Zurück zur Übersicht
10.07.2023
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Feste Niederlassung bei Erhalt von Dienstleistungen eines Lohnfertigers?

Die bisherige EuGH-Rechtsprechung zum Begriff der festen Niederlassung wird bestätigt und weiter fortgeführt. 

Hintergrund

Nach Art. 44 MwStSystRL gilt als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat, es sei denn, die Dienstleistungen werden an eine feste Niederlassung des Steuerpflichtigen erbracht, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelegen ist. In letzterem Fall ist der Ort der Dienstleistung der Ort der festen Niederlassung. Nach Art. 11 DVO (EU) Nr. 282/2011 und der EuGH-Rechtsprechung (vgl. u.a. EuGH Urt. v. 16.10.2014, C-605/12; Urt. v. 7.5.2020, C-547/18, Dong Yang; Urt. v. 7.4.2022, C-333/20, Berlin-Chemie, siehe auch Deloitte Tax-News) gilt als feste Niederlassung jede Einrichtung, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden. Allein aus dem Umstand, dass eine Gesellschaft eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat besitzt, folgt nicht, dass letztere eine feste Niederlassung darstellt. Zum gleichen Ergebnis gelangt der EuGH, wenn ein Steuerpflichtiger entsprechend einer vertraglichen Vereinbarung die personellen und technischen Ressourcen eines verbundenen Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat nutzt. Zwar muss die personelle und technische Ausstattung nicht im Eigentum des Steuerpflichtigen stehen, aber er muss wie ein Eigentümer darüber verfügen können. Ferner dürfen auch nicht dieselben personellen und technischen Mittel für die Erbringung der Dienstleistungen wie für deren Empfang eingesetzt werden. Die feste Niederlassung muss einen gewissen Grad der Beständigkeit sowie eine bestimmte Struktur, in technischer und personeller Hinsicht, aufweisen. Entscheidend für das Vorliegen einer festen Niederlassung bleibt die wirtschaftliche und geschäftliche Realität. Dass im Einzelfall die Bestimmung, ob eine feste Niederlassung vorliegt, nach wie vor Schwierigkeiten bereiten kann, zeigt das vorliegende belgische Vorabentscheidungsersuchen. 

Sachverhalt

Cabot Plastics Belgium SA (im Folgenden: Cabot-BE) erbringt Lohnfertigungs- und Nebenleistungen ausschließlich für ihre Schwestergesellschaft Cabot Switzerland GmbH (im Folgenden: Cabot-CH). Die Exklusivität der Ressourcenverwendung ist vertraglich zwischen Cabot-BE und Cabot-CH vereinbart. Die Nebenleistungen von Cabot-BE umfassen Lagerhaltung, Verpackung und logistische Unterstützung und erleichtern so den Verkauf der von Cabot-CH hergestellten Produkte an Dritte direkt von den Räumlichkeiten von Cabot-BE aus.

Cabot-BE vertrat die Auffassung, dass sich der Ort seiner Dienstleistungen in der Schweiz befindet, und stellte Cabot-CH keine Mehrwertsteuer in Rechnung. Die belgischen Finanzbehörden waren der Ansicht, dass Cabot-CH über eine feste Niederlassung in Belgien verfügt, da Cabot-BE die Ausrüstung und die personellen Ressourcen nutzt. Nach Auffassung der Finanzbehörden ist die Empfängerin der Leistungen die feste Niederlassung, so dass sich der Leistungsort in Belgien befindet und belgische MwSt für die von Cabot-BE erbrachten Dienstleistungen hätte erhoben werden müssen. Es kam zur gerichtlichen Auseinandersetzung, die schließlich vor dem belgischen Berufungsgericht in Lüttich endete. Das Berufungsgericht legte dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Die Hauptfrage lautete, ob die belgische Lohnfertigerin eine feste Niederlassung für die auftraggebende, in der Schweiz ansässige, Schwester darstellt.

Entscheidung

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass ein steuerpflichtiger Dienstleistungsempfänger mit Sitz im Drittland, in dem Mitgliedstaat, in dem der von ihm rechtlich unabhängige Erbringer der betreffenden Dienstleistungen ansässig ist, nicht über eine feste Niederlassung verfügt, wenn er dort nicht über eine von der personellen und technischen Ausstattung her geeignete Struktur verfügt, die eine solche feste Niederlassung bilden könnte. Das gilt auch dann, wenn der steuerpflichtige Dienstleistungserbringer Lohnveredelungsleistungen sowie eine Reihe von Neben- oder Zusatzleistungen, die zur wirtschaftlichen Tätigkeit des steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängers in diesem Mitgliedstaat beitragen, in Erfüllung einer exklusiven vertraglichen Verpflichtung für diesen steuerpflichtigen Dienstleistungsempfänger erbringt. 

Betroffene Normen

​Art. 44 MwStSystRL; Art. 11 Abs. 1 DVO (EU) 282/2011 

Anmerkung

Die Tatsache, dass die in Belgien ansässige Lohnfertigerin vertraglich zugesagt hat, ihre Dienstleistungen, ihre Anlagen und Personal ausschließlich für die in der Schweiz ansässige Schwestergesellschaft einzusetzen, führt nicht dazu, dass eine feste Niederlassung vorliegt. Zwar schließt der Umstand, dass die personellen und technischen Ressourcen nicht der Cabot-CH, sondern Cabot-BE gehören, nicht per se die Möglichkeit aus, dass eine feste Niederlassung vorliegt. Erforderlich ist aber, dass die Schweizer-Schwestergesellschaft unmittelbaren und ständigen Zugang zu den Ressourcen der Cabot-BE hat, so als ob es sich um ihre eigenen handelte. Vorliegend blieb aber Cabot-BE für ihre eigenen Ressourcen verantwortlich und erbrachte die Dienstleistungen auf eigenes Risiko. Der Exklusiv-Vertrag allein hat nicht die Wirkung, dass die Ressourcen der belgischen Konzerngesellschaft zu denen der im Drittland ansässigen Schwestergesellschaft werden. Der EuGH führt hierzu aus, dass bei einer juristischen Person, auch wenn sie nur einen einzigen Kunden hat, davon auszugehen ist, dass sie die ihr zur Verfügung stehenden technische und personelle Ausstattung für ihren eigenen Bedarf einsetzt. Darüber hinaus handelt es sich bei den personellen und technischen Mitteln, die Cabot-BE für ihre Auftragsarbeiten einsetzt, und der Ausstattung, die Cabot-CH für den Empfang der Dienstleistungen in Belgien im Rahmen der angeblich festen Niederlassung einsetzt, um dieselben. Eine Unterscheidung zwischen denen, die für die Erbringung der Dienstleistung wie für deren Empfang eingesetzt werden, war vorliegend nicht möglich.

Die Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Berlin-Chemie und Dong Yang. Darüber hinaus bestätigt sie die BFH-Rechtsprechung (u.a. BFH Urt. v. 15.2.2017, XI R 21/15). Aus Sicht von international tätigen Unternehmen mit Schwester-Tochter- und/oder auch Enkelgesellschaften in anderen Mitgliedstaaten ist die Entscheidung zu begrüßen, da die Beurteilung des Vorliegens einer festen Niederlassung weiterhin restriktiv ausgelegt wird.

Im Hinblick auf das Vorliegen einer festen Niederlassung ist derzeit noch ein weiterer Fall beim EuGH anhängig (Rechtssache Adient, C-533/22), in dem es um konzerninterne Umsätze geht.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 29.06.2023, C‑232/22​ ​ 

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
Partner

ugruenwald@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 258

Dr. Diana-C. Kurtz
Senior Manager

dkurtz@deloitte.de
Tel.: +49 89 29036 8025

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
Partner

ugruenwald@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 258

Dr. Diana-C. Kurtz
Senior Manager

dkurtz@deloitte.de
Tel.: +49 89 29036 8025

So werden Sie regelmäßig informiert:
Artikel teilen:
Diese Webseite verwendet Cookies, um Ihnen einen bedarfsgerechteren Service bereitstellen zu können. Indem Sie ohne Veränderungen Ihrer Standard-Browser-Einstellung weiterhin diese Seite besuchen, erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden. Möchten Sie mehr Informationen zu den von uns verwendeten Cookies erhalten und erfahren, wie Sie den Einsatz unserer Cookies unterbinden können, lesen Sie bitte unsere Cookie Notice.