BFH: Umsatzsteuerliche Organschaft umfasst neben dem wirtschaftlichen auch den hoheitlichen Bereich des Organträgers
Entgeltliche Leistungen der Organgesellschaft an den hoheitlichen Bereich des Organträgers unterliegen nicht der Entnahmebesteuerung.
BFH, Urteil vom 29.08.2024, V R 14/24 (V R 20/22, V R 40/19)
Hintergrund
Nach zwei Vorabentscheidungsersuchen setzt der BFH einem bedeutenden Rechtsstreit, der Grundsatzfragen zur deutschen Organschaftsregelung aufwarf, mit seinem aktuell veröffentlichten Nachfolgeurteil einen Schlusspunkt. Neben der zwischenzeitlich vom EuGH bestätigten Unionsrechtskonformität der Bestimmung des Organträgers zum Steuerpflichtigen (EuGH, Urteil vom 01.12.2022, C-269/20, Finanzamt T, vgl. Deloitte Tax News) und der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen (EuGH, Urteil vom 11.07.2024, C-184/23, Finanzamt T II, Deloitte Tax News) war streitig, ob eine Entnahmebesteuerung in Betracht kommt, wenn der Organträger die von seiner Organgesellschaft bezogenen, entgeltlichen Leistungen partiell für Hoheitszwecke verwendet oder ob die Wertabgabenbesteuerung am Tatbestandsmerkmal der Unentgeltlichkeit scheitert.
Im Vorabentscheidungsverfahren Finanzamt T hatte der EuGH in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung bestätigt, dass zwischen unternehmensfremden Tätigkeiten, d.h. der Privatnutzung durch den Steuerpflichtigen oder sein Personal, und Tätigkeiten der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben zu unterscheiden ist (EuGH, Urteil vom 01.12.2022, C-269/20, Finanzamt T, EuGH, Urteil vom 12.02.2009, C-515/07, VNLTO; EuGH, Urteil vom 15.09.2016, C-400/15, Landkreis Potsdam-Mittelmark, vgl. Deloitte Tax News). Nur bei unternehmensfremder Nutzung, z.B. privater Verwendung, kommt nach dem EuGH eine Wertabgabenbesteuerung in Betracht. Leistungen vom unternehmersichen Bereich einer Organgesellschaft in den hoheitlichen Bereich einer juristischen Person als Organträger unterliegen daher nicht der Entnahmebesteuerung. Nachdem im zweiten Vorabentscheidungsverfahren Finanzamt T II die Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen vom EuGH als unionsrechtskonform beurteilt wurde, und zu erwarten war, dass sich der BFH diesem Verständnis anschließt, ist der Nachfolgeentscheidung des BFH insbesondere unter dem Aspekt der Wertabgabenbesteuerung relevant.
Während nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung Leistungen innerhalb des Organkreises stets nichtsteuerbar sind, die nicht unternehmerische Verwendung von Innenleistungen jedoch die Entnahmebesteuerung bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechts als Organträger auslösen kann (BFH, Urteil vom 20.08.2009, V R 30/06, BStBl 2010, 863), war fraglich, ob an dieser Rechtsauffassung weiter festgehalten werden kann. § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG sieht die Wertabgabenbesteuerung für die unentgeltliche Erbringung einer sonstigen Leistung für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, vor. Es stellt sich die Frage, ob eine Wertabgabensteuerung bei jeder Verwendung für nicht unternehmerische Tätigkeiten in Betracht kommt oder ob zwischen Leistungen für unternehmensfremde Tätigkeiten oder nichtwirtschaftliche Tätigkeiten im engeren Sinne (Hoheitsbereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts) zu differenzieren ist.
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine Stiftung öffentlichen Rechts und Alleingesellschafterin einer GmbH. Zudem ist sie Trägerin einer Universität mit einer medizinischen Fakultät. Zwischen der Klägerin (Organträger) und der GmbH (Organgesellschaft) besteht eine Organschaft. Die GmbH erbrachte Reinigungsleistungen an die Klägerin. Dabei reinigte sie gegen Entgelt unter anderem Flächen, die die Klägerin für hoheitliche Zwecke (Forschung und Lehre) nutzte. Nach einer Betriebsprüfung setzte das Finanzamt die USt für die Reinigung der hoheitlich verwendeten Flächen im Wege der Wertabgabenbesteuerung fest.
Entscheidung
Die Bestimmung des Organträgers zum Steuerschuldner ist unionsrechtskonform.
Entgeltliche Leistungen einer Organgesellschaft an den Organträger sind nichtsteuerbar.
Erbringt eine Organgesellschaft, entgeltliche Leistungen an den Organträger kommt eine Entnahmebesteuerung mangels Unentgeltlichkeit nicht in Betracht (insoweit Aufgabe des BFH-Urteils vom 20.08.2009, V R 30/06, BStBl. II 2010, 863).
Betroffene Normen
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG, § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG
Anmerkung
Erwartungsgemäß schließt sich der BFH mit seiner Nachfolgeentscheidung dem EuGH an (EuGH, Urteil vom 01.12.2022, C-269/20, Finanzamt T; EuGH, Urteil vom 11.07.2024, C-184/23, Finanzamt T II). Die Unionsrechtskonformität der Bestimmung des Organträgers zum Steuerpflichtigen und der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen innerhalb des Organkreises ist damit abschließend höchstrichterlich geklärt. Die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze gilt auch dann, wenn der Organträger die von der Organgesellschaft empfangene Leistung für hoheitliche Zwecke verwendet.
Die Entnahmebesteuerung scheiterte im Streitfall am Tatbestandsmerkmal der Unentgeltlichkeit, da die Organgesellschaft ihren Leistungen entgeltlich an den Organträger erbrachte. Die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze lässt die Entgeltlichkeit der Leistungserbringung unberührt. Die bisherige BFH-Rechtsprechung, wonach trotz der organschaftlichen Verschmelzung zu einem Unternehmen und der Unselbständigkeit der Organgesellschaft die Merkmale der Entnahmebesteuerung bei Verwendung der bezogenen Innenleistungen für nicht unternehmerische Zwecke erfüllt sein können, ist damit obsolet (insoweit Aufgabe des BFH-Urteils vom 20.08.2009, V R 30/06, BStBl. II 2010, 863).
Sind die Eingliederungsmerkmale erfüllt und bezieht ein Organträger, der sowohl wirtschaftliche als auch nichtwirtschaftliche Tätigkeiten im engen Sinne ausübt, Leistungen gegen Entgelt von einer Organgesellschaft, liegt ein nichtsteuerbarer Innenumsatz vor. Für eine Reduzierung der eindeutigen Rechtsfolgenanordnung der Organschaftsregelung auf die Zusammenfassung ausschließlich wirtschaftlicher Tätigkeitsbereiche und eine durch die hoheitliche Leistungsverwendung beim Organträger bedingte, partielle Selbständigkeit der Organgesellschaft findet sich keine Rechtsgrundlage. In der Konsequenz schließt sich der BFH dem EuGH an. Der umsatzsteuerliche Organkreis erstreckt sich damit auch auf die für nicht wirtschaftliche Tätigkeiten im engeren Sinne (hoheitliche Tätigkeiten) verwendeten Leistungen, die eine juristische Personal als Organträger von einer Organgesellschaft bezieht.
Abschn. 2.8 Abs. 2 Satz 2 UStAE bedarf damit der Anpassung. Nach der bisherigen Formulierung im Anwendungserlass können juristische Personen des öffentlichen Rechts nur Organträger sein, wenn und soweit sie unternehmerisch tätig sind. Dieses Verständnis ist überholt.
Der BFH konnte die in den Entscheidungsgründen skizzierte, spiegelbildliche Konstellation der Erbringung entgeltlicher Leistungen durch den Organträger an seine Organgesellschaft zur außerunternehmerischen Verwendung mangels Entscheidungserheblichkeit offenlassen. Ob der Gesetzgeber, der im Zusammenhang mit umsatzsteuerrechtlichen Organschaftsfällen verbleibenden Rechtsunsicherheit mit der Einführung eines seit langem geforderten Antragsverfahrens abhelfen wird, bleibt abzuwarten.
Vorinstanzen
EuGH, Urteil vom 11.07.2024, C-184/23, Finanzamt T II
BFH, EuGH-Vorlage vom 26.01.2023, V R 20/22 (V R 40/19)
EuGH, Urteil vom 01.12.2022, C-269/20, Finanzamt T
BFH, EuGH-Vorlage v. 07.05.2020, V R 40/19
Niedersächsisches FG, Urteil vom 16.10.2019, 5 K 309/17
Fundstelle
BFH, Urteil vom 29.08.2024, V R 14/24 (V R 20/22, V R 40/19)
Weitere Fundstellen
EuGH, Urteil vom 12.02.2009, C-515/07, VNLTO
EuGH, Urteil vom 15.09.2016, C-400/15, Landkreis Potsdam-Mittelmark
BFH, Urteil vom 20.08.2009, V R 30/06, BStBl. II 2010, 863
