EuGH: Gutscheine über elektronische Leistungen in Vertriebsketten
Kann es für die Einstufung eines Gutscheins über an Verbraucher zu erbringende, elektronische Leistungen als Einzweck-Gutschein auf die vorausgehenden, grenzüberschreitenden Gutscheinübertragungen im zwischenunternehmerischen Bereich ankommen?
Hintergrund
Mit dem JStG 2018 wurde die in der Gutschein-Richtlinie vorgesehene Differenzierung zwischen Einzweck- und Mehrzweck-Gutschein in § 3 Abs. 13 bis 15 UStG zum 01.01.2019 umgesetzt (siehe hierzu Deloitte Tax-News). Bei Einzweck-Gutscheinen sind die Ausgabe und Übertragung steuerbar; auf die Ausführung der im Gutschein verbrieften Leistung kommt es nicht an. Ein Einzweck-Gutschein setzt voraus, dass der Ort der Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, und die geschuldete Umsatzsteuer zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins feststehen (§ 3 Abs. 14 Satz 1 UStG; Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, liegt ein Mehrzweck-Gutschein vor (§ 3 Abs. 15 Satz 1 UStG; Art. 30a Nr. 3 MwStSystRL). Bei einem Mehrzweck-Gutschein unterliegt die Lieferung oder sonstige Leistung, für die der leistende Unternehmer den Gutschein annimmt, der Umsatzsteuer.
Die Frage, ob es bei Gutscheinen über digitale Inhalte für den feststehenden Leistungsort auf die Gutscheineinlösung durch Nichtunternehmer oder die vorausgehenden B2B-Gutscheinübertragungen in grenzüberschreitenden Vertriebsketten ankommt, war bislang höchstrichterlich ungeklärt (siehe Deloitte Tax-News: BFH: EuGH-Vorlage zur Besteuerung von Gutscheinen über digitale Inhalte).
Sachverhalt
Die Klägerin verkauft über ihren Onlineshop Guthabenkarten und Codes mit deutscher Länderkennung, die Endverbraucher zum Erwerb digitaler Inhalte berechtigen. Der Gutscheinherausgeber ist in Großbritannien ansässig. Die Klägerin bezog die Karten aus dem EU-Ausland. Sie ging von Mehrzweck-Gutscheinen aus. Auch im Ausland ansässige Nutzer können unter Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen die Karten mit deutscher Kennung kaufen und verwenden. Entgegen der Ansicht der Klägerin gingen das Finanzamt und das FG von Einzweck-Gutscheinen aus, deren Übertragung eine sonstige Leistung darstellt und deren hinreichend bestimmbarer Leistungsort im Inland liegt.
Vorlagefragen
Der BFH zweifelte daran, ob sich die vorausgehenden Übertragungen der Karten im zwischenunternehmerischen Bereich auf die Qualifizierung als Einzweck- oder Mehrzweck-Gutschein auswirken (vgl. Deloitte Tax News) und legte dem EuGH die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vor:
Liegt ein Einzweck-Gutschein vor, wenn der Ort der im Gutschein verbrieften Leistungen insoweit feststeht, als die Leistungen im Gebiet eines Mitgliedstaats an Verbraucher erbracht werden sollen, die Übertragung des Gutscheins zwischen Unternehmern jedoch zu einer Leistung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats führt?
Kann sich eine Besteuerung der Übertragung trotz der Nichtsteuerbarkeit nach Art. 30b Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL aus anderen Rechtsgründen ergeben, wenn ein Mehrzweck-Gutschein vorliegt?
Entscheidung des EuGH
Für die Einordnung eines Gutscheins als Einzweck-Gutschein kommt es ausschließlich auf die Voraussetzungen nach Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL an. Der Ort der verbrieften Leistung muss zum Zeitpunkt der Gutscheinausstellung feststehen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Gutschein zwischen Unternehmern übertragen wird und die Unternehmer in anderen Mitgliedstaaten als dem Mitgliedstaat der Endverbraucher ansässig sind.
Der Weiterverkauf von Mehrzweck-Gutscheinen durch einen Unternehmer kann nach Art. 30b Abs. 2 MwStSystRL der MwSt unterliegen, sofern er als Leistung an einen Unternehmer eingestuft wird, der als Gegenleistung die im Gutschein verkörperten Gegenstände dem Verbraucher übergibt oder die verbrieften Dienstleistungen tatsächlich an den Verbraucher erbringt.
Anmerkung
Die Entscheidung verdeutlicht die Relevanz der zutreffenden Bestimmung des für das Vorliegen eines Einzweck- oder Mehrzweck-Gutscheins maßgeblichen Zeitpunkts in grenzüberschreitenden Vertriebsketten. Stehen der Ort der im Gutschein verbrieften Leistung und die Höhe der geschuldeten Umsatzsteuer im Zeitpunkt der Ausgabe des Gutscheins fest, stehen die dem Gutscheinverkauf an den Endverbraucher vorausgehenden B2B-Gutscheinübertragungen in (grenzüberschreitenden) Vertriebsketten nicht entgegen. Auf die mögliche bestimmungswidrige Nutzung der Karten mit deutscher Länderkennung durch im Ausland ansässige Verbraucher kommt es für das Feststehen des Leistungsortes nicht an. Denn die zutreffende umsatzsteuerrechtliche Qualifikation darf nicht von missbräuchlichen Praktiken abhängig gemacht werden. In vergleichbaren Konstellationen wird unter Berücksichtigungen der Gutscheinbedingungen im Einzelfall zu prüfen sein, ob der Leistungsort und die Umsatzsteuer hinreichend bestimmt sind.
Betroffene Normen
§ 3 Abs. 14 Sätze 1 und 2 UStG, Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL, Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1, Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 18.04.2024, C 68/23, Finanzamt O
Vorinstanzen
BFH, EuGH-Vorlage vom 03.11.2022, XI R 21/21
Finanzgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 10.03.2021, 4 K 62/19