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26.09.2022
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Kein Vorsteuerabzug zugunsten Dritter bei Gesellschafterbeiträgen einer Funktionsholding

​Kein Vorsteuerabzug einer geschäftsleitenden Holding, sofern die Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbaren Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen, sondern mit den steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, die bezogenen Eingangsleistungen keinen Eingang in den Preis der an die Tochtergesellschaften erbrachten steuerpflichtigen Umsätze finden und auch nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holding gehören. 

Hintergrund

Der Vorsteuerabzug, als integraler Bestandteil des Mehrwertsteuersystems, dient dazu, den Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer zu entlasten. Um in den Genuss des Vorsteuerabzugs zu gelangen, muss der Betroffene Steuerpflichtiger sein und die bezogenen Gegenstände oder Dienstleistungen müssen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden. Die Frage, ob ein Vorsteuerabzug bei Verwendung von Eingangsleistungen für unentgeltliche Gesellschafterbeiträge einer Funktionsholding in Betracht kommt, hat das FG Niedersachsen bejaht (FG Niedersachsen, Urt. v. 19.4.2018, 5 K 285/16). Nach dem Urteil sind unentgeltliche Sachleistungen (Gesellschafterbeitrag), die eine Funktionsholding neben entgeltlichen Geschäftsführungsleistungen an ihre Beteiligungsgesellschaften erbracht hat, Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit und berechtigen zum Vorsteuerabzug. Das gilt auch dann, wenn die unentgeltlichen Sachleistungen von der Tochtergesellschaft für vorsteuerschädliche Ausgangsumsätze verwendet werden (FG Niedersachsen, Urt. v. 19.4.2018, 5 K 285/16). Vorliegend hätten die Beteiligungsgesellschaften bei Direktbezug der Leistungen und ohne die Vorschaltung der Holding keine Vorsteuer abziehen dürfen, da sie überwiegend steuerfreie Ausgangsumsätze tätigten. Daher nahmen insbesondere Branchen mit steuerfreien Ausgangsumsätzen (bspw. Versicherungs- oder Finanzdienstleistungsbranche) das finanzgerichtliche Urteil interessiert zur Kenntnis. Denn bei entsprechender Gestaltung (Vorschaltung einer Holding) und der Anwendung der finanzgerichtlichen Urteilsgrundsätze schien auch für diese Branchen der Vorsteuerabzug in greifbare Nähe zu rücken. Der BFH zweifelte jedoch an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung und legte dem EuGH zur Vorabentscheidung vor (BFH Beschl. v. 23.9.2020, XI R 22/18).  

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, ist im Bereich der Verwaltung und Verwertung von Immobilien tätig. Daneben ist sie mehrheitlich an zwei Bauträgergesellschaften (KG und GmbH & Co. KG) beteiligt. Bei den KGs handelt es sich um Projektgesellschaften, die als Bauträger Grundstücke erwerben, mit Wohnungen bebauen und anschließend steuerfrei veräußern, so dass diese nicht bzw. nur in sehr geringem Umfang zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Die Klägerin erbringt an beide KGs entgeltliche Buchhaltungs- und Geschäftsführungsleistungen. Die Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft liegen nicht vor. Die Ergänzungsvereinbarung zum Gesellschaftsvertrag sieht eine Kapitalerhöhung vor, bei der die Klägerin ua. bestimmte Architekten-, Planungs-, und Vertriebsdienstleistungen zu erbringen hat. Diese Leistungen erfolgen unentgeltlich als Gesellschafterbeiträge und sind durch die Beteiligung am Gewinn und Verlust der jeweiligen Projekt-KG abgegolten. Die anderen Gesellschafter leisten korrespondierende Bareinlagen. Die Klägerin führt teilweise die Leistungen durch eigenes Personal aus, teilweise bezieht sie diese von Subunternehmern. Die ihr in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge machte die Klägerin in vollem Umfang als Vorsteuer geltend.

Das Finanzamt versagte den Vorsteuerabzug; nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG Niedersachsen der Klage statt; der BFH legte dem EuGH folgende Fragen vor:

Vorlagefragen BFH XI R 22/18

1) Steht einer geschäftsleitenden Holding, die entgeltliche Dienstleistungen an ihre Tochtergesellschaften ausführt, der Vorsteuerabzug auch für von Dritten bezogenen Eingangsleistungen zu, die als Gesellschafterbeiträge in die Tochtergesellschaften eingelegt werden und in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den (weitgehend) steuerfreien Ausgangsumsätzen der Tochtergesellschaften stehen?

2) Falls der Vorsteuerabzug nach Frage 1 zu bejahen wäre: Stellt es einen Rechtsmissbrauch dar, wenn eine geschäftsleitende Holding derart in den Leistungsbezug von Tochtergesellschaften „zwischengeschaltet“ wird, dass sie Leistungen, für die den Tochtergesellschaften bei unmittelbarem Bezug kein Vorsteuerabzug zustünde, selbst bezieht, in die Tochtergesellschaften gegen Beteiligung an deren Gewinn einlegt und unter Berufung auf ihre Stellung als geschäftsleitende Holding selbst den vollen Vorsteuerabzug geltend macht?

EuGH Entscheidung

Eine Holding, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, hat kein Recht auf Vorsteuerabzug für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, wenn:

  1. die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holdinggesellschaft, sondern mit den weitgehend steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen,
  2. diese Eingangsleistungen in den Preis der an die Tochtergesellschaften erbrachten steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und
  3. diese Leistungen nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaft gehören.

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.  

Begründung

Die Klägerin/Holding ist zwar Steuerpflichtige, da sie Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen entgeltlich an ihre Tochtergesellschaften erbringt. Der Vorsteuerabzug setzt jedoch auch voraus, dass die Gegenstände und Dienstleistungen, die der Steuerpflichte bezogen hat, für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden. Fehlt es an einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und dem zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsatz, bleibt das Recht auf Vorsteuerabzug nur erhalten, wenn die Kosten für die fragliche Dienstleistung zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und – als solche – Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder Dienstleistungen sind. Maßgebend ist die tatsächliche Verwendung der vom Steuerpflichtigen erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen und der ausschließliche Entstehungsgrund des fraglichen Umsatzes. Vorliegend hat die Klägerin Architekten-, Planungs-, und Vertriebsdienstleistungen bezogen, um ihren Verpflichtungen in Bezug auf Gesellschafterbeiträge gegenüber ihren Tochtergesellschaften nachzukommen und nicht um die steuerpflichtigen Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen erbringen bzw. anbieten zu können. Die Eingangsleistungen gehören damit nicht zu den allgemeinen Aufwendungen, die die Klägerin für den Erwerb von Beteiligungen tätigen muss, sondern um solche, die den Gegenstand des Gesellschafterbeitrags an ihre Tochtergesellschaften darstellt, damit diese sie für ihre Umsätze nutzen. Ein solcher Beitrag stellt keine wirtschaftliche Tätigkeit dar, die ein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnet.  

Anmerkung

Der EuGH lehnt den Vorsteuerabzug bei unentgeltlichen Gesellschafterbeiträgen einer Funktionsholding ab und entscheidet, seiner bisherigen Rechtsprechung folgend, gegen den Steuerpflichtigen, der mittels Gestaltung einen Steuervorteil erlangt (siehe auch EuGH Urt. v. 20.6.2013, C-653/11 Paul Newey). Der im Ergebnis nachvollziehbaren Entscheidung des EuGH schließt sich die Frage an, ob aus dem Leitsatz des Urteils ein allgemeiner Rechtssatz herausgelesen werden kann, der zu einer breiteren Anwendung der vom EuGH dargelegten Argumentation führt. Denn obwohl die Tochtergesellschaften im Rahmen des Direktbezugs nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen wären und sich dies nur durch die Vorschaltung der Holding änderte, führt der EuGH in seiner Argumentation den Missbrauchsgedanken nicht weiter aus. Stattdessen stellt der EuGH fest, dass „ein solcher Beitrag zugunsten der Tochtergesellschaften, sei es in Form von Bar- oder Sacheinlagen, (…) zum Halten von Gesellschaftsanteilen (gehört), die keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen und damit auch kein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen.“ Damit wäre auch der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn die bezogenen Eingangsleistungen über dieselben Wege für zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze der Tochtergesellschaft verwendet worden wären. Das Ergebnis befremdet. Denn schließen sich beispielsweise mehrere Unternehmer des Baugewerbes zu einer ARGE zusammen, um ein Großprojekt zu realisieren, und erbringen dieser gegenüber neben entgeltlichen Leistungen auch Gesellschafterbeiträge, wäre es systemwidrig, dem Unternehmer, der der ARGE seinen Baukran als Gesellschafter überlässt, den Vorsteuerabzug aus dessen Anschaffung zu versagen. Der Unternehmer hat den Baukran als Unternehmer erworben, um ihn u.a. für Zwecke der besteuerten Umsätze der ARGE zu verwenden. Eine weiterreichende Anwendung des vom EuGH gewählten Ansatzes auf andere Konstellationen von Gesellschaftereinlagen ist aus Sicht der Praxis nicht wünschenswert und führt dazu, dass längst für abgeschlossen gehaltene Diskussionen im Bereich der strategischen Beteiligungen wieder aufleben.  

Betroffene Normen

​Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 167 und 168 Buchst. a MwStSystRL 

Vorinstanzen

FG Niedersachsen, Urteil vom 19.4.2018, 5 K 285/16

BFH XI R 22/18, EuGH Vorlage vom 23.9.2020

Fundstelle

EuGH Urteil vom 08.09.2021, C-98/21

Ihre Ansprechpartner

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