FG München: Zurechnungen von Vorbesitzzeiten bei der Grunderwerbsteuer
Im Rahmen des § 3 Nr. 6 S. 1 GrEStG können nur Vorbesitzzeiten von mit dem Anteilserwerber in gerader Linie verwandten Personen zugerechnet werden. Eine telelogische Reduktion des § 6 Abs. 4 GrEStG ist nicht veranlasst.
Sachverhalt
An einer grundbesitzenden GbR waren seit deren Gründung im Jahr 2006 der Vater (V) mit 10 % und seine beiden Kinder, der Kläger (K; Sohn) und T (Tochter) zunächst zu jeweils 45 % beteiligt. Im Jahr 2021 erwarb zunächst die I KG, deren Anteile der Vater (V) hält, die Anteile der T an der GbR. Ein paar Monate später erwarb K die Anteile der I KG an der GbR i.H.v. 45 %, so dass K nun i.H.v. 90 % an der GbR beteiligt war.
Das FA setzte für den Erwerb des K Grunderwerbsteuer fest. Dabei gewährte es die Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 2 GrEStG i.H.v. 55 %. K war der Auffassung, dass für den Erwerbsvorgang in voller Höhe die Steuerbefreiung gem. § 6 Abs. 2 GrEStG i.V.m. § 3 Nr. 6 S. 1 GrEStG greift.
Entscheidung
Das FG teilt die Auffassung des Finanzamts, dass die Grunderwerbsteuer für den fiktiven Erwerbsvorgang gemäß § 6 Abs. 4 GrEStG lediglich i.H.v. 55 % nicht zu erheben ist.
Grunderwerbsteuerbarer Rechtsvorgang
Gemäß § 1 Abs. 3a GrEStG gilt als ein grunderwerbsteuerbarer Rechtsvorgang auch ein solcher, aufgrund dessen ein Rechtsträger unmittelbar oder mittelbar eine wirtschaftliche Beteiligung in Höhe von mindestens 90% an einer Gesellschaft, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört, innehat. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3a GrEStG sind im Streitfall erfüllt. Mit Abschluss des Vertrages über den Kauf der 45 % der Anteile der GbR von der I KG war K i.H.v. 90 % unmittelbar wirtschaftlich an der GbR beteiligt.
(Gesetzliche) Grundlagen zu Steuerbefreiungen
Beim Übergang eines Grundstücks von einer Gesamthand in das Alleineigentum einer an der Gesamthand beteiligten Person wird nach § 6 Abs. 2 S. 1 GrEStG die Steuer in Höhe des Anteils nicht erhoben, zu dem der Erwerber am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist. Nach § 6 Abs. 4 Nr. 1 GrEStG kann die Begünstigung nach § 6 Abs. 2 GrEStG nicht gewährt werden, wenn der fiktiv das Alleineigentum am Grundstück erwerbende Gesamthänder seinen Anteil an der grundbesitzenden Gesamthand innerhalb von zehn Jahren vor dem Erwerbsvorgang durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat.
Nach § 3 Nr. 6 S. 1 GrEStG ist von der Besteuerung ausgenommen der Erwerb eines Grundstücks durch Personen, die mit dem Veräußerer in gerader Linie i.S.d. § 1589 S. 1 BGB verwandt sind. Ist Erwerber oder Veräußerer eine Gesamthandsgemeinschaft, können der Gesamthand bei der Anwendung der §§ 5, 6 GrEStG über den Rechtsgedanken des § 3 Nr. 6 GrEStG persönliche Eigenschaften der Gesamthänder quotal zugerechnet werden (vgl. BFH-Urteil vom 17.12.2014, II R 2/13).
Anwendung auf den Streitfall
Dass die Grunderwerbsteuer für den Erwerbsvorgang des Klägers zu Recht gem. § 6 Abs. 2 GrEStG i.H.v. 55% nicht erhoben worden ist, ist nicht streitig. Der Begünstigung des Erwerbsvorgangs i.H.v. weiteren 45% in entsprechender Anwendung des § 6 Abs. 2 i.V.m. § 3 Nr. 6 GrEStG steht im Streitfall § 6 Abs. 4 Nr. 1 GrEStG entgegen. Zwar sind für die restlichen von K erworbenen Anteile an der GbR die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 i.V.m. § 3 Nr. 6 GrEStG erfüllt. Denn für § 6 Abs. 2 GrEStG ist bei der veräußernden Gesamthand nicht auf die Beteiligungsquote der KG, sondern auf die des an ihr beteiligten Gesamthänders V abzustellen. V ist über die I KG zu 45 % an der GbR als fiktiv übertragender Personengesellschaft beteiligt. Die Beteiligung des mit K in gerader Linie verwandten V wird K nach § 3 Nr. 6 GrEStG zugerechnet.
Die Anwendung des § 6 Abs. 2 GrEStG sei jedoch gemäß § 6 Abs. 4 Nr. 1 GrEStG ausgeschlossen, denn die I KG, deren Alleingesellschafter V ist, hat ihre 45%-ige Beteiligung an der GbR erst im März 2021 und damit innerhalb der Zehnjahresfrist vor dem Erwerbsvorgang von T erworben.
Danach ist K die Vorbesitzzeit der seit 2006 i.H.v. 45% an der GbR beteiligten T nicht gem. § 3 Nr. 6 GrEStG zuzurechnen. T ist zwar die Schwester des K, sie ist aber in gerader Linie nur mit dem Vater V verwandt (und nicht mit K). Denn nicht V, sondern K hat die zehnjährige Vorbesitzzeit des § 6 Abs. 4 Nr. 1 GrEStG einzuhalten. Diesem können nach Ansicht des FG über § 3 Nr. 6 S. 1 GrEStG aber nur Vorbesitzzeiten von mit ihm in gerader Linie verwandten Personen zugerechnet werden.
Keine teleologische Reduktion
Der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 4 GrEStG ist im Streitfall nach Ansicht des FG auch nicht durch teleologische Reduktion zu beschränken. § 6 Abs. 4 GrEStG ist eine Missbrauchs-verhinderungsvorschrift, mit der Steuerumgehungen durch die Kombination eines außerhalb von § 1 Abs. 2a GrEStG nicht steuerbaren Wechsels im Gesellschafterbestand einer Gesamthand und der nachfolgenden nach § 6 GrEStG begünstigten Übernahme von Grundstücken aus dem Gesamthandsvermögen durch den „neuen“ Gesellschafter verhindert werden sollen (vgl. BFH-Beschluss vom 19.03.2003, II B 96/02). Nicht maßgebend sei, ob (subjektiv) im Einzelfall eine Steuerumgehung beabsichtigt war (vgl. auch BFH-Urteil vom 25.08.2020, II R 23/18).
Danach ist § 6 Abs. 4 GrEStG auf den Streitfall anzuwenden, es liegt eine missbrauchsgeneigte Gestaltung vor. Der nicht steuerbare Erwerb der Anteile der T an der GbR durch die I KG ist mit der in Anwendung des § 6 Abs. 2 i.V.m. § 3 Nr. 6 GrEStG steuerbefreiten Übernahme dieser Anteile durch K kombiniert worden. Hätte K die 45% der Anteile an der GbR nicht von der I KG, sondern direkt von der nicht mit ihm in gerader Linie verwandten T erworben, wäre dieser Erwerbsvorgang nicht gemäß § 6 Abs. 2 i.V.m. § 3 Nr. 6 GrEStG von der Steuer befreit.
Betroffene Normen
§ 3 Nr. 6 S. 1 GrEStG, § 6 Abs. 2 und 4 GrEStG
Streitjahr 2021
Fundstelle
Finanzgericht München, Urteil vom 07.02.2024, 4 K 543/23
Anmerkung
Das Verfahren ist nun beim BFH anhängig (II R 6/24). Der BFH wird zu entscheiden haben, ob bei der Berechnung der Zehnjahresfrist des § 6 Abs. 4 Nr. 1 GrEStG die Vorbesitzzeit der Schwester dem Bruder nicht gem. § 3 Nr. 6 GrEStG über den Vater zuzurechnen ist.
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 17.12.2014, II R 2/13, BStBl. II 2015, S. 557
BFH, Beschluss vom 19.03.2003, II B 96/02, BFH/NV 2003, S. 1090
BFH, Urteil vom 25.08.2020, II R 23/18, BStBl. II 2021, S. 162, siehe Deloitte Tax News