EuGH: Entgelt im Fall der Vertragsbeendigung durch den Werkbesteller
Dem vertraglich vereinbarten Leistungsbezugsrecht des Kunden steht als Gegenwert für eine Leistung der vereinbarte Preis gegenüber – unabhängig davon, ob der Kunde das Recht wahrnimmt.
Hintergrund
In dem Verfahren Vodafone Portugal (EuGH Urt. vom 11.06.2020, C-43/19, Vodafone Portugal) entschied der EuGH, dass eine vom Kunden zu leistende Zahlung bei vorzeitiger Vertragsbeendigung eines Dienstleistungsvertrags als Gegenleistung für die Erbringung einer entgeltlichen Dienstleistung anzusehen ist. Das gilt, wenn der Vertrag für die Gewährung vorteilhafter Konditionen die Einhaltung einer Mindestbindungsfrist enthält und die Vertragsbeendigung in der Sphäre des Kunden liegt.
In dem vorliegenden österreichischen Vorabersuchen ging es um die Frage, ob und inwieweit die Vergütung, die ein Unternehmer aufgrund eines gekündigten Bauvertrags erhält, der Umsatzsteuer unterliegt. Die vorzeitige Beendigung des Werkvertrages erfolgte durch den Besteller und aus Gründen, die der Werkunternehmer nicht zu verantworten hatte.
Nach österreichischem Recht hat in diesem Fall der Werkunternehmer, über seine bisher geleistete Arbeit hinaus, einen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Betrages abzüglich der Aufwendungen, die durch die ungerechtfertigte Beendigung des Werkvertrages erspart blieben. Auch nach deutschem Recht hätte der Werkunternehmer einen vergleichbaren Anspruch. Nach § 648 S.2 BGB ist der Werkunternehmer berechtigt die vereinbarte Vergütung zu verlangen; muss sich jedoch anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.
Die deutsche Finanzverwaltung vertritt bislang die Ansicht, dass der Leistungsaustausch mit der Kündigung des Vertrages endet und somit nur der Teil der Vergütung für das bis dahin (teilweise) gelieferte Werk umsatzsteuerliches Entgelt darstellt. Der Anteil der Vergütung, auf die der Werkunternehmer darüber hinaus einen Anspruch hat, stellt dementsprechend kein Entgelt im umsatzsteuerlichen Sinne dar.
Ob die aktuelle deutsche Rechtspraxis nach dem Urteil des EuGH aufrechterhalten bleiben kann, ist fraglich.
Sachverhalt
Im Jahr 2018 schlossen die in Österreich ansässigen Unternehmen rhtb und Parkring einen Werkvertrag ab. Danach sollte rhtb den Bau eines Immobilienprojektes durchführen und dafür von Parkring eine Vergütung inklusive Mehrwertsteuer erhalten. Nachdem rhtb mit den Arbeiten begonnen hatte, wurde der Vertrag von Parkring, aus nicht von rhtb zu vertretenden Gründen, vorzeitig beendet. Ende 2018 forderte rhtb nach österreichischem Recht (§1168 Abs.1 S,1 ABGB) von Parkring die Zahlung des vereinbarten Betrages abzüglich der ersparten Aufwendungen.
Nachdem Parkring der Forderung nicht nachkam, erhob rhtb erstinstanzlich Klage auf Zahlung der nach österreichischem Recht noch zustehenden Vergütung inklusive Mehrwertsteuer. Der Klage wurde erstinstanzlich stattgegeben, während das Berufungsgericht die Klage abwies. Der OGH legte dem EuGH schließlich vor, da er Zweifel hatte, ob der geschuldete Betrag als Entgelt für eine Leistung anzusehen ist, da rhtb seit der Beendigung des Werkvertrags durch Parking nicht mehr verpflichtet sei, die ausstehende Leistung zu erbringen. Es bestehe daher kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erhaltenen Gegenleistung und der vereinbarten Leistung mehr – zu der erbrachten auch nicht.
Entscheidung
Der EuGH entschied, dass auf den gesamten durch den Besteller zu zahlenden Betrag Mehrwertsteuer anfällt. Die Vergütung steht in ihrer Gesamtheit in unmittelbarem Zusammenhang mit der vom Dienstleister erbrachten Leistung. Diese Leistung liegt, neben der Verschaffung der Verfügungsmacht an dem bereits teilweise errichteten Werk, darin, dass der Dienstleister rhtb den Besteller in die Lage versetzt hat, die vertraglich geschuldete Leistung abzurufen. Unerheblich ist, dass es aufgrund der vorzeitigen Kündigung durch den Besteller hierzu nicht mehr kam. Für die Annahme einer steuerbaren Leistung reicht die Möglichkeit aus, das vollständig errichtete Werk zu erhalten.
Begründung
Eine Dienstleistung gegen Entgelt wird erbracht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, wobei die empfangene Vergütung für den Leistenden den tatsächlichen Gegenwert für eine dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet. Das ist der Fall, wenn zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Ein unmittelbarer Zusammenhang liegt vor, wenn der Gegenwert für den beim Abschluss eines Dienstleistungsvertrages entrichtete Preis für den Leistungsempfänger in dem Recht besteht, Anspruch auf Erfüllung der sich aus dem Vertrag ergebenen Verpflichtungen seitens des Dienstleisters zu erhalten - unabhängig davon, ob dieses Recht tatsächlich auch wahrgenommen wird. Der Dienstleister erbringt die Leistung bereits dadurch, dass er den Leistungsempfänger in die Lage versetzt, die Leistung in Anspruch zu nehmen. Zudem sind auch die wirtschaftlichen und geschäftlichen Gegebenheiten des betreffenden Umsatzes zu berücksichtigen. Bei der wirtschaftlichen Betrachtung ist zu berücksichtigen, dass der zu zahlende Betrag nicht nur das für die Dienstleistung vertragliche Entgelt abzüglich der ersparten Beträge widerspiegelt, sondern darüber hinaus dem Dienstleister eine vertragliche Mindestvergütung sichert. Insofern handelt es sich auch nicht um einen pauschalen Schadensersatz, mit dem ein entstandener Schaden ersetzt werden soll.
Anmerkung
Mit dem vorliegenden Urteil bestätigt der EuGH seine bisherige Rechtsprechung aus dem Jahr 2020 (EuGH-Urteil vom 11.06.2020, C-43/19, Vodafone Portugal) und 1993 (EuGH-Urteil vom 15.12.1993, C-63/92, Lubbock Fine & Co.). Im letztgenannten Fall entschied der EuGH im Fall der Entschädigung bei vorzeitiger Beendigung einer Vermietung, dass die zahlende Abfindung unter den Begriff „Vermietung von Grundstücken“ fällt und umsatzsteuerlich wie der zugrundeliegende Mietvertrag zu behandeln ist.
Für die deutsche Rechtslage entfaltet das Urteil unmittelbare Wirkung. Denn abweichend und teilweise im Widerspruch zur genannten EuGH-Rechtsprechung, steht die derzeitige Auffassung des BFH, des BGH (BFH-Urteil vom 26.08.2021, V R 13/19; BGH-Urteil vom 22.11.2007, VII ZR 83/05) und der deutschen Finanzverwaltung.
Im Umsatzsteueranwendungserlass heißt es im Abschnitt 1.3 Abs. 5 UStAE: „Die Vergütung, die ein Unternehmer nach der Kündigung oder vertraglichen Auflösung eines Werkliefervertrages vereinnahmt, ohne die bereitgestellten Werkstoffe oder das teilweise vollendete Werk geliefert zu haben, ist kein Entgelt.“ Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung beschränkt sich der Leistungsaustausch zwischen Werkunternehmer und Besteller auf den vom Werkunternehmer gelieferten Teil des Werks (vgl. Abschn. 3.9 UStAE). Folglich steht bei einem Werkvertrag nicht die Dienstleistung, sondern die Lieferung des Werkes im Vordergrund. An dieser Auffassung kann die Finanzverwaltung nicht länger festhalten. Im Hinblick auf die Rechtsprechung gilt, dass die Finanzgerichte als auch der BFH an die EuGH-Rechtsprechung gebunden sind. Bis zur Lösung dieser Widersprüche können sich Betroffene unmittelbar auf die Entscheidung des EuGH berufen.
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 28.11.2024, C-622/23
Weitere Fundstellen
EuGH, Urteil vom 11.06.2020, C-43/19, Vodafone Portugal – Comunicações Pessoais SA gegen Autoridade Tributária e Aduaneira
EuGH, Urteil vom 15.12.1993, C-63/92, Lubbock Fine & Co. gegen Commissioners of Customs and Excise
EuGH, Urteil vom 22.11.2018, C-295/17, MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia SA gegen Autoridade Tributária e Aduaneira
EuGH, Urteil vom 03.07.2019, C-242/18, „UniCredit Leasing" EAD gegen Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ – Sofia pri Tsentralno upravlenie na NAP
EuGH, Urteil vom 18.07.2007, C-277/05, Société thermale d'Eugénie-les-Bains gegen Ministère de l'Économie, des Finances et de l'Industrie
