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12.07.2022
Indirekte Steuern/Zoll

BMF: Versagung des Vorsteuerabzugs- und Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen nach § 25f UStG

Das BMF gibt seine Rechtsauffassung zur Auslegung des § 25f UStG bekannt.

Hintergrund

Mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (JStG 2019) wurde § 25f UStG mit Wirkung zum 1. Januar 2020 eingeführt. Die Vorschrift dient nach dem Willen des Gesetzgebers der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges, v.a. in Form von Ketten- oder Karussellgeschäften (BT-Drs. 19/13436, S. 161). Mit der Einführung des § 25f UStG beabsichtigte der Gesetzgeber seine Pflicht zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung mit dem Ziel der Sicherung des Steueraufkommens der EU aus Art. 325 AEUV zu erfüllen und das europäische Richterrecht zu kodifizieren.

Nach der Missbrauchsrechtsprechung des EuGH ist einem Steuerpflichtigen der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn er selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war (EuGH, Urt. v. 07.06.2006, C-439/04 und C-440/04, Kittel und Recolta Recycling). In Missbrauchsfällen versagt der EuGH zudem die Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen (EuGH, Urt. v. 07.12.2010, C-285/09, R; EuGH, Urt. v. 06.09.2012, C-273/11, Mecsek-Gabona). Neben der objektiven Voraussetzung der Beteiligung an einer betrugsbehafteten Leistungskette setzt der Rechtsverlust in subjektiver Hinsicht „wissen“ oder „wissen müssen“ vom Mehrwertsteuerbetrug voraus. Die Beweislast für das subjektive Element trägt die Finanzverwaltung (EuGH, Urt. v. 21.06.2012, C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid; EuGH, Urt. v. 13.03.2014, C-107/13, FIRIN).

§ 25f UStG normiert die Versagung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen sowie den Verlust des Vorsteuerabzugs gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 3 (innergemeinschaftlicher Erwerb) und Nr. 4 (Reverse Charge) sowie die Nichtanwendung der Sondertatbestände nach § 25b Abs. 3 und Abs. 5 UStG beim innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft. Voraussetzung für die Versagung ist, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seiner Leistung oder seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Umsatzsteuerhinterziehung oder in die Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs gem. § 370 AO oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens gem. §§ 26b und 26c UStG einbezogen war.

Seit der Einführung des § 25f UStG bestehen im Bereich der Wissenszurechnung Rechtsunsicherheiten. Aufgrund fehlender Konkretisierung durch den EuGH ist bislang insbesondere ungeklärt, welche Anforderungen an die fahrlässige Unkenntnis zu stellen sind.

Verwaltungsanweisung

Mit Schreiben vom 15. Juni 2022 nimmt das BMF zu § 25f UStG Stellung. Der Umsatzsteuer-Anwendungserlass wurde entsprechend ergänzt.

Feststellungs- und Beweislast (Abschn. 25f.1. Abs. 1, Abs. 2, Abs. 6 UStAE)

Das BMF stellt klar, dass der den Vorsteuerabzug bzw. die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen begehrende Unternehmer die Feststellungslast für das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen trägt.

Das Finanzamt trägt die Beweislast, dass der objektive und subjektive Tatbestand des § 370 AO, §§ 26a oder 26c UStG auf mindestens einer Umsatzstufe innerhalb der Leistungskette erfüllt sind und der Unternehmer dies zum Zeitpunkt der Leistungserbringung bzw. des Leistungsbezugs wusste oder hätte wissen müssen. Dabei ist das Finanzamt an die Entscheidungen im straf- und bußgeldrechtlichen Verfahren nicht gebunden.

Wissenszurechnung (Abschn. 25f.1. Abs. 2 Satz 2 UStAE)

Dem Unternehmer ist die Kenntnis oder die fahrlässige Unkenntnis seiner Angestellten analog § 166 BGB zuzurechnen.

Reichweite der Leistungskette (Abschn. 25f.1. Abs. 2 Satz 3 UStAE)

Die Feststellung einer Steuerhinterziehung kann jeden Umsatz auf sämtlichen vor- und nachgelagerten Umsatzstufen innerhalb der Leistungskette umfassen.

Sorgfalts- und Dokumentationspflichten (Abschn. 25f.1. Abs. 4 UStAE)

Ein Unternehmer genießt grundsätzlich Vertrauensschutz, wenn er alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in eine Umsatzsteuerhinterziehung und nicht in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens einbezogen sind. Sind für den Unternehmer jedoch Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten erkennbar, muss er geeignete Maßnahmen ergreifen (z.B. Auskünfte einholen) und dies dokumentieren. Das gilt sowohl bei der Aufnahme neuer als auch bei bestehenden Geschäftsbeziehungen. Unterlässt der Unternehmer geeignete Maßnahmen trotz bestehender Zweifel und geht er eine Geschäftsbeziehung ein oder führt er diese fort, geht die Finanzverwaltung von der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis des Unternehmers aus.

Unregelmäßigkeiten (Abschn. 25f.1. Abs. 5 UStAE)

Der neue Abschn. 25f.1. Abs. 5 UStAE enthält eine nicht abschließende Aufzählung der objektiven Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten: 

  • Der Unternehmer wird durch einen Dritten aufgefordert, sich an Umsätzen zu beteiligen, bei denen der Dritte die Bedingungen vorgibt.
  • Die Finanzierung des Wareneinkaufs ist erst nach erfolgtem Warenverkauf möglich.
  • Es werden Mehrfachdurchläufe von Waren festgestellt (Karussellgeschäft).
  • Der Preis der angebotenen Waren bzw. Leistungen liegt unter dem Marktpreis.
  • Es erfolgen branchenunübliche Barzahlungen.
  • Die Ansprechpartner wechseln häufig.
  • Den Beteiligten fehlt die berufliche Erfahrung und Branchenkenntnis.
  • Die Beteiligten verlegen wiederholt ihren Unternehmenssitz.
  • Der tatsächlich ausgeübte Gesellschaftszweck oder die Geschäftsadresse stimmen nicht mit den Angaben im Handelsregister überein.
  • Dem Unternehmer wird eine branchenunübliche Warenmenge oder ein unüblicher Leistungsumfang angeboten.
  • Die Beteiligten verfügen über keine ausreichenden Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme.
  • Es liegen ungewöhnliche Leistungsbedingungen vor.
  • Der Unternehmer kann über allgemein zugängliche Informationsquellen feststellen, dass die Warenanlieferung an die vom Abnehmer angegebene Lieferadresse unmöglich ist.

Innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte (Abschn. 25f.2. UStAE)

Sind die Voraussetzungen des § 25f Abs. 1 UStG erfüllt, entfallen die Vereinfachungen für innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte nach § 25b Abs. 3 und 5 UStG. 

Betroffene Normen

​§ 25f UStG

Anmerkung

Das vorliegende BMF-Schreiben liefert Anhaltspunkte dafür, nach welchen Kriterien die Finanzverwaltung die Vorschrift des § 25f UStG anwendet. Für den Rechtsanwender bedeutet das, dass nicht alle Unsicherheiten, die in der Praxis im Bereich der Wissenszurechnung bestehen, ausgeräumt sind und die Ergreifung von präventiven Maßnahmen unerlässlich ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss der Unternehmer alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die von ihm vorgenommene innergemeinschaftliche Lieferung nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (EuGH, Urt. v. 27.09.2007, C-409/04, Teleos). Allerdings darf die Steuerverwaltung vom Steuerpflichtigen nicht die Durchführung komplexer und umfassender Überprüfungen seines Lieferers verlangen und ihm faktisch die ihr obliegende Kontrolle übertragen (EuGH, Beschl. v. 03.09.2020, C-610/19, Vikingo Fővállalkozó). Häufen sich die Indizien für atypische Gestaltungen, so erhöhen sich die Sorgfaltspflichten. Hier bietet Abschn. 25f.1. Abs. 5 UStAE Anhaltspunkte, welche Anforderungen an den Sorgfaltsmaßstab im Hinblick auf das subjektive Tatbestandsmerkmal des „wissen müssens“ i.S.d. § 25f Abs. 1 UStG zu stellen sind. Soweit das BMF die Erbringung von Leistungen durch einen oder an einen nicht an dem Umsatz unmittelbar beteiligten Unternehmer als Indiz für Unregelmäßigkeiten genügen lässt, ist die Verhältnismäßigkeit zu prüfen, da die Konstellation jedes Reihengeschäft betrifft. Auch kann allein die Vereinbarung von Preisen unter dem Marktpreis keine erhöhte Sorgfaltspflicht begründen (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.11.2014, 7 V 7295/14). Die Vereinbarung niedriger Preise führt jedoch zu erhöhten Sorgfaltspflichten, wenn ersichtlich ist, dass der Lieferant mit diesem Geschäft Verluste machen wird und weitere Indizien für einen Umsatzsteuerbetrug vorliegen (FG Hamburg, Urt. v. 16.01.2018, 6 V 120/17).

Fundstelle

​BMF, Schreiben vom 15. Juni 2022, III C 5 - S 7429-b/21/10003 :001​

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
Partner

ugruenwald@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 258

Dr. Diana-C. Kurtz
Senior Manager

dkurtz@deloitte.de
Tel.: +49 89 29036 8025

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