EuGH: Zur Anwendbarkeit der zollrechtlichen Vorschriften für die Einfuhrumsatzsteuer
Steht die Verweisung in § 21 Abs. 2 UStG, nach der für die Einfuhrumsatzsteuer die Vorschriften für Zölle sinngemäß gelten, im Einklang mit dem Unionsrecht und führt das dazu, dass auf den Ort der Einfuhr eines Gegenstandes die Bestimmungen des UZK entsprechend anwendbar sind?
Hintergrund
Gelangt eine Ware unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften über andere Mitgliedstaaten nach Deutschland und stellen dies die deutschen Zollbehörden fest, stellt sich regelmäßig die Frage, ob die deutsche Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) entstanden ist. Liegt der Ort der Einfuhr in Deutschland, ist für die Geltendmachung der EUSt der deutsche Zoll zuständig.
Das UStG enthält keine Vorschriften über den Ort des Entstehens der EUSt, verweist in § 21 Abs. 2 UStG aber auf die sinngemäße Anwendung des Zollrechts. Ist danach die Entstehung der Zollschuld in einem anderen Mitgliedstaat unentdeckt geblieben, entsteht die Zollschuld in dem Mitgliedstaat, in dem sie festgestellt wurde. Das gilt, sofern die Zollschuld unter einem bestimmten Schwellenwert liegt (derzeit 10.000 EUR, vgl. Art. 87 Abs. 4 UZK; Art. 215 Abs. 4 ZK a.F. weniger als 5.000 EUR)). Fraglich ist, ob § 21 Abs. 2 UStG mit dem Unionsrecht in Einklang steht. Daher legte das FG Hamburg den vorliegenden Sachverhalt, der in seiner Grundkonstellation vielen ähnlich gelagerten Fällen entspricht, dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Sachverhalt
G, ist als natürliche Person in Polen ansässig und hat dort Schmuggelzigaretten mit ukrainischen und belarussischen Steuerbanderolen erworben. Er verbrachte die Zigaretten in die Nähe von Braunschweig, ohne diese den zuständigen Zollstellen zu gestellen. Einige Tage später verkaufte G. die Zigaretten an einen deutschen Käufer. Im Rahmen der Übergabe wurde er festgenommen; die Zigaretten wurden sichergestellt und später vernichtet.
Da die Zigaretten vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht worden waren, ging das HZA Braunschweig davon aus, dass die Zollschuld entstanden und G. deren Schuldner war. Daneben vertrat die Behörde die Ansicht, dass gemäß § 21 Abs. 2 UStG zeitgleich zur Zollschuld, die Einfuhrumsatzsteuerschuld in Deutschland entstanden ist und erließ einen entsprechenden Steuerbescheid i.H.v. 2.006,38 EUR. Das FG Hamburg ging in seinem Vorlagebeschluss davon aus, dass G die Zigaretten durch seinen Erwerb in Polen auch in Polen eingeführt habe und gemäß Art. 215 Abs. 4 ZK i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG die deutsche EUSt schulde.
Entscheidung
Das verneint der EuGH indem er ausführt, dass das Unionsrecht dahingehend auszulegen ist, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, die auf den Ort der Einfuhr eines Gegenstands die Bestimmung des Art. 215 Abs. 4 ZK entsprechend anwendet.
Anmerkung
Damit darf im vorliegenden Fall keine Belastung mit EUSt in Deutschland erfolgen. Der EuGH führt aus, dass eine solche Anwendung zur Folge hätte, dass die mit der EUSt verbunden Einnahmen dem Mitgliedstaat zufließen, in dem die Entstehung der Zollschuld festgestellt wurde. Das stünde im Widerspruch zum Grundsatz der steuerlichen Territorialität auf dem Gebiet der MwSt. Die Einnahmen aus der EUSt stehen dem Mitgliedstaat zu, in dem der Endverbrauch erfolgt. Damit stellt der EuGH die einfuhrumsatzsteuerlichen Verhältnisse klar, die auch unter dem jetzigen Art. 87 Abs. 4 UZK gelten. Bei der Verweisung in § 21 Abs. 2 UStG kann es sich damit lediglich noch um eine verfahrensmäßige Verknüpfung zwischen Zoll und EUSt handeln. Ist die EUSt gemäß Art. 30, 60 MwStSystRL entstanden, ist sie zusammen mit dem Zoll in einem von der Zollverwaltung geführten Verfahren zu erheben. Eine allgemeine Verknüpfung zwischen der MwStSystRL und dem Zollkodex gibt es hingegen nicht. Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL stellt lediglich auf den Zeitpunkt ab, zu dem der Einfuhrtatbestand verwirklicht wurde und zu dem die EUSt entsteht (Fälligkeit der Zollschuld); in Verbindung mit (§21 Abs. 2 UStG,) Art. 215 ZK führt er aber nicht zur Bestimmung des Ortes der Einfuhr.
Wie bereits in seiner früheren Rechtsprechung (u.a. EuGH Urt. v. 8.9.22, C-368/21, HZA HH; Urt. v. 10. Juli 2019, C 26/18, Federal Express) weist der EuGH auch darauf hin, dass die Gegenstände zum Verbrauch in dem jeweiligen Mitgliedstaat bestimmt sein müssen. In dem vorliegenden Sachverhalt führt das dazu, dass die deutschen Behörden verpflichtet sind, die Informationen über die Sicherstellung der Zigaretten an die polnischen Behörden zu übermitteln, um die Gefahr von Steuerverlusten dort zu vermeiden. Unter Beachtung der nationalen, polnischen Regelungen entsteht nämlich dort die Einfuhrumsatzsteuer.
Betroffene Normen
§ 21 Abs. 2 UStG
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 18.01.2024, C-791/22