BFH: Kapitalistisch strukturierte Personengesellschaft als Organgesellschaft
Kapitalistisch strukturierte Personengesellschaften können Organgesellschaften sein, auch wenn ihre Gesellschafter neben dem Organträger weitere, finanziell nicht eingegliederte, Personen sind.
Hintergrund
Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG können nur juristische Personen Organgesellschaften sein. Im Jahr 2015 urteilte der EuGH in der Rechtssache Larentia + Minerva, dass die generelle Beschränkung tauglicher Organgesellschaften auf juristische Personen unionsrechtswidrig ist (EuGH, Urt. v. 16.07.2015, C-108/14 und C-109/14, Rz. 37, siehe Deloitte Tax News).
Der XI. BFH-Senat hat daraufhin entschieden, dass in richtlinienkonformer Auslegung der deutschen Organschaftsregelung eine Personengesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG aufgrund ihrer kapitalistischen Struktur Organgesellschaft sein kann (BFH, Urt. v. 01.06.2016, XI R 17/11, BStBl. II 2017, 581; BFH, Urt. v. 19.01.2016, XI R 38/12, BStBl. II 2017, 567, siehe Deloitte Tax News). Der V. BFH-Senat legte § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG im Wege der teleologischen Extension hingegen dahingehend aus, dass eine Personengesellschaft dann Organgesellschaft sein kann, wenn das Merkmal der finanziellen Eingliederung wie bei einer juristischen Person erfüllt ist. Voraussetzung sei, dass neben dem Organträger ausschließlich Personen Gesellschafter sind, die finanziell in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind (BFH, Urt. v. 02.12.2015, V R 25/13, BStBl. II 2017 S. 547; BFH, Urt. v. 03.12.2015, V R 36/13, BStBl. II 2017 S. 563, siehe Deloitte Tax News). Die Finanzverwaltung hat sich dieser Auffassung angeschlossen (Abschn. 2.8 Abs. 5a Satz 1 UStAE).
Auf die Vorlage des FG Berlin-Brandenburg hin verwarf der EuGH für den Fall einer GmbH & Co. KG, an der neben dem Organträger weitere Kommanditisten beteiligt waren, die restriktive Beurteilung des V. Senats und der Finanzverwaltung (EuGH, Urt. v. 15.04.2021, C-868/19, M-GmbH, siehe Deloitte Tax News). Die Eignung, Mitglied einer umsatzsteuerlichen Organschaft zu sein, darf aufgrund des Neutralitätsgrundsatzes nicht von der Rechtsform abhängig gemacht werden. Nach Ansicht des EuGH können Personengesellschaften auch dann Organgesellschaften sein, wenn neben dem Organträger weitere Personen Gesellschafter der Personengesellschaft sind, die nicht finanziell in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind.
Mit Urteil vom 16.03.2023 hat sich der V. BFH-Senat der EuGH-Rechtsprechung angeschlossen und seine restriktive Auffassung aufgegeben (V R 14/21 (V R 45/19))
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darüber, ob das für eine umsatzsteuerliche Organschaft vorausgesetzte Merkmal der finanziellen Eingliederung erfüllt ist, wenn neben dem Organträger mit Mehrheitsbeteiligung an einer Personengesellschaft auch Personen beteiligt sind, die nicht in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH & Co. KG (KG). Gesellschafter der KG waren die A-GmbH als Komplementärin (Komplementär-GmbH) sowie die Kommanditisten VA mit einem Kapitalanteil von 80 % und S mit 20 %. Gesellschafter der Komplementär-GmbH waren ebenfalls VA zu 80 % und S zu 20 %. VA verpachtete der KG u.a. ein Betriebsgrundstück. Die KG gab für das Streitjahr 2010 eine Umsatzsteuererklärung ab und entrichtete die USt vollständig. VA deklarierte die Umsätze aus der Verpachtung. Über das Vermögen der KG und des VA wurde später das Insolvenzverfahren eröffnet. Die KG gab daraufhin eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr ab, in der sie keine Umsätze deklarierte. Der Kläger berief sich auf das Bestehen einer Organschaft zwischen VA als Organträger und der KG als Organgesellschaft.
Das Finanzamt lehnte eine Organschaft ab, da neben VA auch S an der KG beteiligt war. Demgegenüber hielt das FG Baden-Württemberg die Minderheitsbeteiligung nicht eingegliederter Personen für unbeachtlich. Das FA legte Revision ein. Das Verfahren wurde vom BFH bis zur Entscheidung des EuGH im Fall M-GmbH (C-868/19, siehe Deloitte Tax News) ausgesetzt.
Entscheidung
Der V. BFH-Senat hat sich unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (V R 25/13) dem EuGH (C-868/19) angeschlossen und entschieden, dass eine Personenhandelsgesellschaft mit einer kapitalistischen Struktur Organgesellschaft sein kann. Der Umstand, dass neben dem Organträger Personen Gesellschafter der kapitalistisch strukturierten Personengesellschaft sind, die nicht finanziell in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind, steht nicht entgegen. Macht eine GmbH & Co. KG geltend, dass sie aufgrund der Rechtsprechungsänderung Organgesellschaft ist, setzt die Aufhebung der ihr gegenüber ergangenen Steuerfestsetzung nach Auffassung des BFH einen Antrag des Organträgers auf Änderung seiner Steuerfestsetzung voraus.
Anmerkung
Personengesellschaften kommen nach der geänderten BFH-Rechtsprechung auch dann als Organgesellschaften in Betracht, wenn neben dem Organträger weitere Personen Gesellschafter sind, die nicht finanziell in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind. Die bisherige Auffassung des BFH und der Finanzverwaltung, wonach eine kapitalistisch strukturierte Personengesellschaft nur dann Organgesellschaft sein kann, wenn der Organträger sämtliche Anteile an ihr hält, ist damit obsolet.
Aus verfahrensrechtlicher Sicht ist es ausgeschlossen, dass eine kapitalistisch strukturierte Personengesellschaft auf der Grundlage der geänderten Rechtsprechung als Organgesellschaft behandelt wird, während der Organträger für denselben Besteuerungszeitraum aufgrund der überholten Rechtsprechung als Teil einer Organschaft ohne die Personengesellschaft als Organgesellschaft angesehen wird. Zur Vermeidung widersprüchlichen Verhaltens muss der Organträger den Vertrauensschutz gemäß § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO nach der im Urteilsfall vom BFH bestätigten Rechtsprechung (BFH, Urt. v. 26.08.2021, V R 13/20, BFHE 273, 364) durch die Stellung eines Änderungsantrags vor Ablauf der für ihn geltenden Festsetzungsfrist entfallen lassen, um die Besteuerung der Umsätze der Organgesellschaft bei seiner Steuerfestsetzung zu ermöglichen.
Betroffene Normen
Art. 11 MwStSystRL, § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO
Vorinstanz
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. November 2019, 1 K 1952/18
Fundstelle
BFH, Urteil vom 16. März 2023, V R 14/21 (V R 45/19)