EuGH: Betrieb von Parkplätzen auf privaten Grundstücken
Stellen Gebühren, die eine mit dem Betrieb privater Parkplätze betraute Gesellschaft des Privatrechts in dem Fall erhebt, dass Kraftfahrer die allgemeinen Nutzungsbedingungen für diese Parkplätze nicht beachten, eine Gegenleistung für eine Dienstleistung dar, die gegen Entgelt erbracht wird?
Hintergrund
Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL unterliegen Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaates gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer. Eine Dienstleistung wird gegen Entgelt erbracht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für eine dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet. Das ist der Fall, wenn zwischen den erbrachten Dienstleistungen und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (siehe u.a. EuGH Rs. C-21/20, Balgarska natsionalna televizia, Rz. 31).
Die Beantwortung der Frage, wann ein solcher unmittelbarer Zusammenhang „noch“ vorliegt und ein Leistungsaustausch anzunehmen ist, und wann es sich „nur“ um eine Entschädigung handelt, kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Für die Beurteilung unerheblich sind nationale zivilrechtliche Maßstäbe. So beurteilte der EuGH ein Angeld, das bei Stornierung einer Beherbergungsleistung einbehalten wurde, als pauschalierte Entschädigung zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts des Gastes entstandenen Schadens (EuGH Rs. C-277/05, Société thermale d'Eugénie-les-Bains). Das Hotel konnte die vom Gast gebuchte Leistung nicht erbringen und der Gast hat die Leistung nicht in Anspruch genommen. Mangels Leistung kann ungeachtet einer Geldzahlung kein Leistungsaustausch vorliegen.
Demgegenüber ist ein Leistungsaustausch zu bejahen, wenn an Fluggäste ausgegebene Flugscheine nicht benutzt werden und für diese keine Erstattung erfolgt (EuGH Rs. C-250/14, Air France KLM). Eine Leistung gegen Entgelt liegt auch in den Fällen vor, in denen Ausgleichszahlungen bei vorzeitiger Vertragsbeendigung in Höhe der andernfalls geschuldeten Entgelte (EuGH Rs. C-295/17, MEO) geleistet werden oder eine Entschädigungszahlung im Fall der Nichteinhaltung der vertraglichen Mindestbindungsfrist durch Kunden erfolgt (EuGH Rs. C-43/19, Vodafone). Ob hingegen ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer Parkdienstleistung und der Erhebung einer neben dem Parkentgelt zusätzlichen „Gebühr“ im Fall der vertragswidrigen Nutzung besteht, war Gegenstand einer dänischen Vorlagefrage.
Sachverhalt
Die Gesellschaft Apcoa betreibt Parkplätze auf Privatgrundstücken im Einvernehmen mit deren Eigentümern. Apcoa legt die Bedingungen für die Nutzungen der Parkplätze fest und erhebt, wenn ein Kraftfahrer, der sein Fahrzeug auf einem von Apcoa betriebenen Parkplatz parkt und gegen die Nutzungsbedingungen verstößt, eine „Kontrollgebühr“ in Höhe von ca. 70 EUR. Auf die Erhebung, die Höhe der Kontrollgebühr und den Katalog der vertragswidrigen Nutzung wird auf Schildern, die an den Einfahrten zu den Parkplätzen stehen, separat hingewiesen. Streitig ist, ob es sich bei der Kontrollgebühr um ein Entgelt für eine erbrachte Dienstleistung handelt.
Entscheidung
Die Kontrollgebühren, die eine mit dem Betrieb privater Parkplätze betraute Gesellschaft des Privatrechts erhebt, wenn Kraftfahrer die allgemeinen Nutzungsbedingungen für diese Parkplätze nicht beachten, sind als Gegenleistung für die Parkdienstleistung anzusehen, die gegen Entgelt erbracht wird und als solche der Mehrwertsteuer unterliegt.
Anmerkung
Der EuGH folgt den Schlussanträgen des Generalanwalts, der insbesondere in Abgrenzung zur Entscheidung Société thermale d'Eugénie-les-Bains (s.o.), auf das nach außen, durch schlüssiges, tatsächliches Verhalten der Parteien erklärte Handeln abstellt. Die zusätzlich zum Parkentgelt von Apcoa erhobenen Gebühren sind Teil der Gegenleistung für die dem Kunden angebotene Möglichkeit, sein Fahrzeug zu parken. Diese Leistung von Apcoa wird unabhängig davon erbracht, ob die Nutzung durch den Kunden vertragswidrig erfolgt. Mit der Einfahrt auf den Parkplatz akzeptiert der Kunde die Nutzungsbedingungen und damit auch die gegebenenfalls anfallende Kontrollgebühr. Der zwischen der erbrachten Dienstleistung (Parkleistung) und dem erhaltenen Gegenwert (Erhebung der Kontrollgebühren im Fall der vertragswidrigen Nutzung) notwendige „unmittelbare Zusammenhang“ ist weit auszulegen und liegt auch vor, „…wenn die eine Leistung nur unter der Bedingung erbracht wird, dass auch die andere erbracht wird, und umgekehrt“ (EuGH Rs. C-94/19, San Domenica Vertraria mwN). Ein unmittelbarer Zusammenhang ist daher auch in den Fällen zu bejahen, in denen sich die Leistungen „nur“ bedingen. Vorliegend stellt daher alles, was der Kunde aufwenden muss, Entgelt für die Nutzung des Stellplatzes dar.
Festzuhalten ist, dass ungeachtet einer Geldzahlung kein Leistungsaustausch vorliegen kann, wenn es an einer Leistung mangelt, weil sie nicht erbracht werden konnte. Umsatzsteuerlich ist die gezahlte Entschädigung und womit diese zusammenhängt, irrelevant (siehe EuGH Rs. C-277/05, Société thermale d'Eugénie-les-Bains); wird die Leistung aber wie im vorliegenden Fall erbracht und erfolgt eine Zahlung, um eventuelle Kosten zu decken, besteht zwischen der erbrachten Leistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang. Die Leistung wird gegen Entgelt erbracht. Aus deutscher Sicht führt das dazu, dass insbesondere die umsatzsteuerliche Behandlung von Vertragsstrafen, die bislang als Schadensersatz beurteilt wurden (vgl. Abschn. 1.3. Abs. 3, Abs. 6, Abs. 17 UStAE), überdacht werden muss. Auch eine Wiederbelebung der Diskussion um die umsatzsteuerliche Behandlung von Verzug- und Nutzungszinsen und den Minderwertausgleich bei Leasingverträgen ist nach der vorliegenden Entscheidung nicht auszuschließen.
Betroffene Normen
Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 9 Abs. 1; Art. 14 Abs. 1; Art. 24 Abs. 1 , 25, aRt. 135 Abs. 1 Buchst I und Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 20.01.2022, C-90/20