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12.12.2024
Indirekte Steuern/Zoll

FG Münster: Keine Umqualifizierung einer nicht steuerbaren GiG nach späterem Teilrücktritt vom Kaufvertrag

​Ein zunächst richtigerweise als nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen (GiG) beurteilter Vorgang kann nicht nach tatsächlicher Fortführung des Betriebs viele Monate später nach einem Teilrücktritt vom Kaufvertrag auf der Grundlage von § 17 II Nr. 3 UStG in einzelne steuerpflichtige Lieferungen umqualifiziert werden.

Finanzgericht Münster, Urteil vom 27.08.2024, 15 K 2717/22 U, rkr., DStR 2024, S. 2697

Hintergrund

Die GiG ist in § 1 Abs. 1a UStG geregelt, weitergehende Erläuterungen dazu finden sich Abschnitt 1.5 UStAE. Demgemäß ist die Veräußerung an einen anderen Unternehmer ein nicht steuerbarer Vorgang, wenn alle wesentlichen Betriebsgrundlagen übereignet werden und der Käufer beabsichtigt, das Unternehmen fortzuführen. Unerheblich ist die Übereignung in mehreren Abschnitten, wenn ein zeitlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang besteht und der Wille auf den Erwerb des Unternehmens gerichtet ist.

Die Regelung des § 1 Abs. 1a UStG hat den Zweck durch Vermeidung von Verwaltungsaufwand und Liquiditätsbelastung Unternehmensübertragungen zu erleichtern, zielt demgemäß auf die Übertragung „lebender“ Unternehmen ab und findet keine Anwendung bei zeitnaher Zerschlagung des gekauften Unternehmens. daraus ergibt sich als Voraussetzung für die Nichtsteuerbarkeit der GiG die Absicht zur Fortführung des gekauften Unternehmens. 

Sachverhalt

Die Klägerin betrieb ein Busunternehmen. Das Betriebsvermögen bestand im Wesentlichen aus 14 Linienbussen und einem Betriebsgrundstück mit Parkplatz, Werkstatt- und Verwaltungsgebäude.

Anfang Juli 2017 schloss die spätere Klägerin mit einem anderen Busunternehmen einen notariellen Kaufvertrag über ihr Unternehmen ab, welches der Käufer weiterführen wollte. Laut Vertrag sollte die Busflotte Ende Juli gegen Zahlung eines Kaufpreises von EUR 450.000 übertragen werden, das Betriebsgrundstück erst im September gegen Zahlung des Restkaufpreises.

Tatsächlich wurden Ende Juli die 14 Linienbusse gegen Zahlung der vereinbarten Summe verkauft, aber darüber hinaus erhielt der Käufer auch – und insoweit abweichend vom Kaufvertrag – den unmittelbaren Besitz am Betriebsgrundstück und den übrigen Kaufgegenständen, obwohl der Restkaufpreis nicht gezahlt wurde. Der Käufer führte das Busunternehmen der Klägerin fort.

Beide Vertragspartner hatten den Verkauf umsatzsteuerlich als nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen behandelt.

Ende März 2018 erklärte die Verkäuferin den Teilrücktritt vom Kaufvertrag und forderte das Betriebsgrundstück mit den aufstehenden Gebäuden zurück, da der Käufer die Restkaufpreissumme bis dahin nicht gezahlt hatte. Im April 2019 wurde ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Käufers eröffnet.

Im Rahmen einer zwischenzeitlich erfolgten Betriebsprüfung kam die Prüferin zu dem Ergebnis, dass infolge des Teilrücktritts der Klägerin keine nicht umsatzsteuerbare GiG vorliege, da zur Beurteilung des Geschäfts auf die Lage nach dem Teilrücktritt abzustellen sei und es damit nicht zu einer Übertragung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen gekommen sei. Folgerichtig sah die Prüferin in der Übertragung der Busflotte 14 separate steuerbare und steuerpflichtige Lieferungen. Bemessungsgrundlage sollte der Nettopreis von EUR 450.000 sein. Die Berichtigung sollte im Zeitraum 2018 gestützt auf § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG erfolgen. Infolge der Insolvenz des Käufers erfolgte eine Korrektur der Bemessungsgrundlage nach unten auf das Entgelt abzüglich Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 S. 2 UStG) ebenfalls auf § 17 UStG gestützt. 

Entscheidung

Es liegt entgegen der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung eine nichtsteuerbare GiG im Ganzen vor, da im Juli 2017 alle wesentlichen Betriebsgrundlagen an den Käufer übertragen wurden.

Die subjektive Fortführungsabsicht des Erwerbers ergibt sich aus der Würdigung der Gesamtumstände. Da es keine „unschädliche“ Zeitspanne per se gibt, dient das Zeitmoment der Feststellung der Fortführungsabsicht. Nur insofern ist die Rückschau auf die Zeitspanne bis zum Teilrücktritt einzubeziehen. Der Käufer nutzte das Betriebsgrundstück acht Monate lang für das Busunternehmen. Diesen Zeitraum bewertete das FG als hinreichend lang um die Fortführungsabsicht zu bejahen.

Darüber hinaus unterliegt eine nicht steuerbare GiG – anders als vom Finanzamt vertreten – nicht der Berichtigung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG im Zeitraum des Teilrücktritts, da die Vorschrift weder direkt noch indirekt anzuwenden ist. § 17 Abs. 1 UStG bestimmt die Anpassung des Umsatzsteuerbetrags bei einer Änderung der Bemessungsgrundlage für steuerpflichtige Leistungen im Zeitraum des Eintritts der Änderung und ist damit Korrektiv zur Sollbesteuerung nach § 16 UStG, indem er die periodengerechte Besteuerung sichert. § 17 Abs. 2 UStG regelt die sinngemäße Anwendung bei Rückgängigmachung steuerpflichtiger Leistungen. Die Umqualifizierung von nicht steuerbaren Umsätzen in steuerbare ist von § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG nicht gedeckt, da sowohl das Tatbestandsmerkmal „steuerpflichtiger Umsatz“ als auch die Rechtsfolge „Änderung der Bemessungsgrundlage“ modifiziert werden müssten. Somit liegt keine zulässige Rechtsfortbildung mittels Analogie vor, sondern Rechtssetzung, die der Legislative vorbehalten ist. Darüber hinaus setzt eine analoge Anwendung das Bestehen einer Regelungslücke voraus, die das FG insoweit nicht erkennen kann. 

Betroffene Normen

​§§ 1 Abs. 1a UStG, § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG

Anmerkung

​Für die Praxis ist es bei einer GiG schwierig, im Zeitpunkt der Geschäftsveräußerung zu belegen, dass beim Erwerber eine Fortführungsabsicht besteht. Aus der Retrospektive einer Betriebsprüfung ist unter Umständen die Beurteilung des Sachverhalt eine andere als bei Vertragsschluss. Deswegen ist darauf zu achten, in den entsprechenden Verträgen Vorsorge für den Fall zu treffen, dass der Erwerber das Unternehmen tatsächlich nicht fortführt.

Gleichzeitig sorgt das Urteil des FG Münster für mehr Rechtssicherheit beim Verkäufer, sofern das Unternehmen – wie im vorliegenden Fall – infolge eines Liquiditätsmangels und der späteren Insolvenz des Erwerbers nicht fortgeführt werden kann. Das Gericht legt den Fokus auf die Fortführungsabsicht bei Erwerb und bewertet die tatsächliche Fortführung von acht Monaten als ausreichend. Das spätere Scheitern der Fortführung beim Erwerber soll den Verkäufer nicht tangieren. Es ist zu hoffen, dass der BFH im Falle der Revision das Urteil bestätigen wird. 

Fundstelle

Finanzgericht Münster, Urteil vom 27.08.2024, 15 K 2717/22 U, rkr., DStR 2024, S. 2697 ​

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Tel.: +49 221 97324626

Astrid Linscheidt
Manager

alinscheidt@deloitte.de
Tel.: +49 221 29260137

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