EuGH: E-Charging im Mehrpersonenverhältnis
Kann ein Kommissionsgeschäft zwischen Ladeinfrastrukturbetreiber, E-Mobilitätsbetreiber und Nutzer auch dann vorliegen, wenn nur der Nutzer über die Menge, den Zeitpunkt und den Ort des Ladevorgangs entscheidet?
Hintergrund
Das Aufladen von Elektrofahrzeugen vollzieht sich in der Regel in einem Mehrpersonenverhältnis, an dem Ladepunktbetreiber (Charge Point Operator, CPO), E-Mobilitätsbetreiber (E-Mobility Provider, eMP) und Nutzer (E-Mobility User, EMU) beteiligt sind. Beim E-Charging wird der Nutzer regelmäßig durch eine von einem E-Mobilitätsbetreiber ausgestellte Karte bzw. App gegenüber einem Ladesäulenbetreiber zum Strombezug berechtigt. Der Ladevorgang wirft zahlreiche umsatzsteuerrechtliche Fragen auf, die sich u.a. auf die Abgrenzung zwischen komplexer Leistung und selbständigen Leistungen, die Bestimmung der Leistungsart (Kreditgewährung oder Stromlieferung) sowie die Identifizierung von Lieferketten erstrecken (vgl. MwSt-Ausschuss, Arbeitspapier Nr. 969, taxud.c.1(2019)3532296; MwSt-Ausschuss, Arbeitspapier Nr. 1012, taxud.c.1(2021)2099876). Die Unterscheidung von Lieferung und sonstiger Leistung beim E-Charging ist von erheblicher Relevanz, da sich der Lieferort für Elektrizität nach § 3g UStG bestimmt. Bei einer Elektrizitätslieferung an einen Wiederverkäufer gilt als Lieferort der Ort, an dem der Abnehmer sein Unternehmen betreibt (§ 3g Abs. 1 UStG). Wird die Elektrizität an keinen Wiederverkäufer geliefert, ist der Verbrauchsort oder Empfängerort maßgeblich (§ 3g Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStG). Bei einem inländischen Leistungsort kommt die an die Wiederverkäufereigenschaft anknüpfende Steuerschuldumkehr nach § 13b Abs. 2 Nr. 5 UStG i.V.m. § 13b Abs. 5 UStG in Betracht.
Zum E-Charging im Zweipersonenverhältnis hat der EuGH in einem polnischen Vorabentscheidungsverfahren bereits entschieden, dass eine komplexe, einheitliche Leistung mit prägendem Lieferelement in Gestalt der Stromlieferung vorliegt, die weitere Dienstleistungselemente, einschließlich der Bereitstellung der Ladevorrichtungen und IT-Anwendungen umfasst (EuGH, Urteil vom 20.04.2023, C-282/22, Dyrektor Krajowej Informacji Skarbowej, vgl. Deloitte Tax News). Die Finanzverwaltung hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen (Abschn. 3.10 Abs. 6 Nr. 19 UStAE).
Hingegen war die Beurteilung des E-Charging im Dreipersonenverhältnis bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Während der EuGH im Fall Auto Lease Holland (EuGH, Urteil vom 06.02.2003, C-185/01) im Zusammenhang mit Tankkarten für fossile Brennstoffe in einer Leasingkonstellation von einem steuerfreien Finanzumsatz ausging und im Fall Vega International (EuGH, Urteil vom 15.05.2019, C-235/18) ebenfalls einen Kreditmechanismus annahm, urteilte er in einem aktuellen, schwedischen Vorabentscheidungsverfahren zum E-Charging in einer Dreipersonenkonstellation.
Sachverhalt
Die Klägerin ist ein im Inland ansässiger E-Mobility Provider. Sie gewährt Nutzern von E-Fahrzeugen Zugang zur Ladeinfrastruktur in Schweden. Die Ladestationen werden von Dritten betrieben. Die Betreiber stehen in vertraglichen Beziehungen zur Klägerin, nicht jedoch zu den Nutzern. Die Klägerin stellt den Nutzern eine App mit Informationen über Preise, Standorte und Verfügbarkeiten der Ladestationen zur Verfügung. Zudem stellt sie Nutzern Karten bzw. eine App zur Authentifizierung an den Ladesäulen bereit. Der Ladepunktbetreiber fakturiert monatlich gegenüber der Klägerin. Die Klägerin stellt den jeweiligen Nutzern Rechnungen über die monatlich gelieferte Strommenge aus. Des Weiteren stellt sie den Nutzern einen von der tatsächlichen Nutzung der Ladestationen unabhängigen Pauschalbetrag für die Gewährung des Zugangs zum Ladenetzwerk in Rechnung. Das vorlegende schwedische Gericht fragte den EuGH danach, ob das Aufladen eines E-Fahrzeugs an einer Ladestation eine Lieferung darstellt. Zudem sollte der EuGH klären, ob der Ladepunktbetreiber Elektrizität an den E-Mobilitätsbetreiber und der E-Mobilitätsbetreiber Elektrizität an den Nutzer liefert, wenn nur der Nutzer des E-Fahrzeugs über die Menge, den Zeitpunkt, den Ort der Aufladung sowie die Art der Verwendung der Elektrizität entscheiden kann.
EuGH-Entscheidung
Die Übertragung von Strom zum Aufladen eines E-Fahrzeugs an einer Ladestation ist eine Lieferung, da Elektrizität einem körperlichen Gegenstand gleichgestellt ist. Die Voraussetzungen des Kommissionsgeschäfts, für das die juristische Fiktion zweier gleichartiger Lieferungen charakteristisch ist, sind erfüllt.
Den Ausführungen der Generalanwältin folgend, bejahte der EuGH die für das Kommissionsmodell maßgeblichen Merkmale. Die Klägerin handelte im eigenen Namen, aber für Rechnung des Nutzers. Die Gleichartigkeit der Elektrizitätslieferungen im Kommissionsmodell ist selbst dann anzunehmen, wenn der E-Mobilitätsbetreiber nicht dazu befähigt wird, über die Menge, den Zeitpunkt und den Ort der Aufladung und die Verwendung zu entscheiden.
Im Hinblick auf zusätzlichen Dienstleistungselemente ist die Frage, ob unselbständige Nebenleistungen vorliegen, vom vorlegenden Gericht zu beurteilen. Für die Einordnung der Dienstleistungen als selbständige Leistungen spricht das monatliche, von der Anzahl der Ladevorgänge unabhängige Pauschalentgelt, das der E-Mobilitätsbetreiber dem Kunden in Rechnung stellte.
Betroffene Normen
Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL i.V.m. Art. 15 Abs. 1 MwStSystRL (§ 3 Abs. 1 UStG); Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL (§ 3 Abs. 3 UStG)
Anmerkung
Mit dem Urteil bestätigt der EuGH, dass die Übertragung von Elektrizität an eine E-Fahrzeugbatterie eine Lieferung darstellt, da der Nutzer ermächtigt wird, die einem körperlichen Gegenstand ausdrücklich gleichgestellte Elektrizität zu verbrauchen (EuGH, Urteil vom 20.04.2023, Dyrektor Krajowej Informacji Skarbowej, C-282/22, vgl. Deloitte Tax News).
Zudem stellt der EuGH klar, dass in Dreipersonenkonstellationen von einem Kommissiongeschäft auszugehen ist. Die Verschaffung der Verfügungsmacht an der Elektrizität erfolgt fiktiv in der Kette vom Ladepunktbetreiber an den E-Mobilitätsanbieter und sodann von diesem an den Endkunden. Das Rechtsverständnis des EuGH entspricht der überwiegend vertretenen, deutschen Rechtsauffassung. Damit grenzt der EuGH das E-Charging von der Tankkarten-Rechtsprechung ab. Während der EuGH in den Rechtssachen Auto Lease Holland (C-185/01) und Vega International (C-235/18) für Tankkartenumsätze Kreditumsätze bejahte, lag der Rechtssache Digital Charging Solutions eine abweichende Sachverhaltskonstellationen zugrunde. Die Übertragbarkeit der in den Vorabentscheidungsverfahren Auto Lease Holland und Vega International vom EuGH für Tankkartenumsätze formulierten Grundsätze scheiterte an der Ungleichartigkeit der Geschäftsmodelle. Während Tankkarten eine Vorfinanzierungsfunktion zukommen kann, lag die Funktion der Authentifizierungsapp in der Rechtssache Digital Charging Solutions in der Ermöglichung des Ladevorgangs.
Für das Vorliegen einer Kommissionsstruktur ist es unschädlich, wenn die zweite Lieferung in der Kette um zusätzliche Dienstleistungselemente ergänzt wird, wenn ein prägendes Lieferelement auf beiden Stufen der Umsatzkette vorliegt. Der E-Mobilitätsbetreiber stellte im aktuell vom EuGH entschiedenen Fall einen Pauschalbetrag in Rechnung, der von der Anzahl der Ladevorgänge unabhängig war. Im Hinblick auf die Dienstleistungselemente tendierte der EuGH daher zu selbständigen Leistungen.
Mangels entsprechender Vorlagefrage musste sich der EuGH bislang zu der Einstufung des mittleren Unternehmers in der Kette als Wiederverkäufer unter Anwendung des Reverse-Charge Verfahrens nicht äußern.
Für die Übertragbarkeit der Urteilsgrundsätze auf vergleichbare Konstellationen kommt es auf die konkrete Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen an.
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 17.10.2024, C-60/23, Digital Charging Solutions
