Verschonungsabschlag daher zu Unrecht nach § 13c Abs. 1 Satz 1 ErbStG von 100 % auf 95 % reduziert.
Nach § 13a Abs. 1 Satz 1, Abs. 10 ErbStG kann ein Verschonungsabschlag (vorbehaltlich § 13c ErbStG) nur gewährt werden, wenn der Erwerb begünstigten Vermögens iSd § 13b Abs. 2 ErbStG zuzüglich der Erwerbe iSd § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG insgesamt 26 Mio. EUR nicht übersteigt. Nach Satz 2 der Regelung werden bei mehreren Erwerben begünstigten Vermögens iSd § 13b Abs. 2 ErbStG von derselben Person innerhalb von zehn Jahren bei der Anwendung des Satzes 1 die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert dem letzten Erwerb hinzugerechnet.
Nach § 13c Abs. 1 Satz 1 ErbStG verringert sich auf Antrag des Erwerbers der Verschonungsabschlag nach § 13a Abs. 1 oder Abs. 10 ErbStG um jeweils einen Prozentpunkt für jede vollen 750.000 EUR, die der Wert des begünstigten Vermögens iSd § 13b Abs. 2 ErbStG den Betrag von 26 Mio. EUR übersteigt, wenn der Erwerb von begünstigtem Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG die Grenze des § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG von 26 Mio. EUR überschreitet. Nach § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG werden bei mehreren Erwerben begünstigten Vermögens iSd § 13b Abs. 2 ErbStG von derselben Person innerhalb von zehn Jahren für die Bestimmung des Verschonungsabschlags für den letzten Erwerb nach § 13c Abs. 1 ErbStG die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert dem letzten Erwerb hinzugerechnet.
Unstreitig ist, dass mehrere Erwerbe von derselben Person – der Klägerin – innerhalb von zehn Jahren vorliegen. Es handelte sich nach Ansicht des FG Düsseldorf jedoch nicht um Erwerbe „begünstigten Vermögens i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG“. Der Senat legt die Regelung so aus, dass sie auf § 13b Abs. 2 ErbStG in der seit dem 1.7.2016 geltenden Fassung Bezug nimmt. Eine solche Auslegung legt bereits der Wortlaut nahe, da die zuvor und im Zeitpunkt der früheren Erwerbe geltende Vorschrift des § 13b Abs. 2 ErbStG keine Definition begünstigten Vermögens, sondern nicht begünstigten Verwaltungsvermögens vorsah. Der Verweis auf „begünstigtes Vermögen“ i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG würde daher ins Leere laufen. Begünstigtes Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG kann daher erst ab dem 1.7.2016 erworben worden sein.
Es gibt laut FG Düsseldorf keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber auch Erwerbe erfassen wollte, die nach der bis zum 30.6.2016 geltenden Rechtslage begünstigt waren. Vielmehr sollte die Zusammenrechnung bei der Prüfung der Großerwerbsschwelle ausweislich der Begründung des zugrundeliegenden Gesetzentwurfs Gestaltungen durch gestaffelte Übertragungen verhindern (BT-Drs. 18/5923, 23, 31). Übertragungen, die zeitlich vor Einführung der Großerwerbsschwelle stattgefunden haben, können aber denknotwendig keine Gestaltungen zur Umgehung dieser Schwelle darstellen.
Nach Ansicht des FG ergibt sich auch aus § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG (Anwendungsregelungen) nichts Anderes. Nach dieser Regelung finden u.a. §§ 13a, 13c ErbStG auf Erwerbe Anwendung, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entsteht. Zwar werden durch § 13a Abs. 1 Satz 2, § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG die Erwerbe vor dem 01.07.2016 nicht ihrerseits besteuert, sondern lediglich bei der Prüfung der Großerwerbsschwelle einbezogen. Die Regelung soll aber nichts daran ändern, dass § 13a Abs. 1 Satz 2, § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG auf Erwerbe nach § 13b Abs. 2 ErbStG n.F. und damit nach seinem Wortlaut sowie seinem Sinn und Zweck auf Erwerbe nach dem 30.06.2016 verweist. Zwar sehen die Regelungen eine Anwendung der §§ 13a, 13c ErbStG auf „frühere Erwerbe“ vor, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entsteht. Diese Anweisungen beziehen sich nach Ansicht des FG aber nicht auf die hier maßgeblichen Regelungen in § 13a Abs. 1 Satz 2 und § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG.
Vor diesem Hintergrund scheidet nach Auffassung des FG Düsseldorf auch eine Auslegung aus, nach der Erwerbe vor dem 1.7.2016 nunmehr nach § 13b Abs. 2 ErbStG nF zu beurteilen sind, um zu ermitteln, inwieweit ein Erwerb „begünstigten Vermögens iSd § 13b Abs. 2 ErbStG“ vorliegt. Gegen eine solche Auslegung spricht bereits, dass frühere Erwerbe gemäß § 13a Abs. 1 S. 2, § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG ausdrücklich „nach ihrem früheren Wert“ hinzuzurechnen sind. Dies spricht dafür, frühere Erwerbe auch nach der früheren Rechtslage zu beurteilen.
Zwar scheint es nach dem Wortlaut auch nicht ausgeschlossen zu sein, die Formulierung „nach ihrem früheren Wert“ lediglich auf den maßgeblichen Bewertungsstichtag, jedoch für die Definition des begünstigten Vermögens auf § 13b Abs. 2 ErbStG n.F. abzustellen. Jedoch entspräche eine solche Auslegung nicht der dargestellten Zielsetzung der Regelung, da eine gezielte Umgehung der Großerwerbschwelle durch frühere Erwerbe nicht möglich ist.
Schließlich stellt das FG Düsseldorf fest, dass die Ausklammerung von Erwerben vor dem 01.07.2016 im streitgegenständlichen Fall dazu führt, dass die Großerwerbsschwelle der § 13a Abs. 1 S. 1, § 13c Abs. 1 S. 1 ErbStG nicht überschritten wird.
Das FG hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Die Finanzverwaltung hat Revision beim BFH eingelegt (Az. beim BFH: II R 22/24).
Betroffene Normen
§§ 13a, 13b, 13c ErbStG
Anmerkungen
Die Entscheidung des FG Düsseldorf kann als äußerst bemerkenswert bezeichnet werden. Das Finanzgericht stellt sich offen gegen die Auslegung und Handhabung seitens der Finanzverwaltung.
Dabei überzeugt die Begründung des Gerichtsbescheids, als es nach der Auslegung der §§ 13a, 13c ErbStG und ihrer Anwendungsregelung in § 37 Abs. 12 ErbStG entsprechend der gängigen Auslegungsmethoden zu einem Ergebnis kommt, das folgerichtig ist und dem Leser der Begründung logisch erscheint.
Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie der BFH dies beurteilen wird. Interessant wird nach einer Entscheidung seitens des BFH auch sein, wie die Finanzverwaltung darauf reagieren wird. Ob die Entscheidung im Bundessteuerblatt, Teil 1, veröffentlicht werden wird und damit auch seitens der Finanzverwaltung zu beachten ist, oder ob die Entscheidung mit einem Nichtanwendungserlass belegt werden wird.
Zu beachten ist schließlich, dass die Entscheidung des FG für alle Erwerbe im Zeitrahmen von zehn Jahren ab dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung am 1.7.2016 Bedeutung hat, bei denen frühere Erwerbe von derselben Person vor dem 01.07.2016 stattgefunden haben.
Fundstelle
Finanzgericht Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 17.07.2024, 4 K 1675/23 Erb, DStR 2024, 2479, BFH-anhängig: II R 22/24
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