EuGH: Anwendbarkeit der Steuerbefreiung für Finanztransaktionen auf die Vermittlung von Garantieverlängerungen
Stellen Umsätze betreffend die Vermittlung des Verkaufs von Garantieverlängerungen für Elektrogeräte durch einen Steuerpflichtigen, dessen Haupttätigkeit im Verkauf von Elektrogeräten an Verbraucher besteht, für den Ausschluss der entsprechenden Beträge von der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs Finanzumsätze dar bzw. sind sie diesen gleichzustellen?
Sachverhalt
Rádio Popular (RP) ist eine Aktiengesellschaft, die elektrische Haushaltsgeräte und andere Computer- und Telekommunikationsgeräte vertreibt. Beim Verkauf dieser Artikel bot RP den Kunden eine Garantieverlängerung gegen Zahlung eines Aufpreises an. Dabei vermittelte RP den Verkauf der Versicherungsprodukte durch ein Versicherungsunternehmen. RP behandelte die Vermittlung der Garantieverlängerungen als steuerfreien Versicherungsumsatz, zog jedoch für ihre gesamte Tätigkeit die entrichtete Vorsteuer in voller Höhe ab.
Die portugiesische Steuerbehörde vertrat die Auffassung, dass RP sowohl steuerpflichtige als auch steuerfreie Leistungen erbrachte und teilte die Vorsteuerbeträge entsprechend auf. Das vorlegende, Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten zweifelte daran, dass der Verkauf der Garantieverlängerungen durch RP Finanzumsätze darstellte und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor.
Entscheidung des EuGH
Bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs ist der Betrag der Umsätze, die ein Steuerpflichtiger im Rahmen seiner Haupttätigkeit, die im Verkauf von Haushaltsgeräten sowie Informatik- und Telekommunikationsartikeln an Verbraucher besteht, mit der Vermittlung des Verkaufs von Garantieverlängerungen erzielt, nicht außer Acht zu lassen. Der Betrag dieser Umsätze darf im Nenner des Bruchs für die Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs daher nicht unberücksichtigt bleiben.
Anmerkung
Nach dem EuGH sind die Umsätze der RP im Hinblick auf die Vermittlung des Verkaufs von Garantieverlängerungen als zu Versicherungsumsätzen „dazugehörige Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und –vertretern erbracht werden“ (Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL) anzusehen. Unter Bezugnahme auf die Rechtssache Aspiro (EuGH, Urteil vom 17.03.2016, Aspiro, C‑40/15) führt der EuGH aus, dass das Merkmal „dazugehörig“ weit auszulegen ist, so dass sämtliche Dienstleistungen erfasst werden, die zur Bewirkung von Versicherungsumsätzen beitragen. Des Weiteren müssen die Dienstleistungen von einem Versicherungsmakler oder –vertreter erbracht werden. Das ist der Fall, wenn der Leistende mit dem Versicherer und dem Versicherten zumindest mittelbar in Verbindung steht (EuGH, Urteil vom 25.03.2021, Q‑GmbH, C‑907/19, vgl. Deloitte Tax-News). Wesentlich für die Versicherungsvermittlung ist die Kundensuche und die Herstellung des Kontakts zwischen den Kunden und dem Versicherer zum Abschluss von Versicherungsverträgen. RP, die einerseits Beziehungen zum Versicherer und andererseits zum Versicherten hat, erbringt mit der Vermittlung der Garantieverlängerung daher einen steuerfreien Versicherungsvermittlungsumsatz. Diese Umsätze fallen jedoch nicht unter die Abweichung der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs (Art. 174 Abs. 2 MwStSystRL). Nach Wortlaut und Systematik differenziert die MwStSystRL ausdrücklich zwischen Versicherungsumsätzen i.S.d Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL und Finanzumsätzen i.S.d. Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g MwStSystRL. Zwar verbietet der Grundsatz der steuerlichen Neutralität gleichartige, im Wettbewerb stehende Umsätze unterschiedlich zu behandeln. Der EuGH verneint jedoch bereits das Vorliegen gleichartiger Umsätze. Die Vorsteuerbeträge waren daher in einen abziehbaren und nicht abziehbaren Betrag aufzuteilen.
Das Urteil bestätigt die bisherige Rechtsprechung des EuGH und ist relevant für sämtliche Händler, die Garantien vermitteln. Für die umsatz- und versicherungssteuerrechtliche Behandlung von Garantien ist aufgrund der Vielzahl möglicher Fallkonstellationen stets die konkrete vertragliche Ausgestaltung maßgeblich. Im Rahmen der verschiedenen Geschäftsmodelle oder geplanten Umstellungen, sollten Unternehmen insbesondere die beiden aktuellen BMF-Schreiben vom 11.05.2021 und 18.06.2021 beachtet. Denn die Finanzverwaltung hat ihre Rechtsauffassung zur umsatz- und versicherungsteuerrechtlichen Beurteilung von Garantiezusagen geändert (vgl. Deloitte Tax-News).
Betroffene Normen
Art. 135 Abs.1 Buchst. a MwStSystRL; Art. 174 Abs. 2 MwStSystRL
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 08.07.2021, C‑695/19