BFH: Erforderlicher Änderungsantrag des Organträgers bei Anfechtung eines Steuerbescheids durch die Organgesellschaft
Sind die an das Vorliegen einer Organschaft zu stellenden Voraussetzungen erst nach erfolgter Steuerfestsetzung zu bejahen, so ist für eine erfolgreiche Anfechtung durch die Organgesellschaft ein Änderungsantrag des Organträgers erforderlich.
BFH, Urteil vom 05.09.2024, V R 5/23
Hintergrund
Der EuGH hat mit Urteil vom 15.04.2021 (C-868/19, M-GmbH, siehe Deloitte Tax-News) festgestellt, dass auch Personengesellschaften als Organgesellschaften qualifiziert werden können. Das stand im Widerspruch zu der - bis zu diesem Zeitpunkt - vorherrschenden Ansicht von Rechtsprechung und Finanzverwaltung in Deutschland (vgl. UStAE 2.8. Abs. 5a a.F.). Im Anschluss an das EuGH-Urteil wurde die Auffassung von der deutschen Rechtsprechung und Finanzverwaltung übernommen (vgl. UStAE 2.8 Abs. 5a n.F.).
Die Folgen, die sich daraus ergeben können, dass die Voraussetzungen einer Organschaft erst aufgrund der geänderten Rechtsprechung zu bejahen sind, nach der auch eine GmbH & Co.KG (KG) Organgesellschaft sein kann, zeigt unter anderem auch der vorliegende Fall. Fraglich war, ob die Aufhebung der gegenüber einer KG ergangenen Steuerfestsetzung voraussetzt, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, stritt mit dem Finanzamt um die Aufhebung des ihr gegenüber für das Jahr 2016 ergangenen Umsatzsteuerbescheids.
Die Klägerin erhielt von ihrer Kommanditistin Pkw-Lieferungen. Das Finanzamt verweigerte der Klägerin den Vorsteuerabzug mit der Begründung, dass die Transaktionen allein aufgrund eines Vorsteuerüberhangs getätigt worden seien und damit rechtsmissbräuchlich erfolgten. Trotz dessen unterwarf das Finanzamt die Ausgangsumsätze der Klägerin der Umsatzsteuer, wodurch es - statt zu dem erklärten Vorsteuerüberhang - zu einer Zahllast der klagenden GmbH & Co. KG kam. Im Gerichtsverfahren berief sich die Klägerin darauf, dass sie, entsprechend der neuen EuGH-Rechtsprechung, Organgesellschaft sei und die Steuerfestsetzung gegen sie daher rechtswidrig sei. Den Vorsteuerüberhang machte sie hingegen nicht mehr geltend.
Das FG Münster gab der Klage statt, der BFH lehnte die Aussetzung der Vollziehung ab ( BFH Beschl. v. 18.7.2024, V S 6/23).
Entscheidung
Der BFH erachtete die Revision als begründet. Zwar sei die Klägerin aufgrund der geänderten Rechtsprechung als Organgesellschaft ihrer Kommanditistin anzusehen, jedoch setze die Aufhebung des Steuerbescheids einen Antrag des Organträgers auf Änderung der Steuerfestsetzung voraus.
Zur Begründung verwies der BFH auf die – eine Untergruppe des Grundsatzes von Treu und Glauben bildende - Vermeidung widersprüchlichen Verhaltens. Es könne nicht für denselben Besteuerungszeitraum für den auf der einen Seite stehenden Organträger eine Behandlung nach alter Rechtsprechung, demgegenüber für die auf der anderen Seite stehende Organgesellschaft eine Behandlung nach neuer Rechtsprechung verlangt werden. Ein solches Vorgehen stelle Rechtsmissbrauch dar. Daher verlangt der BFH einen Änderungsantrag des Organträgers.
Das Antragerfordernis diene auch der Umsetzung von Art. 11 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, welcher festhält, dass es bei einer Organschaft lediglich einen Steuerpflichtigen geben kann – da dies der Organträger sei, sei der Antrag von diesem zu stellen.
Betroffene Normen
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG
Anmerkung
Das Urteil des BFH steht im Einklang mit bisheriger Rechtsprechung (Urteil vom 16.03.23, V R 14/21 siehe auch Deloitte Tax-News, sowie Urteil vom 16.07.24, XI B 43/23). Zur Vermeidung widersprüchlichen Verhaltens in Bezug auf die Besteuerung von Organträger und Organgesellschaft kommt es darauf an, dass der Organträger einen Antrag auf Einbeziehung der Organgesellschaft und ihrer Umsätze in seine Steuerfestsetzung stellt. Dabei geht es insbesondere um die Konstellationen, in denen aufgrund der irrigen früheren Rechtsauffassung im Hinblick auf die Frage der Eigenschaft von Personengesellschaften als Organgesellschaften, nachträglich neue Organschaften „entstehen“. Diese Fälle sind abzugrenzen, von solchen, in denen die Voraussetzungen der Organschaft schlicht falsch beurteilt wurden.
Wird sich rückwirkend auf das Bestehen einer Organschaft mit einer Personengesellschaft als Organgesellschaft berufen, ist zu beachten, dass auch die Eingliederungsvoraussetzungen vorliegen müssen (wirtschaftlich, finanziell, organisatorisch), damit die „neue“ Organschaft nachträglich anerkannt werden kann.
Fundstellen
BFH, Urteil vom 05.09.2024, V R 5/23
Finanzgericht Münster, Urteil vom 23.03.2023, 5 K 232/18 U
