Schleswig-Holsteinisches FG: Umsatzsteuerliche Beurteilung von verfallenen Prepaid-Guthaben
Handelt es sich bei verfallenen Guthaben aus Prepaid-Verträgen um eine nicht steuerbare Rückgabe von Zahlungsmitteln oder um eine nachträgliche Entgelterhöhung?
Hintergrund
Bei Prepaid-Mobilfunkverträgen kann es im Rahmen eines aktivitätsorientierten Deaktivierungsverfahrens zum Verfall des vom Kunden erworbenen Guthabens kommen. Bei unterlassener Inanspruchnahme des Guthabens kann der Anbieter nach Fristsetzung die SIM-Karte deaktivieren. Der Kunde kann sich das Restguthaben auszahlen oder auf eine andere SIM-Karte buchen lassen; andernfalls verfällt das Restguthaben. Beim verfallenen Guthaben stellt sich aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht die Frage, ob eine nicht steuerbare Rückgabe von Zahlungsmitteln oder eine nachträgliche Entgelterhöhung anzunehmen ist.
Im Zusammenhang mit beim Provider verbliebenen Restguthaben nahm der XI. BFH-Senat im Jahr 2019 eine nachträgliche Entgelterhöhung i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG an (BFH, Urteil vom 10.04.2019, XI R 4/17, BStBl. II 2019, S. 635). Mit dieser Rechtsprechung hat sich das Schleswig-Holsteinische FG in dem aktuell entschiedenen Fall befasst. Streitig war zudem, ob der Guthabenverfall als umsatzsteuerrechtlich unbeachtliche, unterlassene Einlösung eines elektronischen Mehrzweck-Gutscheins angesehen werden kann.
Auch wenn die Gutschein-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2016/1065 des Rates vom 27.06.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 177 S. 9 vom 01.07.2016, vgl. Deloitte Tax News) im Streitjahr 2014 noch nicht in Kraft war, wurde vom klagenden Telekommunikationsdienstleister die Vergleichbarkeit der Prepaid-Guthaben mit dem vom EuGH in der Sache DSAB Destination Stockholm beurteilten Citycards geltend gemacht (vgl. Deloitte Tax News). Dabei berief sich der Telekommunikationsdienstleister auf den Rechtsgedanken der Vorwirkung von EU-Richtlinien sowie den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, aus denen die Nichtbesteuerung des verfallenen Prepaid-Guthabens zu folgern sei.
Während die Finanzverwaltung für Mehrzweck-Gutscheine, die vom Gutscheininhaber nicht innerhalb der Gültigkeitsdauer eingelöst werden, keine umsatzsteuerlichen Folgen annimmt (Abschn. 3.17 Abs. 13 Satz 1 UStAE), stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf verfallene Prepaid-Guthaben.
Sachverhalt
Die Klägerin ist ein Telekommunikationsdienstleister. Zwischen der Klägerin und einer GmbH (A) bestand eine umsatzsteuerliche Organschaft mit der Klägerin als Organträgerin. A vertrieb Telekommunikationsdienstleistungen auf der Grundlage von Prepaid-Verträgen. Hierzu kaufte sie von den Netzbetreibern SIM-Karten und Rufnummern ein und bot den Endkunden Starter-Pakete an, die eine SIM-Karte, eine Rufnummer und ein Guthaben umfassten. Dafür entrichteten die Kunden an A oder deren Händler eine einmalige Zahlung. Bei längerer Inaktivität der Kunden stand A ein Kündigungsrecht zu. Die Kunden waren berechtigt, ihr Restguthaben von A zurückfordern. Bei unterlassener Rückforderung verblieb der Guthabenbetrag nach Ablauf der Verjährungsfrist bei A, soweit sich der Netzbetreiber den Guthabenbetrag nicht anteilig auszahlen ließ. Das Finanzamt meinte, mit dem Verlust der Rückforderungsmöglichkeit durch die Kunden komme es zu einer nachträglichen Entgelterhöhung. Dagegen wandte sich die Klägerin vor dem Schleswig-Holsteinischen FG.
Entscheidung
Restguthaben aus Prepaid-Verträgen, die beim Provider verbleiben, sind Entgelt für die Leistungen, die der Provider während der Laufzeit des Prepaid-Vertrages gegenüber seinen Kunden erbringt.
Begründung
Das FG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Finanzamt hat die endgültig beim Provider verbliebenen Guthaben rechtmäßig der Umsatzsteuer unterworfen. Der Provider erbrachte Leistungen gegen Entgelt. Die nicht zurückgeforderten Restguthaben stellen ein Entgelt für die vom Provider eröffnete Nutzungsmöglichkeit der Telekommunikationsinfrastruktur und die Ermöglichung der mobilen Erreichbarkeit als bestimmbare Leistungsbestandteile dar.
Der Verfall der Prepaid-Guthaben ist nicht als Rücktausch von Zahlungsmitteln zu qualifizieren. Die elektronischen Guthaben standen vor und nach ihrem Verfall auf den Kundenkonten. Es kam lediglich zu einem Wechsel der Inhaberschaft wegen nicht durchsetzbarer Ansprüche der Kunden. Ein Zahlungsmitteltausch liegt nicht vor, wenn die Kunden wegen nicht durchsetzbarer Ansprüche keine anderen Zahlungsmittel erhalten.
Der Guthabenverfall ist auch nicht als Verfall eines elektronischen Mehrzweck-Gutscheins anzusehen. Bei den Prepaid-Guthaben handelt es sich vielmehr um ein Zahlungsmittel. Zahlungsmittel sind keine Gutscheine. Es fehlt an einem Instrument, bei dem der Inhaber dazu berechtigt ist, es an Zahlungs statt zur Einlösung gegen Gegenstände oder Dienstleistungen zu verwenden.
Betroffene Normen
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL); § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG (Art. 73 MwStSystRL); § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG (Art. 90 Abs. 1 und Abs. 2 MwStSystRL)
Anmerkung
Mit seiner Entscheidung schließt sich das Schleswig-Holsteinische FG dem BFH an (BFH, Urteil vom 10.04.2019, XI R 4/17). Die Abbuchung vom Prepaid-Guthaben sah das FG als Gegenwert für in Anspruch genommene Leistungen des Providers an. Die Prepaid-Guthaben waren aus Sicht des FG im Zeitpunkt ihres Verfalls beim Provider umsatzsteuerlich zu erfassen. Zur Bemessungsgrundlage für entgeltliche Leistungen gehört alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Leistende vom Leistungsempfänger erhält oder erhalten soll, abzüglich der gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer. Da die dem Leistenden zugeflossenen Mehraufwendungen in Gestalt der verfallenen Restguthaben aus keinem anderen Rechtsgrund erfolgten, qualifizierte das FG sie als Entgelt (BFH, Urteil vom 11.05.1995, V R 86/93, BStBl II 1995, 613).
Bei endgültig beim Provider verbleibenden Mehraufwendungen aufgrund verfallener Guthaben kann es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung um eine Überzahlung handeln, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem zwischen dem Provider und dem Kunden abgeschlossenen Dauerschuldverhältnis steht. Die Berichtigungsvorschrift des § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG erachtete das FG als einschlägig, da sich die Bemessungsgrundlage für den steuerpflichtigen Umsatz aufgrund des Guthabenverfalls änderte und sich der Anwendungsbereich der Norm nicht nur auf Minderungsfälle, sondern auch auf nachträgliche Erhöhungen der Bemessungsgrundlage erstreckt.
Auf die vom Kläger vertretene Vergleichbarkeit des verfallenen Prepaid-Guthabens mit Restmünzguthaben (BFH, Beschluss vom 18.01.2007, V B 39/05, BFH/NV 2007, S. 1200), verfallenen Prämienpunkten (BFH, Urteil vom 26.06.2019, V R 64/17, BStBl II 2019, S. 640) und die zeitliche Vorwirkung der Gutschein-Richtlinie kam es aus Sicht des erstinstanzlichen Gerichts nicht an. Denn ungeachtet dieser Grundsätze liegt nach dem FG in dem Verfall der Guthaben eine endgültige Zuwendung eines Zahlungsmittels, die einem Leistungsbündel zuzuordnen ist und daher Entgeltcharakter hat.
Fundstelle
Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 17.09.2024, 4 K 26/22, Revision anhängig (BFH: V R 20/24)