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19.10.2022
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: Haftung der Organgesellschaft für die nach der Beendigung der Organschaft entstandene Umsatzsteuer

​Haftet eine Organgesellschaft für die Umsatzsteuer, die während des Organschaftsverhältnisses verursacht, aber noch nicht entstanden ist? 

Hintergrund

Die umsatzsteuerliche Organschaft bewirkt, dass die Organgesellschaft als unselbständig anzusehen ist. Steuerschuldner ist der Organträger. Die Organschaft beginnt, sobald die Eingliederungsvoraussetzungen erfüllt sind. Sie endet mit dem Wegfall der gesetzlichen Voraussetzungen. Im vorläufigen Insolvenzverfahren endet die Organschaft wegen des Wegfalls der organisatorischen Eingliederung, wenn ein schwacher Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die Organgesellschaft bestellt wird.

Gemäß § 73 Satz 1 AO haftet eine Organgesellschaft für die Steuern des Organträgers, für die die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Der Haftungstatbestand soll dem Ausgleich der mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger einhergehenden Risiken dienen. Mit dem haftungsrechtlichen Zugriff auf das Vermögen der Organgesellschaft wird die Vermeidung von Steuerausfällen, die infolge von Vermögensverlagerungen innerhalb des Organkreises entstehen können, bezweckt (BFH, Urt. v. 05.10.2004, VII R 76/03, BStBl II 2006, 3).

Die Rechtsfrage, ob sich die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers nur auf solche Steuern beschränkt, die während des Organschaftsverhältnisses entstanden sind, war bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Während das Schrifttum den Haftungsumfang auf die vor Beendigung der Organschaft entstandenen Steuern begrenzt, kommt es nach der extensiven Lesart der Finanzverwaltung auf die bei bestehender Organschaft verursachten Steuern an. 

Sachverhalt

Der Kläger ist der vorläufige Insolvenzverwalter der X-GmbH, die zuvor umsatzsteuerliche Organgesellschaft der A-GmbH war. Über das Vermögen der X-GmbH wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Bei der A-GmbH bestanden Umsatzsteuerrückstände aus der Umsatzsteuervoranmeldung März 2014. Das Finanzamt nahm daraufhin die Organgesellschaft in Haftung. Dagegen wandte sich der Kläger vor dem FG Sachsen. Das FG gab der Klage statt. Nach Ansicht des FG bestand keine Haftung der Organgesellschaft, da die Umsatzsteuer im Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft noch nicht entstanden war. Das Finanzamt legte Revision ein. 

Entscheidung des BFH

Der BFH hat entschieden, dass sich die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers nach § 73 Satz 1 AO nicht auf die Steuern beschränkt, die während des Bestehens des Organschaftsverhältnisses entstanden sind. Die Organgesellschaft kann nach dem BFH in dem Umfang haften, in dem der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann. Da es das FG unterlassen hat, festzustellen, in welcher Höhe die Umsatzsteuer den Organkreis betrifft, wurde die Sache an das FG zurückverwiesen. 

Anmerkung

Für die subsidiäre Ausfallhaftung der Organgesellschaft gemäß § 73 Satz 1 AO kommt es nach dem BFH unter Anwendung sämtlicher Auslegungsmethoden nicht auf den Entstehungszeitpunkt der Steuer, sondern auf den Zeitpunkt der wirtschaftlichen Verursachung, d.h. die Ausführungen der Leistungen während des Bestehens der Organschaft, an. Der Haftungsumfang wird danach nicht durch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der entstandenen Steuer begrenzt, sondern um das Kriterium der wirtschaftlichen Verursachung erweitert. Soweit Leistungen während des Bestehens einer umsatzsteuerlichen Organschaft ausgeführt wurden, haftet die Organgesellschaft nach dem BFH selbst dann, wenn die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Umsatzsteuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraumes nicht mehr vorliegen. Insoweit bestätigt der BFH die im AEAO zu § 73, Nr. 3.2 formulierte Verwaltungsauffassung. Die Urteilsgrundsätze des BFH zur Reichweite des Haftungsumfanges tragen zumindest in zeitlicher Hinsicht zu einer rechtssicheren Anwendung des § 73 Satz 1 AO bei.

Allerdings setzt der Haftungstatbestand dem Grunde nach eine nach den Einzelsteuergesetzen, für die Umsatzsteuer gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, bestehende Organschaft voraus. Während das Unionsrecht die Mehrwertsteuergruppe zum Steuerpflichtigen nach Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL bestimmt, ist nach der bestehenden nationalen Rechtslage allein der Organträger das Umsatzsteuersubjekt, das sämtliche Deklarationspflichten zu erfüllen hat. Mit der Möglichkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG wird sich der EuGH in der Rechtssache Finanzamt T (BFH, EuGH-Vorlage vom 07.05.2020, V R 40/19, C-269/20, vgl. Deloitte Tax News) und Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie (BFH, EuGH-Vorlage vom 11.12.2019, XI R 16/18, C-141/20, vgl. Deloitte Tax News) befassen. Sollte der EuGH die Unionsrechtskonformität der deutschen Organschaftsregelung verneinen, wäre der Gesetzgeber zu einer gesetzlichen Neuregelung veranlasst. 

Betroffene Normen

​§ 73 Satz 1 AO; § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG; Art. 11 MwStSystRL

Vorinstanz

​FG Sachsen, Urteil vom 13. April 2021, 3 K 1304/19

Fundstelle

BFH, Urteil vom 5. April 2022, VII R 18/21 

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
Partner

ugruenwald@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 258

Dr. Diana-C. Kurtz
Senior Manager

dkurtz@deloitte.de
Tel.: +49 89 29036 8025

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