BFH: Grunderwerbsteuerliche Zurechnung von Grundstücken bei einer Anteilsvereinigung
Ein inländisches Grundstück ist einer Gesellschaft für den nach § 1 Abs. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang (Anteilsvereinigung) zuzurechnen, wenn sie zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 3 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat. Dies gilt auch bei mehrstöckigen Beteiligungen (Anschluss an das BFH-Urteil vom 14.12.2022, II R 40/20, siehe Deloitte Tax-News).
BFH, Urteil vom 23.07.2024, II R 11/22
Sachverhalt
Eine Stiftung niederländischen Rechts (Klägerin) hat als Stiftungszweck die Verwaltung der Anteile einer Holding B.V., einer Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts sowie die Herausgabe von Zertifikaten zu diesen Anteilen. Alleiniger Vorstand der Stiftung war der niederländische Staatsangehörige B. Nach einer Kapitalerhöhung am 14.10.2009 bei der Holding B.V. brachte B am selben Tag seine im Rahmen der Kapitalerhöhung übernommenen Anteile i.H.v. 99,96 % an der Holding B.V. in die Stiftung niederländischen Rechts ein. Nach einer weiteren Kapitalerhöhung am 24.12.2009 betrugen die Anteile der Stiftung an der Holding B.V. nur noch 59,76 %. Im Rahmen der Kapitalerhöhung erhielt B 40,22 % der Anteile an Holding B.V. Am selben Tag brachte B im Gegenzug 100 % seiner Anteile an der A-N.V. in die Holding B.V. und 40,22 % seiner Anteile an der Holding B.V. in die Stiftung ein. Im Ergebnis betrug die Beteiligung der Stiftung an der Holding B.V. 99,98 %.
Das Finanzamt setzte Grunderwerbsteuer fest, da es der Auffassung war, dass durch die Übertragung der Anteile an der Holding B.V. von B auf die Stiftung am 24.12.2009 der grunderwerbsteuerliche Tatbestand der Anteilsvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG verwirklicht wurde. Die Stiftung machte geltend, dass bereits mit der Anteilsübertragung am 24.10.2009 mehr als 95 % der Anteile an der Holding B.V. in der Hand der Stiftung niederländischen Rechts vereinigt worden seien. Dass die Schwelle von 95 % der Anteile infolge der Kapitalerhöhung der Holding B.V. am 24.12.2009 wieder unterschritten worden sei, sei unerheblich. Nur die erstmalige Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile könne die Besteuerungsfolge auslösen. Hilfsweise sei der grunderwerbsteuerliche Vorgang nach § 5 Abs. 2 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Auch der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass die Vereinigung der Anteile an der Holding B.V. in der Hand der Stiftung aufgrund des Vertrags vom 24.12.2009 der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 GrEStG unterliegt und nicht nach § 5 Abs. 2 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit ist.
Gesetzliche Grundlagen
Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unterliegt, soweit eine Besteuerung nach Abs. 2a nicht in Betracht kommt, ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft begründet, der Grunderwerbsteuer, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % (seit dem 01.07.2021: 90 %) der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden. Mit dem Anteilserwerb wird derjenige, in dessen Hand sich die Anteile vereinigen, so behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich in seiner Hand vereinigen. Dieselben Grundsätze gelten im Rahmen des § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG.
Geht ein Grundstück von einem Alleineigentümer auf eine Gesamthand über, so wird die Steuer gemäß § 5 Abs. 2 GrEStG in Höhe des Anteils nicht erhoben, zu dem der Veräußerer am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist. Die Vorschrift gilt auch bei "fiktiven" Grundstückserwerben im Sinne des § 1 Abs. 1 bis 3a GrEStG und ist daher auch im Falle einer Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 GrEStG anwendbar.
Voraussetzungen der Anteilsvereinigung sind erfüllt
Der BFH hält fest, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 GrEStG erfüllt sind. Selbst wenn nach niederländischem Recht dem Übergang der Anteile an der Holding B.V. auf die Stiftung ein anspruchsbegründendes Rechtsgeschäft nicht vorausgegangen sein sollte, wurde die Anteilsvereinigung durch die Einbringung der Anteile des B an der Holding B.V. in die Stiftung am 24.12.2009 vollzogen. Vor Abschluss des Vertrags vom 24.12.2009 war die Stiftung aufgrund der Kapitalerhöhung der Holding B.V. nur mit 59,76 % der Anteile an der Holding B.V. beteiligt. Nach Abschluss des Vertrags vom 24.12.2009 entfielen auf sie insgesamt 99,98 % der Anteile an der Holding B.V., so dass sich mindestens 95 % der Anteile der Holding B.V. in der Hand der Stiftung vereinigt haben.
Erneutes Überschreiten der Beteiligungsgrenze
Zwar waren bereits am 14.10.2009 mehr als 95 % der Anteile an der Holding B.V. in der Hand der Stiftung vereinigt. Zu diesem Zeitpunkt war die Holding B.V. jedoch weder unmittelbar noch mittelbar an der grundbesitzenden C-GmbH beteiligt, so dass der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 GrEStG zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt war. Die Frage, ob bei einer erneuten Überschreitung der 95 %-Schwelle die Steuerbarkeit ausgeschlossen ist, ist daher im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich.
Mehrere sukzessive Rechtsakte
Der Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 GrEStG steht laut BFH nicht entgegen, dass aufgrund des Vertrags vom 24.12.2009 lediglich 40,22 % der Anteile an der Holding B.V. von B auf die Stiftung übergingen. Es sei nämlich nicht erforderlich, dass sämtliche Anteile, die zu einem Überschreiten der 95 %-Grenze führen, in einem einheitlichen Übertragungsvorgang auf den Anteilserwerber übergehen. Der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 GrEStG könne auch durch mehrere sukzessive Rechtsakte verwirklicht werden, sofern diese wie vorliegend in der Summe zu einer Anteilsvereinigung von mindestens 95 % der Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft führen.
Grunderwerbsteuerliche Zuordnung für die Zurechnung des Grundstücks
Zum Vermögen der Holding B.V. gehörte im Zeitpunkt der Vereinigung von mindestens 95 % ihrer Anteile in der Hand der Stiftung mit Vertrag vom 24.12.2009 ein inländisches Grundstück, so dass der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 GrEStG erfüllt war.
Ob ein Grundstück im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG zum Vermögen einer Gesellschaft gehört, richtet sich weder nach dem Zivilrecht noch nach § 39 AO. Maßgeblich ist vielmehr eine grunderwerbsteuerrechtliche Zuordnung. Ein inländisches Grundstück ist danach einer Gesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen, wenn die Gesellschaft in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1, 2, 3 oder 3a GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat (z.B. BFH-Urteil vom 14.12.2022, II R 40/20).
Mehrstöckige Beteiligungen
Dies gilt nach der BFH-Rechtsprechung auch bei mehrstöckigen Beteiligungen. Ein Grundstück einer Untergesellschaft ist einer Obergesellschaft grunderwerbsteuerrechtlich daher nur zuzurechnen, wenn die Obergesellschaft selbst es aufgrund eines Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 1, 2, 3 oder 3a GrEStG erworben hat. Der bloße Erwerb des Grundstücks durch die Untergesellschaft führt nicht zu einer automatischen Zurechnung bei der Obergesellschaft beziehungsweise im Falle mehrstöckiger Beteiligungsketten bei den Obergesellschaften. Das bloße Halten einer Beteiligung in einer bestimmten Höhe stellt selbst keinen grunderwerbsteuerbaren Erwerbsvorgang dar (BFH-Urteile vom 01.12.2021, II R 44/18 und vom 14.12.2022, II R 40/20).
Keine Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 5 Abs. 2 GrEStG
Grundsätzlich können ausländische Gesellschaften ebenfalls nach § 5 Abs. 2 GrEStG begünstigt sein, sofern deren Struktur mit einer inländischen Gesamthandsgemeinschaft vergleichbar ist. Das ist der Fall, wenn eine Gesamtwürdigung der maßgebenden ausländischen Bestimmungen über die Organisation und Struktur der Gesellschaft ergibt, dass diese rechtlich und wirtschaftlich einer inländischen Gesamthandsgemeinschaft gleichsteht. Das muss im Einzelfall geprüft werden.
Ausgehend hiervon habe das FG zutreffend darauf abgestellt, dass sich die Stiftung nach ihrer rechtlichen Struktur bereits aufgrund des Fehlens von Mitgliedern oder Anteilseignern von einer Gesamthandsgemeinschaft, deren Entstehung als Personenverband die Beteiligung von mindestens zwei Gesellschaftern voraussetzt, unterscheide. Das FG habe beim Rechtstypenvergleich berücksichtigen dürfen, dass eine "stichting" im Unterschied zu einer Gesamthandsgemeinschaft nicht durch eine gesamthänderische Bindung des Gesellschaftsvermögens gekennzeichnet ist. Ergebnis dieser Würdigung ist laut BFH, dass die Stiftung niederländischen Rechts nicht mit einer inländischen Gesamthandsgemeinschaft vergleichbar ist.
Betroffene Norm
§ 1 Abs. 3 GrEStG
Streitjahr 2009
Anmerkungen
Einordnung in die Rechtsprechung
Im Hinblick auf die steuerliche Zurechnung von Grundstücken hatte der BFH bereits entschieden, dass Grundstücke einer Untergesellschaften der Obergesellschaft grunderwerbsteuerrechtlich nur zuzurechnen sind, wenn die ausländische Obergesellschaft selbst sie aufgrund eines Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG erworben hat (vgl. BFH-Urteil vom 14.12.2022, II R 33/20, siehe Deloitte Tax-News.
Vorinstanz
Finanzgericht Münster, Urteil vom 10.03.2022, 8 K 1945/19 GrE, EFG 2022, S. 869
Fundstelle
BFH, Urteil vom 23.07.2024, II R 11/22
Weitere Fundstellen
BFH, Urteile vom 14.12.2022, II R 33/20 und II R 40/20, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteile vom 01.12.2021, II R 44/18, BStBl. II 2023, S. 1009, siehe Deloitte Tax-News