EuGH: Anwendungsbereich der Mindestbemessungsgrundlage für konzerninterne Leistungen
Der EuGH hat sich zur Bestimmung des Werts einer Dienstleistung, die eine Muttergesellschaft im Rahmen einer aktiven Verwaltung
ihrer Tochtergesellschaft erbringt, geäußert.
EuGH, Urteil vom 03.07.2025, C-808/23, Högkullen
Hintergrund
Das Thema Verrechnungspreise und Mehrwertsteuer hat den EuGH wiederholt beschäftigt.
Ende letzten Jahres erging zunächst die Entscheidung in der Rs. Weatherford Atlas Gip (EuGH Urt. v. 12.12.2024, C-527/23) zum Vorsteuerabzug beim konzerninternen Leistungsbezug. Darin bestätigte der EuGH seine bisherige Rechtsprechung, wonach die wirtschaftliche Rentabilität des Eingangsumsatzes keine Ausübungsvoraussetzung für das Vorsteuerabzugsrecht darstellt (vgl. EuGH Urt. v. 25.11.2021, C-334/20, Amper Metal). Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen, der MwSt unterliegenden Tätigkeiten unabhängig von deren Zweck und Ergebnis (siehe auch EuGH Urt. v. 14.02.1985, C-268/83, Rompelman; Urt. v. 25.11.2021, C-334/20, Amper Metal; Urt. v. 07.03.2024, C-341/22, Feudi di San Gregorio Aziende Agricole, m.w.N.). Zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Rs. Weatherford Atlas Gip war der vorliegende Fall Högkullen bereits anhängig (siehe Deloitte Tax News zur Stellungnahme der GAin; das gilt auch für die Verfahren Arcomet Towercranes, EuGH-Vorlage vom 28.11.2023, C-726/23 sowie Stellantis Portugal, EuGH-Vorlage vom 16.09.2024, C-603/24).
In dem schwedischen Fall geht es u.a. um die Frage, ob die gesamten Kosten einer Muttergesellschaft in die (Mindest-) Bemessungsgrundlage für konzerninterne Leistungen einzubeziehen sind, wenn die Muttergesellschaft den vollen Vorsteuerabzug aus (stpfl.) Eingangsleistungen vorgenommen hat, obwohl die von ihr beherrschten Tochtergesellschaften nach außen teilweise steuerfreie Leistungen erbrachten. Mit anderen Worten: Bestimmt sich der Normalwert für die Leistungen einer Holding an ihre Tochtergesellschaften nach dem Vergleichspreis (Art. 72 Abs. 1 MwStSystRL) oder nach den Ausgaben der Holding (Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 MwStSystRL)?
Zur Verhinderung von Steuerhinterziehung oder -umgehungen können die Mitgliedstaaten die Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen nach dem fiktiven Wert besteuern (sog. Normalwert, Mindest-Bemessungsgrundlage, Art. 80 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL). Der Normalwert ist dabei der gesamte Betrag, den ein Empfänger auf derselben Absatzstufe für eine vergleichbare Leistung zahlen müsste (Art. 72 Abs. 1 MwStSystRL). Kann keine vergleichbare Leistung ermittelt werden, ist auf die Ausgaben des Steuerpflichtigen abzustellen (Art. 72 Abs. 2 MwStSystRL). Durch Anpassung der Bemessungsgrundlage der weitergegebenen Leistung auf einen Mindestwert in Höhe der entstandenen Kosten sollen missbräuchliche Vorsteuergestaltungen verhindert werden. Anders als Schweden hat Deutschland von dieser Möglichkeit nur im Rahmen der in § 10 Abs. 4, 5 UStG geregelten Mindestbemessungsgrundlage Gebrauch gemacht.
Sachverhalt
Die Klägerin (Högkullen AB) ist die Muttergesellschaft (im Folgenden: Holding) eines schwedischen Konzerns. Sie erbrachte konzerninterne Leistungen an ihre Tochtergesellschaften im Bereich der Unternehmensführung, Finanzierung, Immobilien-, IT- und Personalverwaltung (steuerpflichtige Leistungen). Die Tochtergesellschaften führten teilweise steuerfreie Umsätze aus, die den Vorsteuerabzug ausschlossen. Die Klägerin stellte den Tochtergesellschaften ihre Leistungen nach der Kostenaufschlagsmethode (Cost-Plus-Methode) in Rechnung. Teil der Bemessungsgrundlage waren alle im Zusammenhang der Leistungserbringung entstandenen Kosten, die den Ausgangsleistungen zugeordnet werden konnten. Bestimmte Kosten, unter anderem die für die eigene Buchführung, die Hauptversammlung, die Kapitalbeschaffung und die Börsenzulassung, blieben dabei unberücksichtigt. Auf dieser Basis stellte die Holding den Tochtergesellschaften im Streitjahr ca. 2,3 Mio. schwedische Kronen in Rechnung. Die Gesamtaufwendungen der Holding betrugen ca. 28 Mio. schwedische Kronen, wovon etwa die Hälfte aus vorsteuerbelasteten Eingangsleistungen resultierte.
Das schwedische Finanzamt vertrat die Auffassung, dass es sich bei den Leistungen der Holding an die Tochtergesellschaften um eine einheitliche sonstige Leistung handelt, die zu einem Preis unter dem Normalwert erbracht wurde und für die es keine Entsprechung auf dem freien Markt gibt. Der Normalwert könne nicht anhand eines Vergleichspreises, sondern nur durch den Ansatz der Gesamtkosten ermittelt werden. Für die Ermittlung der Mindestbemessungsgrundlage für diese Leistung legte die Finanzverwaltung daher sämtliche Aufwendungen der Holding (mithin ca. 28 Mio. schwedische Kronen) zu Grunde (Erhöhung der Bemessungsgrundlage).
Vorlagefragen
Fraglich war, ob eine einheitliche Leistung der Holding vorliegt, so dass ein Rückgriff auf die Vergleichspreise für die Ermittlung der Mindestbemessungsgrundlage ausgeschlossen ist. Sofern das der Fall ist, sollte der EuGH dazu Stellung beziehen, ob sämtliche Kosten, einschließlich Kapitalbeschaffungs- und Aktionärskosten, für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen sind.
Entscheidung
Die Finanzverwaltung darf die Dienstleistungen, die eine Holding im Rahmen der aktiven Verwaltung an ihre Tochtergesellschaften erbringt, nicht in allen Fällen als einheitliche Leistung behandeln. Die zweite Vorlagefrage, die das Vorliegen einer einheitlichen Leistung voraussetzt, musste der EuGH wegen der Annahme eigenständiger Einzelleistungen nicht beantworten.
Begründung
In der Beurteilung folgt der EuGH der Generalanwältin und verneint das Vorliegen einer einheitlichen Leistung. Zur Abgrenzung zwischen einheitlicher Leistung und mehreren Einzelleistungen bestätigt der EuGH seine allgemeinen Grundsätze (vgl. EuGH, Urt. v. 18.04.2024, C-89/23, Companhia União de Crédito Popular; EuGH, Urt. v. 17.10.2024, C-60/23, Digital Charging Solutions). Danach ist grundsätzlich jeder Umsatz eine selbständige Leistung. Ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang darf nicht künstlich aufgespalten werden. Unselbständige Nebenleistungen liegen vor, wenn sie aus Sicht des Durchschnittverbrauchers keinen eigenständigen Zweck erfüllen, sondern das Mittel sind, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Ob ein einheitlicher Preis berechnet wird, ist für das Vorliegen eines einheitlichen wirtschaftlichen Vorganges unbeachtlich (vgl. EuGH, Urt. v. 25.02.1999, C-349/96, CPP; EuGH, Urt. v. 02.12.2010, C‑276/09, Everything Everywhere, C-276/09). Die betroffenen Leistungen weisen einen eigenen Charakter auf. Auf die Berechnung eines Gesamtpreises kommt es für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung nicht an. Andernfalls könnte der Konzern die mehrwertsteuerrechtliche Beurteilung der Leistungen durch die Vereinbarung entsprechender Zahlungsmodalitäten beeinflussen. Die Leistungen der Holding begründen somit keine einheitliche Leistung, sondern stellen mehrere Einzelleistungen dar.
Betroffene Normen
Art. 80 MwStSystRL, Art. 72 MwStSystRL, § 10 Abs. 4, Abs. 5 UStG
Anmerkung
Der Fall verdeutlicht die Relevanz der Abgrenzung zwischen Leistungseinheit und Leistungsmehrheit im Zusammenhang mit konzerninternen Leistungen und beinhaltet eine in der Praxis häufig vorkommende Sachverhaltskonstellation. Die Mutter erbringt an die Töchter entgeltliche Leistungen, berücksichtigt bei der Entgeltberechnung jedoch nicht sämtliche ihr entstandenen Kosten. Die Töchter ihrerseits erbringen (teilweise) steuerfreie Leistungen, die den Vorsteuerabzug ausschließen. Übertragen auf einen Einzelunternehmer, würde diese Konstellation zu keiner Diskussion führen, denn die steuerfreien Umsätze beschränkten den Vorsteuerabzug des Einzelunternehmers anteilig. In den „Holding“-Fallkonstellationen versucht die Finanzverwaltung hingegen, zu einer höheren Bemessungsgrundlage oder zu einem gänzlichen Vorsteuerausschluss bei der Holding zu gelangen, um insbesondere missbräuchliche Vorsteuergestaltungen zu verhindern. Voraussetzung ist, dass eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt. Das ist der Fall, wenn die Holding steuerpflichtige Leistungen bezieht, die Tochtergesellschaft(en) nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind und die Holding die eingekauften Leistungen zu einem Entgelt unter dem Einkaufspreis an die Tochtergesellschaft(en) weiterverkauft. In diesen Konstellationen sind jedoch regelmäßig unternehmerische Gründe für die Höhe des vereinbarten Entgelts ursächlich. Kommt es hingegen zur Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage stellt der EuGH klar, dass diese für jede einzelne Leistung der Holding vorrangig auf Grundlage der Vergleichspreise auf dem freien Markt zu bestimmten ist und es sich nicht um eine einheitliche Leistung eigener Art handelt. Der Umstand, dass die Tochtergesellschaften einen Gesamtpreis an die Holding für deren Leistungen zahlt ist für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung nicht ausreichend. Die Zahlungsmodalitäten können die umsatzsteuerliche Beurteilung, ob eine einheitliche Leistung oder mehrere getrennte Leistungen vorliegen, nicht beeinflussen. Ebenso wenig zeichnen sich konzerninterne Leistungen allein durch ihre fehlende Entsprechung am Markt aus. Auch die Kombination derartiger Leistungen ändert nichts daran, dass der individuelle Charakter der Einzelleistungen weiterhin erkennbar ist. Festzuhalten bleibt, dass selbst bei Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage getrennt für jede Dienstleistung (wie bspw. vorliegend IT, Buchhaltung, Steuerberatung usw.) ein marktübliches Entgelt zu ermitteln ist und der Holding, trotz der nicht vollständigen Kostenweitergabe, der volle Vorsteuerabzug zustehen kann.
Zur Auslegung der Regelungen der MwStSystRL im Zusammenhang mit Konzernstrukturen und Verrechnungspreisen sind aktuell weitere Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH anhängig. Im Fall Arcomet Towercranes (EuGH-Vorlage vom 28.11.2023, C-726/23, Arcomet Towercranes) ist u.a. fraglich, ob ein nach der Margenmethode der OECD-Verrechnungspreisleitlinien abzuschöpfender Betrag ein Entgelt für eine Leistung darstellt. Im Fall Stellantis Portugal (EuGH-Vorlage vom 16.09.2024, C-603/24, Stellantis Portugal) geht es im Wesentlichen darum, ob eine Dienstleistung gegen Entgelt die Anpassung eines Verkaufspreises zur Erzielung einer Mindestgewinnspanne umfasst, wenn die Anpassung durch eine Gutschrift verbrieft wurde.
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 03.07.2025, C-808/23, Högkullen
EuGH, Schlussanträge vom 06.03.2025, C-808/23, Högkullen
