FG Münster: Aufgabe der sog. Pro-Kopf-Betrachtung bei unmittelbarer Anteilsvereinigung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft
Eine Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG in Bezug auf die unmittelbare Beteiligung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft ist nach Auffassung des FG Münster anhand der vermögensmäßigen Beteiligung am Gesellschaftskapital und nicht (mehr) anhand der gesamthänderischen Mitberechtigung am Gesellschaftsvermögen zu beurteilen (gemäß obiter dictum des BFH).
FG Münster, Urteil vom 16.01.2025, 8 K 2751/21 F, BFH-anhängig: R II 5/25
Sachverhalt

An der grundbesitzenden T GmbH & Co. KG war als Komplementärin ohne Kapitalbeteiligung die X GmbH beteiligt. Die P GmbH & Co. KG (Klägerin) hielt als Kommanditistin 100 % der Anteile an der T GmbH & Co. KG. An der P GmbH & Co. KG wiederum war die P GmbH als Komplementärin ohne Kapitalbeteiligung und die H GmbH & Co. KGaA als Kommanditistin mit einer Beteiligung von 100 % beteiligt. Die H GmbH & Co. KGaA war zudem Alleingesellschafterin der X-GmbH.
Im Jahr 2014 wurde die P GmbH & Co. KG in die M GmbH umgewandelt. Im Rahmen dieser Umwandlung verpflichtete sich die H GmbH & Co. KGaA, ihren alleinigen Gesellschaftsanteil an der X GmbH in die M GmbH einzubringen. Nach Eintragung des Formwechsels ins Handelsregister trat die P GmbH aus. Damit war die X GmbH auch nach der Einbringung weiterhin an der T GmbH & Co. KG als Komplementärin ohne Kapitalbeteiligung beteiligt. Gleichzeitig erlangte die P GmbH & Co. KG nunmehr auch 100 % der Anteile an der X GmbH, wodurch sie sowohl an der T GmbH & Co. KG als auch an der X GmbH mit jeweils 100 % beteiligt war.
In den Jahren 2018 und 2019 führte das Finanzamt eine Betriebsprüfung durch und stellte fest, dass die Einbringung des Anteils an der X GmbH in die M GmbH im Jahr 2014 einen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG auslöste.
Entscheidung
Das Finanzgericht Münster hat entgegen der Auffassung des Finanzamtes für den Anteil an der Personengesellschaft ausschließlich auf die vermögensmäßige Beteiligung am Gesellschaftskapital abgestellt. Danach führt die Einbringung des Anteils an der X GmbH in die M GmbH nicht zu einem steuerlich relevanten Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG, da die M GmbH bereits vor der Einbringung zu 100 % am Gesellschaftskapital der grundbesitzenden T GmbH & Co. KG unmittelbar beteiligt war.
Gesetzliche Grundlagen
Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegen der Steuer, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG nicht in Betracht kommt, ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % (inzwischen 90 %) der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers oder in der Hand von herrschenden und abhängigen Unternehmen oder abhängigen Personen oder in der Hand von abhängigen Unternehmen oder abhängigen Personen allein vereinigt werden würden (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG a.F.).
Ein Anteilserwerb ist jedenfalls dann nicht nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerbar, wenn der Erwerber bereits vor Abschluss des Rechtsgeschäfts mindestens 95 % (inzwischen 90 %) der Anteile hält.
„Anteil“ im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
Für die Frage, worauf bei der Vereinigung der Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft abzustellen ist, war bei einer grundbesitzenden Personengesellschaft bisher zwischen einer unmittelbaren und mittelbaren Beteiligung an der Personengesellschaft zu unterscheiden.
Hinsichtlich der Anteilsvereinigung in Fällen der mittelbaren Beteiligung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft hatte der BFH seine bisherige Rechtsprechung bereits geändert. Mit Urteil vom 27.05.2020 (BFH, Urteil vom 27.05.2020, II R 54/17, BStBl II 2021, S. 315) entschied der BFH, dass bei einer mittelbaren Beteiligung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft nicht mehr die sachenrechtliche Mitberechtigung der Gesellschafter am Gesamthandsvermögen (sog. Pro-Kopf-Betrachtung), sondern ausschließlich die vermögensmäßige Beteiligung am Gesellschaftskapital maßgeblich sei. Diese Änderung zielt auf eine gleiche grunderwerbsteuerliche Behandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften ab.
Die Rechtsprechung des BFH zur mittelbaren Anteilsvereinigung soll nach Auffassung des FG Münster Auswirkungen auf die Bewertung der unmittelbaren Anteilsvereinigung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft haben. Der BFH hat bereits in seinem Urteil vom 27.05.2020 (BFH, Urteil vom 27.05.2020, II R 54/17, BStBl II 2021, S. 315, Rz. 21) in einem obiter dictum die Aufgabe der sog. Pro-Kopf-Betrachtung auch für Fälle der unmittelbaren Anteilsvereinigung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft angedeutet. Danach spreche einiges dafür, dass entgegen der bisherigen Rechtsprechung auch für die unmittelbare Beteiligung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft als Anteil im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG auf die vermögensmäßige Beteiligung am Gesellschaftskapital und nicht auf die sachenrechtliche Mitberechtigung der Gesellschafter am Gesamthandsvermögen abzustellen sei.
Maßgeblichkeit der vermögensmäßigen Beteiligung am Gesellschaftskapital
Diese Entwicklung in der Rechtsprechung des BFH hat das FG Münster aufgegriffen und stellt auch bei der unmittelbaren Anteilsvereinigung an einer Personengesellschaft auf die vermögensmäßige Beteiligung am Gesellschaftskapital (und nicht auf die gesamthänderische Mitberechtigung) ab. Insoweit überzeugt eine Unterscheidung zwischen der unmittelbaren und mittelbaren Beteiligung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft den Senat nicht. Denn wie bei einer mittelbaren Anteilsvereinigung ermöglicht auch ein unmittelbarer Anteil von mindestens 95 % (inzwischen 90 %) am Vermögen der grundbesitzenden Personengesellschaft dem Gesellschafter, seinen Willen in der Personengesellschaft in grunderwerbsteuerlich erheblicher Weise durchzusetzen.
Damit ist die Einbringung des Anteils der am Kapital der grundbesitzenden T GmbH & Co. KG nicht beteiligten X GmbH in die M GmbH nicht gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerbar. Die M GmbH war bereits vor der Einbringung zu 100 % am Gesellschaftskapital der T GmbH & Co. KG beteiligt, sodass sie ihren Willen in grunderwerbsteuerlich erheblicher Weise durchsetzen konnte. Der mittelbare Erwerb des weiteren Gesellschaftsanteils an der X GmbH ist daher nach Auffassung des FG Münster nicht relevant.
Betroffene Normen
§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
Streitjahr 2014
Anmerkungen
Einordnung des Urteils
Das Urteil des FG Münster stellt einen grundlegenden Schritt in der Weiterentwicklung der Rechtsprechung zur Anteilsvereinigung bei grundbesitzenden Personengesellschaften dar. Nachdem sowohl der BFH als auch die Finanzverwaltung bereits für den mittelbaren Anteilserwerb an einer grundbesitzenden Personengesellschaft die Pro-Kopf-Betrachtung aufgegeben haben und nunmehr auf die vermögensmäßige Beteiligung am Gesellschaftskapital abstellen (BFH, Urteil vom 27.09.2017, II R 41/15, BStBl II 2018, S. 667, Rz. 21; Gleichlautender Ländererlass vom 05.03.2024, BStBl I 2024, S. 383, Rz. 12 „Pro-Kopf-Betrachtung“), bleibt abzuwarten, wie der BFH sich in dem nun anhängigen Revisionsverfahren (Az. II R 5/25) positionieren wird und ob er seine Rechtsprechung auch hinsichtlich der unmittelbaren Beteiligung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft ändert. Das FG Baden-Württemberg hatte mit Urteil vom 05.07.2024 aufgrund der im Streitjahr noch geltenden sachenrechtlichen Mitberechtigung an der bisherigen BFH-Rechtsprechung zur unmittelbaren Anteilsvereinigung, d.h. an der Pro-Kopf-Betrachtung festgehalten (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.07.2024, 5 K 2326/22, Rz. 44). Spätestens aber mit dem Wegfall des Gesamthandsprinzips dürfte jedoch eine Neuausrichtung in der Auslegung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG auch nach Auffassung des FG Baden-Württemberg zu erwarten sein.
Hintergrund der sog. Pro-Kopf-Betrachtung war, dass eine Beteiligung an einer Personengesellschaft auch von einem Gesellschafter gehalten werden kann, der keinen vermögensmäßigen Anteil am Gesellschaftskapital besitzt. Obwohl dieser Gesellschafter am Wert des Gesellschaftsvermögens nicht direkt beteiligt ist, ist er dennoch gesamthänderischer Mitinhaber der zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstände, Rechte und Forderungen. Die Vorschrift des § 719 Abs. 1 Hs. 1 BGB a.F. sah vor, dass ein Gesellschafter nicht über seinen Anteil an dem Gesellschaftsvermögen und an den einzelnen dazu gehörenden Gegenständen verfügen kann; vielmehr mussten alle Gesellschafter gemeinschaftlich Verfügungsentscheidungen "zur gesamten Hand" treffen.
Die Rechtsprechung des BFH im Rahmen der mittelbaren Anteilsvereinigung an grundbesitzenden Personengesellschaften zeigt jedoch eine klare Tendenz zur Aufgabe dieser „Pro-Kopf-Betrachtung“ auch für die unmittelbare Anteilsvereinigung (BFH, Urteil v. 27.05.2020, II R 54/17, BStBl II 2021, S. 315, Rz. 21, Anmerkung v. RiBFH, Kugelmüller-Pugh in: DStR 2020, S. 2675). Sollte sich diese Entwicklung durchsetzen, würde dies weitreichende Auswirkungen auf die steuerliche Behandlung von unmittelbaren Anteilsübertragungen an Personengesellschaften haben.
Die jahrzehntelange Rechtsprechung des BGH zur Angleichung der Rechtsstrukturen von Personen- und Kapitalgesellschaften, die jüngst auch Niederschlag in der Reform des MoPeG (BGBl I 2021, S. 3436) gefunden hat, lässt eine Änderung der BFH-Rechtsprechung auch bei der unmittelbaren Anteilsvereinigung an Personengesellschaften erwarten. Dem sollte auch die Übergangsregelung des § 24 GrEStG, die Personengesellschaften bis zum 01.01.2027 weiterhin für Zwecke der Grunderwerbsteuer als Gesamthand behandelt, nicht entgegenstehen, weil der BFH seine Rechtsprechung zu mittelbaren Anteilsvereinigungen bereits vor dem MoPeG geändert hat und diese Regelung eine rein grunderwerbsteuerliche Fiktion darstellt.
Praxisempfehlung
In der Beratungspraxis empfiehlt es sich, die Entwicklung dieses Themas weiterhin aufmerksam zu verfolgen. Es ist ratsam, die betroffenen Fälle offen zu halten, bis der BFH seine endgültige Entscheidung im Revisionsverfahren getroffen hat. Insbesondere in Fällen, in denen Gesellschafter ohne kapitalmäßige Beteiligung an einer Personengesellschaft eine Anteilsvereinigung anstreben, sollte vor Abschluss der Transaktion eine detaillierte grunderwerbsteuerliche Prüfung erfolgen, um unerwünschte steuerliche Folgen zu vermeiden. Denn die Aufgabe der „Pro-Kopf-Betrachtung“ hätte zur Folge, dass ein Gesellschafter ohne kapitalmäßige Beteiligung auch auf der unmittelbaren Ebene eine steuerbare Anteilsvereinigung nicht mehr verhindern könnte.
Fundstelle
Finanzgericht Münster, Urteil vom 16.01.2025, 8 K 2751/21 F, BFH-anhängig: R II 5/25
Weitere Fundstellen
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 05.07.2024, 5 K 2326/22
BFH, Urteil vom 27.05.2020, II R 54/17, BStBl II 2021, S. 315, Anmerkung v. RiBFH, Kugelmüller-Pugh in: DStR 2020, 2675
BFH, Urteil vom 12.03.2014, II R 51/12, BStBl II 2016, S. 356
BFH, Urteil vom 27.09.2017, II R 41/15, BStBl II 2018, S. 667
Gleichlautender Ländererlass vom 05.03.2024, BStBl I 2024, S. 383
