EuGH: Generalanwältin betont die EU-Rechtswidrigkeit der deutschen Organschaft
Die Generalanwältin beim EuGH hält die deutsche Organschaftsregelung für europarechtswidrig und weist die Warnung des BFH vor den drohenden Steuerausfällen mit deutlichen Worten zurück. Deutschland hatte genügend Zeit, um die festgestellten Probleme zu beheben.
Hintergrund
Die Schlussanträge stehen im Zusammenhang mit den kürzlich veröffentlichten Schlussanträgen im Verfahren C-141/20 (EuGH SA vom 13.01.2022, siehe Deloitte Tax-News: EuGH: Generalanwältin hält deutsche Organschaft für unvereinbar mit EU-Recht). Die Generalanwältin verweist in Ihren Anträgen auf das jeweils andere Verfahren, so dass ihre Ausführungen in diesem Verfahren als Ergänzung zu jenen in der anderen Rechtssache zu sehen sind.
Sie betont, dass schon seit einigen Jahren in der nationalen und in der Unionsrechtsprechung, sowie in der rechtswissenschaftlichen Literatur erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der deutschen Organschaftsregelung geäußert worden sind. Deutschland hatte also genügend Zeit, um Maßnahmen zu ergreifen, um die im Zusammenhang mit seiner Regelung für Mehrwertsteuergruppen festgestellten Probleme zu beheben. Geradezu empört reagiert sie auf den Hinweis des BFH auf drohende Steuerausfälle. Ein Mitgliedstaat könne nicht untätig bleiben, Rechtsprechung und Literatur ignorieren, nur um dann zu argumentieren, dass er erhebliche Steuereinnahmen verlöre, wenn der Gerichtshof seine Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht für unvereinbar erklärte.
Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens ist eine Vorlage des BFH (EuGH Vorlage vom 07.05.2020, BFH V R 40/19, DStR 2020, 1367 m. Anm. Heuermann). Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine Stiftung des öffentlichen Rechts und Trägerin einer Universität, die u.a. einen Bereich für Universitätsmedizin unterhält. Sie ist einerseits Steuerpflichtige und erbringt humanmedizinische Dienstleistungen gegen Entgelt; andererseits nimmt sie als juristische Person des öffentlichen Rechts Aufgaben im Bereich der öffentlichen Gewalt wahr und ist insoweit keine Unternehmerin. Eine mit ihr organschaftlich verbundene GmbH erbrachte Reinigungsleistungen sowohl in den unternehmerisch genutzten Räumen als auch in den hoheitlich genutzten Räumen der Stiftung.
Streitig war, ob die Reinigung der hoheitlich genutzten Räume als unentgeltliche Wertabgabe „für Zwecke außerhalb des Unternehmens“ zu beurteilen ist. Als Vorfrage ist auch in diesem Verfahren darüber zu entscheiden, ob die deutsche Organschaftsregelung, gemessen an den europarechtlichen Vorgaben, Bestand haben kann.
Schlussanträge der Generalanwältin
Die Generalanwältin nimmt Bezug auf Ihre Schlussanträge im Verfahren C-141/20. Die Richtlinie gestattet es den Mitgliedstaaten, eng miteinander verbundene Personen, die einer Mehrwertsteuergruppe angehören, für Zwecke der Erfüllung der Mehrwertsteuerpflichtigen als einen einzigen Steuerpflichtigen anzusehen. Sie steht jedoch einer Regelung entgegen, die nur das die Gruppe beherrschende Mitglied unter Ausschluss der übrigen Gruppenmitglieder als Steuerpflichtigen bestimmt.
Obgleich eine Antwort auf die zweite Frage aus Sicht der Generalanwältin nicht erforderlich sei, führt sie – der Vollständigkeit halber – aus, dass ihres Erachtens ein Fall einer unentgeltlichen Wertabgabe nicht vorliegt.
Anmerkung
Folgt der Gerichtshof diesen Schlussanträgen, so ist eine Reform des deutschen Organschaftsrechts unerlässlich. Angesichts der deutlichen Worte der Generalanwältin ist insoweit Eile geboten. Ob es allerdings zu den vom BFH in Aussicht gestellten Steuerausfällen kommt, ist noch nicht entschieden.
Auch in diesem Verfahren wird auf das Musterbeispiel der Kommission zu den Rechtsfolgen einer Gruppenbesteuerung hingewiesen, ohne dabei zu berücksichtigen, dass die Regelungen in des § 73 AO i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 AO zu dem von der Kommission und der Generalanwältin geforderten Ergebnis, nämlich der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder der Organschaft für die gesamte USt der Gruppe, gelangen.
Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass der EuGH angesichts seiner früheren von der Generalanwältin zitierten Rechtsprechung § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG als europarechtskonform beurteilen wird. Viel spannender ist jedoch die Frage, ob der BFH bei einer Zusammenschau der materiell rechtlichen Vorschriften des UStG und der verfahrensrechtlichen Vorschriften der AO den Weg eine europarechtskonformen Auslegung für gangbar hält.
Betroffene Normen
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG; Art. 11 MwStSystRL
Fundstelle
EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin (Medina) vom 27.01.2022, C-269/20
